Neue Zürcher Zeitung - 15.11.2019

(Ann) #1

Freitag, 15. November 2019 ZÜRICH UND REGION 17


Attackenauf Homosexuelle: Die Stadt Zürich


will mithilfe einerStatistik die Lageanalysieren SEITE 18


Anwohner bekämpfen diestädtischeHochhaussiedlung


ander Thurgauerstrasse mit einem Gegenmodell SEITE 19


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«Zürich hat die liberalste Hausordnun g»


Daniel Bach vom Staatssekretariat für Migration spricht zum Vorwurf des Stadtrats, im Bundesasylzentrum herrschten prek äre Zustände


HerrBach, Raphael Golta spricht von
nicht menschenwürdigen Zuständen im
Zürcher Bundesasylzentrum. Hat Sie
diese harsche Kritik überrascht?
Ja, diese Kritik hat uns sehr überrascht,
denn wir waren mit dem Sozialdepar-
tement der Stadt imVorfeld der Zen-
trumseröffnung stets im Gespräch.Dem
Sozialdepartement war die Betriebsver-
ordnung – und damit die Hausordnung



  • seit langem bekannt.


Herr Golta sagt, dieVeror dnung habe
Spielräume enthalten, die nun aber nicht
im Sinne der Stadt genutzt würden.
Grundsätzlich sind die Betriebsverord-
nungenschweizweit einheitlich, es gibt
keine Lex Zürich. Es trifft aber zu,dass


sie Spielräume enthalten. Diese nut-
zen wir durchaus. Die Ausgangszeiten
in Zürich sind die längsten schweizweit.
Wir haben ein offenes Café eingerichtet.
Zudem dürfen Schulkinder das nahe ge-
legene Pfingstweidschulhaus besuchen.
Damit haben wir den Spielraum, von
dem Herr Golta spricht, ausgereizt.


Bei der Abstimmung über das Zürcher
Bundesasylzentrumwar von derFort-
setzung desTestbetriebs dieRede. Nun
sind dieBedingungen aber sehr viel
strenger. Weshalb?
BeimTestbetrieb imJuch-Areal war die
Stadt für die Sicherheit verantwortlich.
Es war stets klar,dass die Abläufe im
Bundesasylzentrum zwar die gleichen
sein werden, dass das Zentrum aber
gemäss der Betriebsverordnung des
Staatssekretariats für Migration (SEM)
geführt werden wird.


Ist das Securitas-Personal im Asyl-
zentrum ausreichend ausgebildet?
Selbstverständlich.


Aufgrund der Schilderungen, die kol-
portiertwerden, hat man den Eindruck,
es fehle an Fingerspitzengefühl.


Natürlich müssen sich die Prozesse
erst einspielen, wenn ein neues Asyl-
zentrum eröffnet wird. Es handelt sich
teilweise um neuesPersonal, das mit-
unter noch nie zusammengearbeitet
hat. Ein Problem derAusbildung ist
das aber nicht.Das Zentrum ist erst seit
zehnTagen geöffnet, es braucht also
ein wenig Zeit. KleineFehler können
zu Beginn vorkommen, diese werden
aberkorrigiert.

Was haben Sie konkret korrigiert?
Es gibt diese berühmte Geschichte mit
den Kugelschreibern, die man Kindern
abgenommen habe. Dabei ging es nie
um Schikane, sondern um den Schutz
der Bewohner. Das Personal hatte die
Anweisung, dass keine gefährlichen
Gegenstände mitins Zentrumgenom-
men werden dürfen. Bei einer sol-
chenWeisung besteht Interpretations-
spielraum. EinKugelschreiber ist nach
Einschätzung desPersonals als gefähr-

lich eingeschätzt worden. In Einzel-
fällen wurden Leuten deshalbKugel-
schreiber abgenommen, aber das pas-
siert nicht mehr.

Trifft es zu,dass Zentrumsbewohner
gegen dieZuständedemonstriert haben?
Bei einerFührung von SEM-Mitarbei-
tern haben sich einige Bewohner be-
schwert. Von einer Demonstration
würde ich nicht sprechen, sondern von
intensiven Diskussionen.Wir haben
die Leute gebeten, uns ihreAnliegen in
einer Sprechstunde mitzuteilen. Diese
Aussprachehat dann auch stattgefun-
den. Die Zentrumsleitung steht für
Sprechstunden immer zurVerfügung,
die Bewohnerkönnen ihre Anliegen
vorbringen.

