Handelsblatt - 27.11.2019

(Barré) #1

offenbar angestauter Frust im DIW Bahn. Fratz-


scher und von Weizsäcker sollen schon länger über


Kreuz liegen. Von Weizsäcker hatte bereits im Früh-


jahr erklärt, seinen noch zwei Jahre laufenden Ver-


trag am DIW nicht zu verlängern. Im Rahmen der


Gründung der „Berlin School of Economics“ soll es


erneut zu Streit gekommen sein. Ob dieser der


Grund für die Kündigung war, dazu will das DIW


auf Anfrage des Handelsblatts keine Stellungnahme


abgeben, ebenso wenig von Weizsäcker.


Dass Fratzscher keinerlei Begründung für die De-


mission des anerkannten Wissenschaftlers liefert,


stößt vielen beim DIW auf. „Die Kommunikation ist


grottenschlecht. So geht das nicht“, sagt nicht nur


ein Mitarbeiter. Noch verunsicherter ist der Nach-


wuchs. Sie sehen sich „unzureichender Kommuni-


kation vonseiten des Vorstands ausgesetzt“, den


Ruf des Instituts und „die Nachwuchsförderung am


DIW und im Kontext der Berlin School of Econo-


mics gefährdet“, heißt es in einem Brief von rund


80 Doktoranden an das Kuratorium.


Unberechtigt sind die Sorgen nicht. Die HU Ber-


lin hat wegen der Kündigung von Weizsäckers Ver-


handlungen mit dem DIW über den Kooperations-


vertrag zur Berlin School of Economics „ausge-
setzt“ und „zweifelt die Rechtmäßigkeit der
Kündigung des Vertrages zwischen DIW mit HU
an“, heißt es in der Mail von Dekan Klapper, die
dem Handelsblatt vorliegt. Der DIW-Vorstand teilt,
auf die Kritik angesprochen, mit, Ziel sei es, „den
Wissenschaftsstandort Berlin, die starken Partner-
schaften mit den Universitäten und außeruniversi-
tären Forschungsinstituten unter anderem durch
die Berlin School of Economics weiter zu vertie-
fen“.
Als wäre die Aufregung um von Weizsä-
cker nicht schon groß genug, kämpft
das DIW dazu offenbar noch mit
Geldsorgen. Mehrere mit den Fi-
nanzkennzahlen betraute Perso-
nen schildern, vor einem Jahr
sei man im DIW noch von ei-
nem Minus im niedrigen
sechsstelligen Bereich ausge-
gangen, von gut 150 000
Euro ist die Rede. Nun soll
sich der Verlust für das lau-
fende Jahr auf angeblich rund
eine Million Euro belaufen. Da-
für ist Fratzscher nicht allein ver-
antwortlich, sondern die gesamte
DIW-Geschäftsführung, ebenso Abtei-
lungsleiter, die Drittmittel einwerben müs-
sen. Auch ist das DIW keineswegs das einzige
Wirtschaftsforschungsinstitut in Geldnöten. Auch in
anderen Häusern steigen die Gehälter schneller als
die Zuweisungen. So soll das Defizit des IfW Kiel vor
nicht allzu langer Zeit noch höher gelegen haben.
„Der Haushalt des DIW Berlin steht auf soliden
Füßen, das Kuratorium hat das Programmbudget
2020/2021 genehmigt“, teilt das DIW dazu mit. Der
Abschluss für 2019 werde erst Mitte 2020 vorliegen.
Erst dann könnten geprüfte Zahlen veröffentlicht
werden.

Geldnöte und leere Versprechen
Die knappen Mittel sollen jedoch ein Grund dafür
sein, warum Versprechen, was Mitarbeiter und Pro-
jekte angeht, nicht eingehalten werden konnten,
was zu Frust unter der Belegschaft geführt hat, kla-
gen Mitarbeiter. „Die Frage ist auch, wie man als In-
stitutsspitze mit Finanzproblemen umgeht, die
schon länger bekannt sind“, sagt ein Abteilungslei-
ter. Der Vorstand hätte bis heute nicht angemessen
auf die Finanzprobleme reagiert. Ein Abteilungslei-
ter soll seinem Ärger in einer Sitzung einmal mit
den Worten Luft gemacht haben: „Drittmittel brau-
che ich nicht mehr einzutreiben, die kommen eh
nicht bei mir an.“
Zugleich muss Fratzscher sich nicht nur extern,
sondern auch intern immer wieder den Vorwurf
anhören, unter seiner medialen Dauerpräsenz leide
zuweilen die wissenschaftliche Leistung des Insti-
tuts. Als die Bundesregierung 2016 die Konjunktur-
prognose der Forschungsinstitute ausschrieb, be-
legte das DIW den letzten Platz und blieb angeblich
nur an Bord, weil das SPD-geführte Wirtschaftsmi-
nisterium damals beide Augen zugedrückt haben
soll.

