Neue Zürcher Zeitung - 15.11.2019

(Ann) #1

Freitag, 15. November 2019 SCHWEIZ 13


Die Klimabewegung


drängt in die Waadtländer Kantonsr egierungSEITE 14


Das Bundesgericht lockert die Bedingungen


für die «kleine Verwahrung» von St raftäternSEITE 15


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Sogar die Security-Branche selbst


ruft nach einem Gesetz


In den Kantonen gibt e s keine Mindeststandards für privates Sicherheitspersonal – nun soll der Bundesrat helfen


ERICHASCHWANDEN,DANIEL GERNY


Sie heissen Broncos Security, Daru-Wa-
che oder Delta Security: SeitJahren sor-
gen Einsätze von privaten Sicherheits-
firmen immer wieder für Schlagzeilen.
Erst kürzlich trugen die Chefs und die
Angestellten der FirmaDaru-Wache
ihren Streit umDumpinglöhne und an-
gebliche Betrügereien an ihrenAuftrag-
gebern öffentlich im «Blick» aus. Im ver-
gangenenJahr wurde ein Mitglied von
Broncos Security, einer aus einem Mo-
torradklub hervorgegangenenFirma,
vom Bundesgericht wegen Amtsanmas-
sung zu einer bedingten Geldstrafe ver-
urteilt. Der Mann hatte bei einer Litte-
ring-Kontrollewiderrechtlich denAus-
weis eines Jugendlichen fotografiert.
Auch ein Einsatz derFirma Delta Secu-
rity sorgte unlängst fürKontroversen,
weil deren Mitarbeiter imAuftrag des
Kantons Zürich bei Einvernahmen der
Staatsanwaltschaft anwesend waren.


Mehr Personalals diePolizei


Private Sicherheitsfirmen wachsen seit
Jahren. Inzwischen beschäftigt die Bran-
che landesweit rund 22 000 Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter und generiert
einenJa hresumsatz vonrundeiner Mil-
liardeFranken. Die Branche boomt vor
allem aus einem Grund: Zunehmend
haben Bund, Kantone und vor allem
Gemeinden polizeilicheAufgaben wie
Verkehrskontrollen,Patrouillen zur Ab-
schreckung von Einbrechern oder die
Bewachung von schützenswertenArea-
len an private Unternehmen ausgelagert.
Security-Angestellte sind in Schwei-
zer Städten längst zum festen Bestandteil
des Strassenbildes geworden:Für viele
Bürgerinnen und Bürger sind sie mit
ihren Uniformen kaum vonPolizisten zu
unterscheiden. IhrJob bringt es mit sich,
dass sieAutorität ausstrahlen müssen –
obwohl siekeine hoheitlichen Befug-
nissehaben. Die heiklen Situationen,in
welche die Security-Leute geratenkön-
nen, erfordern nicht nur eine guteAusbil-
dung, sondern auch eineentsprechende
Persönlichkeit. Es wäre deshalb zu erwar-
ten, dass der Staat solchenFirmen beson-
ders genau auf dieFinger schaut. Doch
das Gegenteil ist derFall: Seit mehr als
zehnJahren versuchen die Kantone, Min-
deststandards für die boomende Branche
aufzustellen – vergeblich.
Einheitliche Qualitätsstandards feh-
len deshalb bis heute. Dass der Schwei-
zerischePolizeiverband seit langem vor
einemWildwuchs im Sicherheitsbereich
warnt, ist nicht erstaunlich. Doch auch
der Security-Branche selbst gefallen die
gegenwärtigen Zustände nicht. Sie macht
Druck:«Die private Sicherheitsbranche
kann sich längerfristig nur entwickeln,
wenn sie von der Öffentlichkeit alskom-
petent wahrgenommen wird»,erklärt
Matthias Fluri vomVerband Schwei-
zerischer Sicherheitsdienstleistungs-


Unternehmen (VSSU). Zwar arbeite
der grössteTeil der rund 900Firmenkor-
rekt und achte auf Standards, doch die
schwarzenSchafe zerstörten denRuf und
verfestigten das schlechte Image.
DerWirrwarr an behördlichenVor-
schriften hatte zurFolge, dass Sicherheits-
unternehmen vor allem in Kantonen mit
besondersniedrigen Anforderungen an
Ausbildung und Strukturen wie Pilze aus


dem Boden geschossen sind. Zum Ärger
jener Kantone, dierestriktivereRegelun-
gen erlassen haben, dürfen diese in der
ganzen Schweiz tätig werden – selbst
wenn in anderen Kantonen höhereVor-
schriften gelten. Möglich macht dies das
Binnenmarktgesetz, das die Diskriminie-
rung von Unternehmen verbietet, die in
einem anderen Kanton eine Zulassung
erhalten haben. DieFolge: DemWild-
wuchs wirdTür undTor geöffnet.

