Freitag, 15. November 2019 ∙Nr.266∙240.Jg. AZ 8021Zürich∙Fr.5.20 ∙€5.
Nur ein Teilerfolg
für von der Leyen
Kandidat aus Ungarn fällt im EU-Parlament durch
Zwei von drei Ersatz
kommissaren haben vom EU
Parlament am Donnerstag grünes
Licht bekommen. Die schlimmste
Variante – eine Ablehnung
des Franzosen Thierry Breton –
konnte abgewendet werden.
DANIELSTEINVORTH, BRÜSSEL
Ursula von der Leyen kann aufatmen.
Die zuständigenAusschüsse des Europa
parlaments haben am Donnerstagabend
grünes Licht für ihre nachnominierten
Kommissarsanwärter, den Franzosen
Thierry Breton und dieRumäninAdina
Valean, gegeben.Breton erhält imTeam
der deutschenKommissionspräsidentin
das Binnenmarkt und Industrieressort,
Valean wird von der Leyens neueVer
kehrskommissarin. Einzig der Ungar
OliverVarhelyi erhielt nach der drei
stündigen obligatorischen Anhörung
nicht den Segen der Europaabgeordne
ten. Er hätte das politisch heisse Dos
sier der EUErweiterung übernehmen
sollen. Schon zum zweiten Mal fällt da
mit ein Kandidat aus Budapest durch.
Interessenkonfliktegewittert
Die Voraussetzung dafür, dass die neue
Kommissionwiegeplantam1. Dezember
ihre Arbeit aufnehmen kann, ist damit
zwar nicht gegeben.Dennoch hätte wohl
vor allem die Ablehnung desFranzosen
Breton die EU in einen neuenKonflikt
stürzenkönnen. Der 64jährige ehema
ligeFirmenchef,WirtschaftsundFinanz
minister war die persönlicheWahl des
französischen Präsidenten Emmanuel
Macron, weswegen dieser am Donners
tagganzgenauhingeschauthabendürfte.
Bereits dieAblehnung der ersten franzö
sischen KandidatinSylvie Goulardemp
fand Macron alsFiasko. Um die Bezie
hungen zwischen Brüssel undParis steht
es seither nicht zum Besten.
Keineswegs sicher war dieWahl des
GoulardNachfolgers,weil Abgeordnete
der Sozialdemokraten, Grünen und Lin
ken schwere Interessenkonflikte gewit
tert hatten: Breton leitete bis vor weni
gen Tagen den ITKonzern Atos,der die
EuropäischeUnionalswichtigenKunden
hat.SobeteiligtesichAtoslauteinemBe
richt der Nachrichtenwebsite «Netzpoli
tik» an einemSystem für den Abgleich
biometrischerDiensteimEUVisaInfor
mationssystem.Lobbywächterwiesenzu
demaufdasintensiveLobbyingvonAtos
Mitarbeitern in Brüssel hin und hatten
das Europaparlament aufgefordert, Bre
ton alsKommissar abzulehnen.
WährendseinerAnhör ung beteuerte
Bretongegenüber den Abgeordneten
nun,sich nicht anKommissionsentschei
dungen zu beteiligen, die seine ExFir
men beträfen: «MeinKompass wird das
allgemeine europäische Interesse sein.»
Er habe zudem alle seine Aktien ver
kauft und seinePosten in Unternehmen
aufgegeben, sagte der designierteKom
missar, der laut seinemAuftragsschrei
ben Europas «technologische Souverä
nität» steigern soll. Mit seinen Zustän
digkeiten,dievonderIndustrieüberdie
Digitalpolitik bis hin zurRaumfahrtrei
chen, dürfte der Gefolgsmann Macrons
in jedemFall zu den einflussreichsten
künftigen EUKommissaren gehören.
Dass der Widerstand gegen Bre
ton am Donnerstag bröckelte, könnte
mit einem Zugeständnis von der Ley
ens gegenüber ihren Skeptikern imPar
lament zu tun haben. Die designierte
Kommissionspräsidentin hatte sich noch
am Vortag bereit erklärt, den umstritte
nen Titel ihresVizepräsidenten Marga
ritis Schinas zu ändern. Statt «Schutz
unserer europäischen Lebensweise» soll
sein Ressort künftig «Förderung unse
rer europäischen Lebensweise» heissen.
Und auch andereKommissarstitel wur
den nochrechtzeitig denWünschen lin
ker und grünerAbgeordneterangepasst.
Strafverfahren gegen London
Davon abgesehen dürfte auch bei vie
lenAbgeordneten,diedasKräftemessen
mit von der Leyen und Macron genos
sen haben, das Interesse abgeflaut sein,
den Start der neuenKommission weiter
zu verzögern. Bereits am1. November
hätte von der Leyen die Amtsgeschäfte
von JeanClaudeJuncker übernehmen
sollen.DochallzulangemusstedieKom
missionschefin bei denRegierungen in
Rumänien, Frankreich und Ungarn
schliesslich um Ersatzkandidaten bitten.
Die Ablehnung des UngarnVarhelyi
ist nun ein weitererRückschlag für von
der Leyen: Der vonViktor Orban nomi
nierte Kandidatkonnte die Europaabge
ordneten nicht davon überzeugen, un
abhängig von Budapest,rein «im euro
päischen Geist», zu handeln.Womög
lich muss Ungarn damit zumdritten
Mal einenPersonalvorschlag machen.
