Handelsblatt - 27.11.2019

(Barré) #1
Barbara Gillmann, Jan Hildebrand
Berlin

O


laf Scholz (SPD) hat für
jeden eine gute Nach-
richt parat. Der Etat
2020, der nun im Bun-
destag final debattiert
wird, beinhalte eine „substanzielle
Steigerung der Investitionen“, warb
der Finanzminister zu Beginn der
Haushaltswoche. Es gebe mehr Geld
für Klimaschutz. Und für soziale Auf-
gaben. Und dann noch für die Entlas-
tung der Bürger – immerhin 25 Milli-
arden Euro in dieser Legislaturperi-
ode. „Ich finde, das ist eine gute Leis-
tung“, lobte sich Scholz.
Der Finanzminister ist derzeit
nicht nur Kassenwart, sondern vor
allem Bewerber um den SPD-Partei-
vorsitz. Noch bis zum Freitag läuft
die Abstimmung der SPD-Mitglieder.
Und da ist die Haushaltsrede im Bun-
destag eine der besten Möglichkeiten
für Scholz, sich noch mal zu präsen-
tieren und auf die aus seiner Sicht er-
folgreiche Arbeit hinzuweisen.
Die Regierung stärke die Bahn, för-
dere den Umbruch in der Autoindus-

trie, investiere in den Ausbau von Ki-
tas und in eine bessere Ausstattung
von Schulen, so Scholz. Er bekräftig-
te seinen Vorstoß, hochverschulde-
ten Kommunen finanziell zu helfen,
damit diese wieder investieren kön-
nen. Der Etat sorge dafür, „dass
Deutschland ein soziales Land wird,
dass es den technologischen Wandel
beherrschen wird und dass es den
menschengemachten Klimawandel
mit unseren Möglichkeiten in
Deutschland aufhält“, sagte der Fi-
nanzminister. „Das ist genau das
Richtige, was zu tun ist.“
Die Opposition kann mit dem
Selbstlob erwartungsgemäß wenig
anfangen. FDP-Chefhaushälter Otto
Fricke kritisierte, dass Scholz nichts
zum drohenden Wirtschaftsab-
schwung sagte. Der könnte auch das
Zahlenwerk des Finanzministers
schnell in sich zusammenfallen las-
sen. Nach Frickes Ansicht schreibt
Scholz ohnehin keine „schwarze
Null“, sondern „rote Zahlen“. Er ver-
weist darauf, dass der Verzicht auf
neue Schulden nur durch einen Griff
in die Asylrücklage gelingt. Der aktu-
elle Haushalt sieht für 2020 eine Ent-

nahme von 10,6 Milliarden Euro vor –
das sind noch mal 1,4 Milliarden Euro
mehr als ursprünglich geplant.
Daneben gibt es im Etat noch im-
mer eine Finanzierungslücke: Scholz
plant mit sogenannten globalen Min-
derausgaben in Höhe von knapp fünf
Milliarden Euro. Das sind notwendige
Einsparungen, von denen aber noch
nicht klar ist, wo sie herkommen sol-
len. Das Finanzministerium hat die
Minderausgaben damit begründet,
dass erfahrungsgemäß ohnehin nicht
alles Geld abfließe. So schloss der
Haushalt in den vergangenen Jahren
stets mit einem überraschend hohen
Überschuss ab, auch weil etwa nicht
alle Investitionen wie geplant getätigt
werden konnten.
Das allerdings bestärkt die Kritiker
der Opposition eher noch. Sie werfen
der Regierung ohnehin vor, dass sie
zu wenig investiere. Zwar liegen die
Investitionsausgaben mit 42,9 Milliar-
den Euro im kommenden Jahr auf
Rekordhöhe. Doch in der Finanzpla-
nung für die kommenden Jahre rech-
net Scholz mit gleichbleibenden Aus-
gaben – wodurch die Investitionsquo-
te sinken würde.
Der Bund gebe zu wenig Geld für
Bildung und Infrastruktur aus, be-
mängelte FDP-Politiker Fricke. Es ge-
he um den Erhalt der SPD und damit
der Großen Koalition. Fricke hat
nachgerechnet, welche Ministerien
durch die zusätzlichen Ausgaben, auf
die sich Union und SPD in der Berei-
nigungssitzung des Haushaltsaus-
schusses geeinigt hatten, besonders
profitieren. Ergebnis: 2,8 Milliarden
Euro und damit 82 Prozent gehen an
SPD-Häuser, nur 620 Millionen an
Unions-geführte Ministerien.
Unionshaushälter Eckhardt Reh-
berg (CDU) ärgerte die Rechnung.
„Wir sind eine Koalition und arbeiten
gemeinsam für dieses Land“, sagte
er. Und auch Scholz wies die Kritik
der Opposition zurück. Sie wider-
spreche sich, so der Finanzminister.
Einerseits werde ihm vorgeworfen,
zu viel auszugeben und sich aus der
Rücklage zu bedienen, und anderer-
seits würden gleichzeitig Mehrausga-
ben für Investitionen gefordert.
Die Grünen nehmen bei der Forde-
rung nach höheren Investitionen Be-
zug auf den CDU-Parteitag. Das von
der CDU geplante Digitalministerium
lehnen sie ab und fordern stattdessen
ein ressortübergreifendes Digitalbud-
get von 500 Millionen Euro für 2020.
Damit könnten „sofort innovative di-
gitale Projekte umgesetzt werden“,
sagte die Sprecherin für Innovations-
politik der Grünen, Anna Christ-
mann, dem Handelsblatt. Das würde
weit schneller digitale Impulse set-
zen, als das von der CDU beschlosse-
ne eigene Ministerium.
„Wenn die Bundesregierung jetzt
mitten in der Legislaturperiode an-
fängt, die einzelnen Digitalabteilun-
gen der Ressorts mühsam auseinan-
derzuklamüsern und ein eigenes Mi-
nisterium aufzubauen, vergeudet sie
wieder nur wertvolle Zeit“, warnt
Christmann. Mit einem flexibel ein-
setzbaren Digitalbudget hingegen
könne man Dynamik erzeugen und
Projekte ermöglichen, die sonst „in
Grabenkämpfen zwischen den Res-
sorts verloren gehen“.
Für die Gelder sollten sich nach
dem Konzept der Grünen einzelne
Ministerien oder mehrere gemein-
sam für zusätzliche Projekte bewer-
ben können. Über die Zuteilung wür-
de das Digitalkabinett entscheiden,
die Finanzierung würde über das ge-
plante Sondervermögen Bundes -
investitionsfonds laufen.


