Neue Zürcher Zeitung - 15.11.2019

(Ann) #1

Freitag, 15. November 2019 MEINUNG & DEBATTE


Auslagerung von polizeilichen Aufgaben


Die Security-Branche br aucht klare Regeln

Es ist nie gut, wenn der Bund inAufgaben tätig
wird, für die eigentlichdie Kantonezuständig sind.
Doch ausgerechnet imPolizeibereich, einem der
zentralenKompetenzbereiche der Kantone, muss
er jetzteingreifen.WährendJahren versuchten die
Justiz- undPolizeidirektoren erfolglos, schweizweit
einheitliche Qualitätsanforderungen für private
Sicherheitsunternehmen zu etablieren. Ein pfan-
nenfertigesKonkordat mit Minimalstandards für
Security-Firmen lag bereits vor– dennochkonnten
sich die Deutschschweizer Kantone nicht zu einem
gemeinsamenVorgehen durchringen. Es ist pein-
lich, dass die Kantone, die sonst stets so sehr auf
ihre Souveränität und Eigenständigkeit pochen, da-
mit kläglich scheiterten–und jetzt wohl der Bund
einspringen muss. Demnächst entscheidet der
Ständerat über dieseFrage.
Auch wer denFöderalismus hoch gewichtet,
muss einsehen:Kommen die Kantone in einem
derart heiklen Bereich nicht zum Ziel, ist der
Schritt zu einem Bundesgesetz als UltimaRatio


unvermeidlich. Die Bedeutung der privaten Sicher-
heitsdienste ist in den letztenJahrenrasch ge-
wachsen. Die zunehmende Angst vor Anschlägen
sowie das veränderteAusgehverhalten vor allem
amWochenende haben zu einem stark steigen-
denPersonalbedarf imSicherheitsbereich geführt.
Ob an denBahnhöfen, bei nächtlichenPatrouil-
len in ländlichenRegionen oder am Eingang zu
Sportanlässen und anderen Grossveranstaltungen:
Fast überall ist uniformiertesPersonalunterwegs,
das dieAutorität vonPolizisten ausstrahlt, aber
nicht von derPolizei ausgebildet und angestellt
ist. Immermehr Gemeinden gehen dazu über,pri-
vatesPersonal mit polizeilichenAufgaben zu be-
auftragen. Inzwischen gibt es fast 900 Security-
Firmen, fürdie über 22 000 Personenregelmässig
im Einsatz sind.
Indem der Staat klassische Polizeiaufgaben
auslagert, befindet er sich in einemKernbereich
auf demRückzug. Gegen eine solche Delegation
einzelnerAufgaben ist grundsätzlich nichts ein-
zuwenden, sofern private Anbieterkeine hoheit-
lichenAufträge übernehmen und nur Mitarbeiter
aufPatrouille sind, die ihrerAufgabe charakterlich
und ausbildungsmässig gewachsen sind. Der Staat
muss deshalb die Qualität gewährleistenkönnen,
wenn er polizeilicheAufgaben schon nicht sel-
ber erbringt. In der Sicherheitsbranche ist der

Preiskampf jedoch gigantisch – zumal auch viele
Gemeinden schlecht bei Kasse sind.Das Bin-
nenmarktgesetz erlaubt es ausserdem, dass sich
Sicherheitsfirmen gezielt in jenem Kanton nie-
derlassen, in dem die geringsten Anforderungen
an dieAusbildung und die Qualifikation gestellt
werden.Das hat unweigerlich Druck auf die Qua-
litätzurFolge.
Es ist deshalb ein Alarmzeichen, wenn sogar
die Sicherheits-Branche selbst nach strengeren
Vorschriften ruft und ein Bundesgesetz mit Min-
deststandardsregelrecht herbeisehnt. Doch nicht
nur sie, auch die öffentliche Hand bekommtrasch
ein Glaubwürdigkeitsproblem, wennPersonal mit
unbekannter Qualifikation unterwegs ist, um für
Ruhe und Sicherheit zu sorgen.Welche Risiken
sich das Gemeinwesen einhandelt, zeigen die wie-
derkehrenden Berichte über Sicherheitsfirmen, die
Personal zuDumpinglöhnen auf die Piste schicken.
Entsprechend schlecht ist das Image der Branche –
während die Polizei noch immer hohes Ansehen ge-
niesst. Nichts drückt dieses Selbstverständnis bes-
ser aus als der alte Slogan: «DiePolizei, deinFreund
und Helfer». An diesem Bewertungsmassstab sollen
sich auch private Anbieter messen müssen,wenn
sie fürRuhe, Sicherheit und Ordnung sorgen – und
wenn es dafür nach dem Scheitern desKonkordats
ein Gesetz braucht.