Geplatzter Institutsausbau


Anfang dieses Jahres bewarb sich das DIW dann da-
rum, das Institut auszubauen und zu einer Schnitt-
stelle zwischen Finanzmärkten und Makroökono-
mik zu machen. Geplant war ein Netzwerk mit dem
IWH Halle und dem Finanzforschungsinstitut Safe.
Während die Anträge des IWH und des Safe durch-
gingen, scheiterte der des DIW. „Die gewählten Ein-
zelthemen sind weder innovativ noch Erfolg ver-
sprechend“, urteilte der Wissenschaftsrat, der die
Bewerbung evaluierte.
Es ist aber nicht so, dass Fratzscher keine Erfolge
vorweisen kann. Regelmäßig müssen sich For-
schungsinstitute wie das DIW einer Evaluierung der
Leibniz-Gesellschaft unterziehen und ihre wissen-

schaftliche Exzellenz beweisen, wovon wiederum
die Mittel abhängen. Andere Institute wie das Ifo
oder das ZEW seien zwar nach wie vor stärker, al-
lerdings habe sich das DIW unter Fratzscher ver-
bessert, heißt es. Im Handelsblatt-Forschungsran-
king belegte das DIW zuletzt Rang vier und schnitt
damit von allen Wirtschaftsforschungsinstituten so-
gar am besten ab.
Auch aus diesen Gründen sehen nicht alle Abtei-
lungsleiter die Lage kritisch. Angeblich sei unter ih-
nen immer wieder mal diskutiert worden, einen
Brief an DIW-Kuratoriumschef Axel Weber zu
schreiben, um ihren Unmut auszudrücken, berich-
ten Mitarbeiter. Es gibt aber auch Abteilungsleiter,
die den Vorstand und Fratzscher in Schutz neh-
men. „Die Kommunikation ist ausreichend, die In-
stitutsspitze ist stets lösungsorientiert, es herrscht
ein gutes Arbeitsklima“, sagt einer. Ein Kuratori-
umsmitglied sagt: „Es wäre ja schön, wenn es eine
Schwarz-Weiß-Geschichte gäbe. Dann wäre der
Wahnsinn DIW leichter zu managen.“ In der Kura-
toriumssitzung am vergangenen Donnerstag übten
die Abteilungsleiter jedenfalls keine offene Kritik.
Offen zur Sprache kam dagegen die Finanzlage.
In der Kuratoriumssitzung wurde auf Initiative des
DIW-Vorstands eine fünfköpfige externe Berater-
gruppe eingesetzt, die das Institut in Strategiefra-
gen, bei Planung und Ausgestaltung der Struktur
beraten soll. Seit vielen Jahren versucht die DIW-
Spitze eine strategische Neuausrichtung, bislang
glückte das nicht. Während einige Mitarbeiter dafür
Fratzscher verantwortlich machen, der „zwar klare
wirtschaftspolitische Positionen, aber keinen Plan
für eine strategische Ausrichtung“ habe, gibt es im
Kuratorium Stimmen, die die Schuld eher bei der
Beharrungskraft etlicher führender Mitarbeiter un-
terhalb der Vorstandsebene sehen.
Die neue Advisory Group solle den angestoßenen
„Prozess der Strategie 2025 beratend begleiten“,
teilt der DIW-Vorstand auf Anfrage des Handels-
blatts mit. Der Strategie- und der Strukturprozess
würden derzeit intern inhaltlich intensiv diskutiert.
„Unterschiedliche Standpunkte dabei sind normal,
da das ganze Haus in den Prozess eingebunden
wird“, so das DIW. Das Kuratorium entschied in sei-
ner Sitzung, die Berater eng an das Aufsichtsgre-
mium zu binden, auch sollten sie sich die Finanzen
näher ansehen. Manch einer im DIW meint, die
Kommission habe damit implizit einen weiteren
Auftrag bekommen: zu prüfen, ob Fratzscher über
2023 hinaus eine dritte Amtszeit bekommen soll.

Das Dekanat wertet


dieses Vorgehen seitens


des DIW-Vorstands


zudem auch als starken


Vertrauensbruch.


Daniel Klapper
Dekan an der HU Berlin

Marcel Fratzscher:
Der Ökonom ist seit
2013 DIW-Präsident. Stefan Boness/Ipon

Ausschnitt aus dem Schreiben an
das DIW-Kuratorium: 80 Dokto-
randen sehen den Ruf des Instituts
gefährdet.

Thomas Berger

Wirtschaft & Politik


MITTWOCH, 27. NOVEMBER 2019, NR. 229


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