Kantonehaben versagt


Nun aber ist ein EndedesTr auerspiels
in Sicht: Die SicherheitspolitischeKom-
mission (SiK) des Ständerats befürwor-
tet ein Bundesgesetz für private Sicher-
heitsunternehmen. Sie hat sich mit7zu
4Stimmen für eine Motion von National-
rätin Priska Seiler Graf ausgesprochen,
die vom Bundesrat die Schaffung eines
solchen Gesetzes verlangt. «Es ist ausser-
ordentlich bedauerlich, dass die Kantone
in dieserFrage nicht in derLage sind,
eigenständig kantonsübergreifende und
einheitlicheRegelungen zu schaffen»,
sagt der St. GallerRegierungsrat Fredy
Fässler, der demVorstand derKonfe-
renz der kantonalenJustiz- undPolizei-
direktoren (KKJPD) angehört. «Inhalt-
lich lässt sich mit einem Bundesgesetz
allerdings die gleicheWirkungerzielen.»
Der Entscheid, den derRat in der
kommenden Session bestätigen muss, ist
eineKehrtwende – und ein Eingeständ-
nis, dass die Kantone versagt haben:
Polizeifragen fallen in ihre Zuständig-
keit, längst müsste die Sache deshalb ge-
regelt sein. Doch das 2010 gegründete
Konkordat über private Sicherheits-
dienstleistungen mit einheitlichen Min-
destvorschriftenkonnte seine Arbeit nie
aufnehmen. Dies,weil gemässFässler
die Kantone Zürich und Bern entgegen
ihren Zusicherungen demKonkordat
nicht beitraten. «Ohne die beiden be-
völkerungsstärksten Kantone kann die
beabsichtigteVereinheitlichung der Zu-
lassungsvoraussetzungen nichtrealisiert
werden»,sagt der St. Galler Sicherheits-
direktor mit Bedauern. ImSommer 20 17
blieb denJustiz- undPolizeidirektoren
dahernichts anderesübrig, als dasKon-

kordat zu sistieren. Einheitliche Mini-
malstandards gibt es deshalb nur bei
den sechsWestschweizerKantonen, die
schon seit über zwanzigJahren über ein
funktionierendesKonkordat verfügen.
Doch innerhalb der KKJPD ist weit-
gehend unbestritten, dass der heikle Be-
reich der privaten Sicherheitsdienstleis-
ter nicht einfach unreguliert bleiben darf.
«Es kann nicht sein, dass wegen schwe-
rer Körperverletzung vorbestrafteTür-
steher ohneAusbildung und ohne Prü-
fung der charakterlichen Eignung zu die-
ser Tätigkeit zugelassen werden», erklärt
FredyFässler. Bund, Kantone und Ge-
meinden verfügten lediglich über rund
19000 ausgebildetePolizistinnen und
Polizisten und somit über wenigerPer-
sonal als Security-Firmen.
Noch ist offen, wie eine gesamt-
schweizerische Lösung aussehenkönnte,

doch gesetzliche Bestimmungen, die sich
amWestschweizerKonkordat orientie-
ren,drängen sich auf. Damit haben die
KantoneFreiburg,Genf, Jura, Neuen-
burg, Waadt undWallis so gute Erfah-
rungen gemacht, dass sie sich bis vor
kurzem ebenfalls gegen eine landes-
weiteRegelung und damit gegen zu-
sätzlicheVorschriften durch den Bund
aussprachen. Inzwischen scheinen diese
Differenzen aber ausgeräumt zu sein.
Nicht zuletzt diese Entwicklung veran-
lasste die Ständeratskommission, für ein
Bundesgesetz grünes Licht zu geben.
«Für dieKommission war sehr wich-
tig, dass nun auch dieVertreter der
Westschweizer Kantone darum gebeten
haben, dass der Bund eineeinheitliche
Lösung findet.Wenn die KKJPD nicht

geschlossen aufgetreten wäre, hätten wir
nicht zugestimmt», erklärt der SiK-Prä-
sidentJosef Dittli auf Anfrage der NZZ.
Der Urner FDP-Ständerat geht davon
aus, dass nun analog demKonkordat in
derRomandie Minimalstandards defi-
niert werden. Diese Bundeslösung soll
für sämtlicheKantone verbindlich sein.
«Dabei soll eskeinen Spielraum geben.
Daswürde nur zu neuen Problemen im
Vollzug führen», sagt Dittli. DieKom-
missionkommt damit auch einem An-
liegendes VSSU entgegen. Für private
Sicherheitsfirmen sind nicht nur mini-
male,sondern auch einheitliche Stan-
dards wichtig: Gelten von Kanton zu
Kanton unterschiedlicheRegeln, steigt
der administrativeAufwand für landes-
weit tätige Unternehmen.Auch für Sei-
ler Graf stellen die in derWestschweiz
gemachtenVorarbeiten eine taugliche
Grundlage für eine Bundeslösung dar.
Mit dem Bundesrat ist auch jene
Instanz im Boot, die den Kantonen den
Ausweg aus der Misere weisen soll. Ur-
sprünglich wollte sich dieLandesregie-
rung nicht in diese Angelegenheit ein-
mischen. Doch als klar wurde, dass die
KantonekeineRegulierung perKonkor-
dat erreichen würden, vollzog die dama-
ligeJustizministerin Simonetta Somma-
ruga im Herbst 20 18 eineKehrtwende.
Ihre Nachfolgerin KarinKeller-Sutter
kennt die Problematik aus ihrer Zeit als
St. Galler Sicherheits- undJustizdirek-
torin ausgezeichnet und dürfte einer
Bundeslösung nun ebenfalls zustimmen.
Der Nationalrat hat ein Bundes-
gesetz im Grundsatz schon früher be-
fürwortet.Auch im Ständerat sind die
Aussichten nach demKommissionsent-
scheidvon letzterWoche nicht schlecht.
Ob der Coup aber tatsächlich gelingt, ist
bis zum letzten Moment offen: Denn in
der kleinenKammer ist das Bewusst-
sein für die föderalistischen Strukturen
deutlich ausgeprägter als im Nationalrat