Es ist ein Alarmzeichen,


wenn sogar die Branche


selbst nach strengeren


Vorschriften ruft


und ein Bundesgesetz


mit Mindeststandards


regelrecht herbeisehnt.


Initiative des Mi eter verbands


Für bezahlbare Wohnungen braucht es den Staat nicht

Am nächsten eidgenössischen Abstimmungssonn-
tag, dem 9.Februar 2020, wird über eineVorlage
entschieden,dieauf den ersten Blick unwidersteh-
lich daherkommt. «Mehr bezahlbareWohnungen»
nenntsich die Initiative, die der Mieterverband zu-
sammen mit denWohnbaugenossenschaften, dem
Gewerkschaftsbund sowie SP und Grünen lanciert
hat. Der Name der Initiative ist einParadebeispiel
für gutePolit-Kommunikation, denn wer hatschon
etwas gegen mehr bezahlbareWohnungen.
Aber das Etikett ist in mehrfacher Hinsicht
irreführend. Erstens suggeriert es, dass es in der
Schweiz zu wenig bezahlbareWohnungen gebe.
DieRealität sieht jedoch anders aus. Landesweit
stehen mehr als 75 000 Wohnungen leer – und dies
nicht, weil sie zu teuer wären. Einzig in den grösse-
ren Zentren herrscht immer noch Knappheit,wobei
sich die Situation dort ebenfalls etwas entspannt
hat.Auch was die Bezahlbarkeit derWohnun-
gen anbelangt, ist die SchweizkeinAusreisser. Im


Schnitt wenden die Bewohner hierzulande knapp
15 Prozent ihres Brutto-Haushaltseinkommens für
dasWohnen auf, ähnlich viel wie in anderenLän-
dern Europas. Einzig bei den Haushalten mit tiefen
Einkommen ist derWohnkostenanteil mit 31 Pro-
zent an der Grenze desTr agbaren.
Zweitens haben die Initianten eine spezielleVor-
stellung davon, was als bezahlbarerWohnraum gel-
ten soll. Im vorgeschlagenenVerfassungstext geht
es nicht etwa darum, grundsätzlich für preisgüns-
tigenWohnraum zu sorgen oder Massnahmen zu
treffen, damit sich möglichst alle einDach über
demKopf leistenkönnen. Ziel ist einzig und allein,
den Anteil der Genossenschaftswohnungen am Ge-
samtwohnungsbestand zu erhöhen–als ob dies der
alleinseligmachendeWeg zumehr bezahlbarenWoh-
nungen wäre. Sogar dasTempo derFörderung wird
explizit vorgegeben: 10 Prozent der neu gebauten
Wohnungen sollen künftig jeweils im Eigentum ge-
meinnützigerTr äger sein; das wäre rund das Drei-
fache des bisherigen Anteils. Dass dies nicht ohne
starke Eingriffe in denWohnungsmarkt funktionie-
ren kann, ist auch den Initianten klar. Deshalb um-
fasst ihrVorstossgleich noch einVorkaufsrecht der
Kantone und Gemeinden für taugliche Grundstücke.
Staatliche Quotenvorgaben fürWohnungen,
Vorkaufsrechte für Kantone und Gemeinden –

das sieht stark nach Planwirtschaft aus und wäre
ziemlich das Gegenteil der bisherigen, marktwirt-
schaftlich orientiertenWohnungspolitik des Bun-
des. EinerPolitik notabene, die im Grossen und
Ganzen gut funktioniert.Ja, esgab bis vor zwei
JahrenWohnungsknappheit, aber daran war vor
allem die starke Zuwanderung schuld. Der Markt
hatreagiert, und die nachgefragtenWohnungen,
die nun einmal nichtvon heute auf morgen erstellt
werdenkönnen, sind nun da. Sie sind im Übrigen
auch längst nicht mehr so luxuriös wie noch vor ei-
nigenJahren, denn auch diese Botschaft ist bei den
Investorenangekommen. ImTr end sind nunkos-
teneffizientgebaute Kompaktwohnungen mit opti-
mierten Grundrissen – ähnlich, wie sie auch Genos-
senschaften erstellen.
Nüchtern betrachtet, gibt eskeinen Grund, am
bestehendenSystem, das ja Genossenschaften
ebenfalls fördert (einfach in bescheidenerem Um-
fang), zu rütteln. Der überwiegendeTeil der Bevöl-
kerung hat eine bezahlbareWohnung. Dies gröss-
tenteils dankdem privatenWohnungsmarkt, aber
speziell an Orten, woWohnraum vergleichsweise
knapp und teuer ist, auch wegen der Genossen-
schaften. Den anderen, für die dieWohnungen tat-
sächlich zu teuer sind, ist am meisten gedient, wenn
si e direkte finanzielle Zuschüsse erhalten.

Die Initiative suggeriert,


dass es in der Schweiz


zu wenig bezahlbare


Wohnungen gebe.