Grossbritannien hingegen weigert sich,
genau das zu tun. Die britischeRegie
rung hatte am Mittwochschri ftlich mit
geteilt, dass sie vor derParlamentswahl
am12. DezemberkeinenEUKommissar
vorschlagen werde, wie es von der Leyen
gewünscht hatte. Die amtierendeKom
mission startete am Donnerstag einVer
tragsverletzungsverfahren.DerEUStaat
habeseinePflichtennichteingehalten,er
klärte die Brüsseler Behörde am Abend.
Migros: Konflikt im Welschland offenbart fundamentale Schwäche des Konzerns Seite 12
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Tief «Benjamin» setzteAnfang 2019Teile der niederländischen InselTerschelling unterWasser. KADIRVAN LOHUIZEN / NOOR
SERIE ZUM ANTHROPOZÄN
Sturmflutwarnung
WOCHENENDE SEITE 45–
Masernimpfung für Kinder
wird inDeutschland Pflicht
In der Schweiz brächte ein Obligatorium wenig Fortschritte
ars. Berlin / ni.·In mehreren EULän
dern greift die Masernimpfpflicht schon,
am Donnerstag hat auch der Deutsche
Bundestag einen obligatorischen Impf
schutzinKindertagesstättenundSchulen
beschlossen.Durch das vom CDUGe
sundheitsministerJens Spahn vorgelegte
Gesetz soll die ansteckendeVirusinfek
tion effektiver bekämpft und die Impf
quote erhöht werden.Für Spahn ist die
Sache eindeutig: «Masernschutz ist Kin
derschutz.»InnamentlicherAbstimmung
votierten 459 Abgeordnete für das Ge
setz,89 lehnten es ab, 105 enthielten sich.
Bis zu 2500 Euro Busse
Eltern, die ihre Kinder nicht gegen Ma
sern impfen lassen, droht abkommen
dem März ein Bussgeld in Höhe von bis
zu 2500 Euro. Dasselbe gilt für Kinder
tagesstätten, die nichtgeimpfte Kinder
betreuen. Die Impfpflichtbetri fft nicht
nur Kinder, sondern auch Erzieher und
Tagesmütter sowie dasPersonal in Ge
sundheitseinrichtungen und Flüchtlings
unterkünften.
Die meisten Erwachsenen zwischen
20 und 50Jahren werden von dem Ge
setz also nicht betroffen sein, obwohl
die Durchimpfung gerade in dieser Be
völkerungsgruppe unterdurchschnittlich
ist.Das war einer der Hauptkritikpunkte
von AfD und Grünen in der Bundes
tagsdebatte. Spahnsetzt hier auf die ver
stärkteAufklärung der Bürger, die eben
falls im Gesetzvorgesehen ist.Ausser
demsolleesKinderärztenkünftigleichter
möglichsein,auchErwachsenezuimpfen.
Auch in der Schweiz flammt die Dis
kussionumeinMasernimpfobligatorium
regelmässig auf, das letzte Mal imFrüh
ling. Die Debatte befeuert hatte diere
lativhoheZahlanMasernerkrankungen
seit Jahresbeginn. Zudem waren zwei
Männer gestorben.Einige Gesundheits
politikerfordertendamalsdenBundauf,
einen Impfzwang und ein Bussensystem
für Impfverweigerer zu prüfen.
So weit ist es bis jetzt nicht gekom
men.Laut Daniel Koch vom Bundesamt
für Gesundheit (BAG) müsste man für
ein Obligatorium, wie es Deutschland
einführt, in der Schweiz zuerst das Epi
demiengesetz anpassen. Neben diesen
juristischen Hürden sei ein Impfzwang
hierzulande auch nicht nötig. Denn da
mit könne man nur die Impfrate bei den
Kindern erhöhen, erklärtKoch. In die
ser Altersgruppe seien die Zahlen aber
jetzt schongut. Die Impflücken bestün
den bei den älterenPersonen, die man
mit dem deutschen Obligatorium nicht
erreichen würde.
Wichtige 95-Prozent-Hürde
DerBAGVertreter ist zudem über
zeugt, dass ein Obligatorium vor allem
die Rate an vergessenen Impfungen ver
kleinert. Um mehr zu erreichen, müsse
man die Menschen vom Nutzen und der
Sinnhaftigkeit der Impfungen überzeu
gen. DasBAG setzt deshalb bei seinen
Kampagnen auf Information und Sensi
bilisierung. Damit habe man in den letz
ten Jahren die impfkritischen Kreise ver
kleinernkönnen, sagtKoch. Die Impf
gegner, die aus ideologischen oderreli
giösen GründenImpfungen ablehnten,
erreiche man aber nicht. Diese Gruppe
mache etwa 3 bis 5 Prozent der Bevöl
kerung aus. Das sei verkraftbar.
Mit ihrer Strategie ist die Schweiz bei
den Masern auf gutemWeg, aber noch
lange nicht am Ziel. Optimal wäre eine
Durchimpfungsrate von mindestens 95
Prozent. Dann würden selbst ungeimpfte
Personen nicht mehr angesteckt. Diese
Rate ist auch notwendig,um das Masern
virusdauerhaftzueliminieren.Zudiesem
ZielhatsichdieSchweizwiealleeuropäi
schenLänder verpflichtet.
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