Kommentar Seite 15



Bundeshaushalt


Schwarze und


rote Zahlen


Die FDP wirft der Regierung vor, dass sie vor allem


SPD-Projekte finanziere, um die Koalition zu erhalten.


Olaf Scholz:
Der Finanzminister
sieht Investitionen in
die richtigen Bereiche
fließen.

dpa

42,

MRD.


Euro betragen die
Investitionsausgaben im
Jahr 2021.

Quelle: Finanzministerium


Ifo-Beschäftigungsindex


Firmen


suchen wieder


mehr Personal


Donata Riedel Berlin


D


er Arbeitsmarkt zeigt Zeichen
der Erholung: Die deutschen
Unternehmen suchen wieder

mehr Personal. Das signalisiert das Ifo-


Beschäftigungsbarometer, das die


Konjunkturforscher monatlich exklu-


siv für das Handelsblatt aus einer Um-


frage unter 9 000 Firmen berechnen.


Das Barometer stieg im November auf


99,5 Punkte. Es zeigt damit – trotz des


leichten Dämpfers im Oktober – einen


Aufwärtstrend seit dem Tiefpunkt im


August.


Vor allem die zuletzt durch die In-


dustrierezession verunsicherten


Dienstleister sind wieder zuversicht-


lich und wollen mehr Leute einstellen.


Unternehmensberatungen und Steuer-


prüfer suchen besonders viel Perso-


nal. „Auch im Bausektor werden mehr


Leute gesucht“, sagte Ifo-Experte


Klaus Wohlrabe. Im Handel bleibt


demnach die Beschäftigung wohl auf


dem aktuellen Niveau. Die Pläne für


Einstellungen und Entlassungen hal-


ten sich die Waage. „Der Arbeitsmarkt


ist weiterhin sehr gut aufgestellt“, so


Wohlrabe.


Mit einer Ausnahme: In der Indus-


trie, die sich angesichts schwacher Ex-


porte seit einem Jahr in einer Rezessi-


on befindet, dürfte die Zahl der Be-


schäftigten weiter sinken. Zu dem


befürchteten Überschwappen von


Entlassungswellen auf Dienstleister


und die übrige Binnenkonjunktur


kommt es aber wohl nicht. Das Ifo-In-


stitut rechnet für das laufende vierte


Quartal mit einem Wachstum der


Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent.


Ifo-Konjunkturexperte Timo Woll-


mershäuser hatte sich zuletzt zuver-


sichtlich gezeigt, dass der Abschwung


seine Talsohle erreicht hat und


Deutschland nicht in eine Rezession


abgleiten wird – auch wenn das


Wachstum schwach ist. Der am Mon-


tag veröffentlichte Ifo-Geschäftskli-


maindex ist im November ebenfalls


gestiegen – außer in der Industrie, die


in der Rezession verharrt.


Die gute Lage am Arbeitsmarkt lässt


den Einzelhandel auf ein gutes Weih-


nachtsgeschäft hoffen. Das signalisier-


te am Dienstag der Konsumklima index


des GfK-Marktforschungsinstituts. Die


Verbraucher hätten „durch ihre ausge-


sprochen gute Konsumlaune maßgeb-


lich dazu beigetragen, dass im dritten


Quartal eine Rezession in Deutschland


verhindert werden konnte“, sagte GfK-


Konsumexperte Rolf Bürkl.


Beschäftigungsbarometer


Ifo-Index in Punkten, 2015 = 100


Deutschland

99,5 Pkt.


HANDELSBLATT


Nov. 2018 Nov. 2019


Quelle: Ifo Institut

106


104


102


100


9

96

Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 27. NOVEMBER 2019, NR. 229

8

Free download pdf