Die Realität sieht anders


aus. Landesweit stehen mehr


als 75 000Wohnungen leer.


Ein Programmierfehler bei der Facebook-App schreckt die iPhone-Besitzer auf


Hadern mit Zuckerbergs Hackermentalität

Immer wiederkeimen Gerüchte auf, dassFacebook
die Kameras und Mikrofone von Computern und
Smartphones missbrauche, um die Anwender aus-
zuspionieren. Nun ist es zwar schonso, dassFace-
book Informationen überFacebook-Anwender zu-
sammenträgt und indirekt weiterverkauft; dieser
Datenhandel ist dieBasis desFacebook-Geschäfts-
modells.Aber dieses Geschäftsmodell ist nichtauf
die Kameras und Mikrofone angewiesen, die die
AnwenderalsBestandteil ihrer Smartphones mit
sich herumtragen.
Die Ängste, vonFacebook abgehört oder beob-
achtet zu werden, sind irrational. Und diese Irratio-
nalität erschwert den Schutz der Privatsphäre.Es
ist, als würde ein Hausbesitzer, der alleTüren und
Fenster sperrangelweit offenhält, sich davor fürch-
ten,dassein Einbrecher einenTunnel gräbt,um ins
Haus zu gelangen.Facebook ist nicht aufAugen
oder Ohren angewiesen, um dieFacebook-Anwen-
der bis ins intimste Detailkennenzulernen.


Nun ist es aber tatsächlich passiert:Facebook
hat ohne Notwendigkeit und ohneWissen der An-
wender auf die Kameravon iPhone-Besitzernzu-
gegriffen.Jüngst wurde bekannt, dass dieFace-
book-App auf Apple-Smartphones die rückseitige
Kamera aktiviert, falls der Benutzer beider Instal-
lation dieser Software den Zugriff auf die Kamera
freigegeben hat.Dabei wurden aberkeine Bil-
der anFacebook übermittelt oder auch nur aufge-
zeichnet. Warum aktiviert dieFacebook-App bei
jeder Benutzung die Kamera? Es sei ein «Bug»,
gabFacebook bekannt. Der Programmierfehler
sei mit einem Software-Update eingeführt worden,
habe aber bereits dieseWoche durch ein neueres
Update wieder beseitigt werdenkönnen. Doch es
dürfte noch eineWeile dauern, bisdie Gemüter sich
wieder beruhigen.
Menschen machenFehler, auch Computerpro-
grammierer sind Menschen. Computersoftware ist
fehlerhaft, und dieFacebook-App ist halt auch nur
Software. Es ist, wie es ist.Tr otzdem wäre es falsch,
jetztrasch zurTagesordnung überzugehen.
In der «Geburtsurkunde» vonFacebook – einem
Schreiben an die amerikanische Börsenaufsicht
kurz vor dem Börsengang 2012 – wurden Schnel-
ligkeit und Risikobereitschaft alsKernelemente der
Firmenkultur genannt. Man orientiere sich an dem

Sprichwort: «Move fast and break things» – «be-
wege dich schnell und zerstöre Sachen».Wer nie
etwas kaputtmache, bewege sich nicht schnell genug.
«Schnelles Handeln ermöglicht es uns, mehr
Dinge zu entwickeln und schneller zu lernen.»
Angst vorFehlern sei einFehler. «In einerWelt,
die sich schnell verändert, wird scheitern, werkeine
Risiken eingeht.Das grösste Risiko ist,keine Risi-
ken einzugehen.» Diese Hacker-Mentalität prägt
Facebook bis heute. Es scheint, als habe dieFirma
aus all den«Datenskandalen» nichts gelernt.
Manchmal sind Programmierer gut beraten,
langsam zu sein und gut aufzupassen, dass nichts
kaputtgeht. Es gibtAnwendungen, bei denen Pro-
grammierfehler nicht tolerierbar sind. Bei medi-
zinischen Geräten beispielsweise oder bei Steue-
rungscomputern von Flugzeugen werden an die
Software-Entwickler erhöhte Anforderungen ge-
stellt. Mit den heute verfügbaren Programmier-
werkzeugen und mit gängigenTestverfahren ist
es durchaus möglich, ein akzeptables Qualitäts-
niveau zu erreichen. Die Smartphone-Kamera
ist zwarkeinAutopilot, das Mikrofonkein Herz-
schrittmacher. Doch bei einer App, die auf diese
Sensoren zugreift, bei einer Smartphone-App, die
dem Anwender so nahekommt,verträgt eskeine
Schludrigkeiten.

Mit den heute verfügbaren


Programmierwerkzeugen


und mit gängigen


Testverfahren ist es


durchaus möglich, ein


akzeptables Qualitätsniveau


zu erreichen.

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