  • und er ist immer wieder für eine Über-
    raschung gut. «Ich nehme unverändert
    Widerstände gegen eine Bundeslösung
    wahr. Ich gehe aber davon aus, dass diese
    in der Zwischenzeit mehrheitsfähig ist»,
    sagtFässler und hofft, dass das jahre-
    lange Hin und Her bald ein Ende hat.


Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma im Einsatz bei einem PublicViewingwährendder Fussball-WM2018. CHRISTIAN BEUTLER / KEYSTONE

Leuthard


trägt Mitschuld


an Postauto-Affäre


Die Geschäftsprüfungskommiss ion
rügt die ehemalige Bundesrätin

For. Bern ·Holt diePostauto-Affäre
alt Bundesrätin Doris Leuthard noch
ein? Die Geschäftsprüfungskommis-
sion (GPK) des Ständerats erteilt der
ehemaligenVorsteherin desVerkehrs-
departements (Uvek) für die mangel-
hafteAufsicht überPostauto eineRüge.
Im gleichen Atemzug nennt die GPK
aber auch den Bundesrat, das Bundes-
amt fürVerkehr und dieFinanzkon-
trolle,die ebenfallsFehler machten. Zu-
dem sei dieKompetenzverteilungnicht
klar geregelt gewesen. DiePost-Tochter
Postauto hatte überJahremittels illega-
ler Buchungen zu hohe Subventionen
einkassiert.
Die GPK hat diePostauto-Affäre
untersucht und am Donnerstag einen Be-
richt dazu publiziert.Darin hält sie fest,
dass dasVerkehrsdepartement und die
Finanzverwaltung spätestens 2011Kennt-
nis vom Zielkonflikt hatten, mit dem sich
Postautokonfrontiert sah. Der Bundes-
rat verlangte von derPost Gewinne,zu
denen auchPostauto beizutragen hatte.
Doch das Gesetzverbietet es,imsubven-
tioniertenVerkehr Gewinne zu machen.
In einemQuartalsgespräch mit demVe r-
kehrsdepartement und derFinanzverwal-
tung im September 2011hat diePost auf
die «divergierendenVorgaben» hingewie-
sen. Die damals zuständige Bundesrätin
Doris Leuthardteilte der GPK zwar mit,
dass «in derFolge (...) Überlegungen zu
einer möglichen Anpassung der strategi-
schen Ziele im BereichPersonenverkehr
vorgenommen» worden seien.Tr otzdem
sei damals nichts unternommen worden,
«was dieKommissionnicht nachvollzie-
hen kann und deutlich rügt», wie es in
einer Mitteilung der GPK heisst.
Den vom «Blick» jüngst erhobenen
Verdacht, wonach Leuthard oderVer-
treter des Departements bereits 2011
über die illegalen Buchungstricks von
Postauto Bescheid wussten,konnte die
GPK nicht erhärten.Laut dem Medien-
bericht zeigte eine Grafik Gewinne von
Postauto in verschiedenen Kantonen.
Wie das Uvek gegenüber der GPK ver-
lauten liess, sei die fragliche Grafik nicht
Teil der Unterlagen zur Sitzung vom
September 2011 gewesen. Nach den vor-
liegenden Informationen kann die GPK
nicht bestätigen, dass Leuthard bereits
201 1 über die Betrügereien informiert
gewesen sei. DieKommission wird in-
des diesen Aspekt weiter untersuchen.
Die GPK lobt zwar die Lehren, die
Bundesrat und Uvek aus der Affäre ge-
zogen haben, sieht aber noch Klärungs-
bedarf. Sie empfiehlt, dieAufsicht der
bundesnahen Unternehmen durch Bun-
desrat undVerwaltung zu verbessern.
Security-Angestellte
müssen Autorität
ausstrahlen, obwohl
sie keine hoheitlichen
Befugnisse haben.

Security-Branche
braucht klare Regeln
Kommentar auf Seite 11

Daniel Berner
CIO Schweiz
Swiss Life
Asset Managers
zum
selbstbestimmten
Leben

«Werden in 50 Jahren

nochSeniorenheime

gebaut?»
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