Die Asylsuchenden müssen offenbar
eine Quittung für jedes Nahrungs-
mittel vorweisen, das sie mit ins Zen-
tru m nehmen möchten. Stellt man da

die Leute nicht unter den Generalver-
dacht zu stehlen?
Das ist ein Missverständnis. Gehtes um
Nahrungsmittel, besagt die Hausord-
nung lediglich, dass keine verderblichen
Nahrungsmittel mit ins Zentrum ge-
nommen werden dürfen, dies aus Grün-
den des Gesundheitsschutzes.Tatsäch-
lich verlangen wir für sehr teure und
sehr neue Gegenstände eine Quittung.
Diese Praxis geht zurück auf eine An-
regung von polizeilicher Seite. Es soll
sichergestellt werden, dass die Gegen-
stände gekauft und nicht gestohlen wur-
den. DieseRegel gilt in allen Bundes-
asylzentren und in einerersten Phase
auch für Zürich.Wir werden aber noch-
mals prüfen, ob sie an diesem Standort
sinnvoll ist.

Berichtet wirdweitervon demVerbot,
Deodorants und Make-up mit sich zu
führen – Ersteres offenbar aus Furcht
vor Glasgegenständen, Letzteres aus

Sorge um dieVerschandelung des Zen-
trums. Ist dies nicht kleinlich?
Das ist vomTisch und wurde bereits in
der erstenAussprache mit den Bewoh-
nern geklärt.

Stimmt es, dass die Räumlichkeiten der
Bewohner bis zu drei Mal täglich kon-
trolliertwerden?
Ja,es gibtregelmässigeKontrollen in
den Zimmern, um sicherzustellen, dass
die Hausordnung eingehalten wird. Die
Zahl derKontrollen ist nicht festgelegt,
sondern es wird situativ entschieden.

Wieso ist es nötig, die Leute beim Ein-
gang persönlich zu kontrollieren? Unter
derÄgide der Stadt wurde lediglich eine
Ausweiskontrolle vorgenommen.
Dies ist durch die Betriebsverordnung
vorgegeben. Es geht um den Schutz der
Bewohner. Stellen Sie sich vor, jemand
würde in einem Bundesasylzentrum mit
einem mitgebrachten Messer verletzt:
Dann würden wir zuRecht kritisiert.
DieseRegelungkönnen und wollen wir
nicht aufheben.

Im Zentrum gibt es einen sogenannten
Besinnungsraum – eine Art Zelle. Ist
sichergestellt, dass Leute darin nach kla-
ren Kriterien festgehaltenwerden?
Ja, natürlich. Der Besinnungsraum
kommt nurals UltimaRatio zum Ein-
satz, nämlich wenn es um akuteFremd-
oder Selbstgefährdung geht.Personen
verbringen darin maximal zwei Stun-
den, und diePolizei wird umgehendavi-
siert. Bei einer Selbstgefährdung über-
wacht ein Securitas-Mitarbeiter diePer-
son von aussen, um sicherzustellen, dass
sie sich nichts antut.

Werden Sie nach der Kritik des Stadtrats
dieBedingungen lockern?
Wir sind ständig daran, zu optimieren
und Missverständnisse zu klären. An
der Hausordnung wird sich aber nichts
ändern.

Ist die Kritik,die nun laut wird, Zürich-
spezifisch, oder sehen Sie sich auch an
anderen Orten damit konfrontiert?
In der Stadt Zürich ist man diesbezüg-
lich sicher sensibler als an anderen Or-
ten. Gerade deshalb hat man die Haus-
ordnung mit der Stadt diskutiert.Zürich
hat die liberalste Hausordnung aller
Bundeszentren schweizweit.
Interview: Michaelvon Ledebur

DasBundesasylzentrum an der Ecke Pfingstweidstrasse/Duttweilerstrasse wurde am1. Novembereröffnet. CHRISTIAN BEUTLER / KEYSTONE

Die Alten entscheiden die Wahl


In der Stadt Zürich sind nur bei den Jungen d ie Wählerinnen in der Mehrheit


JOHANNA WEDL


Fast jeder zweite Stimmberechtigte hat
in der Stadt Zürich am 20. Oktober ge-
wählt. Rund 49,5 Prozent hat die Stimm-
beteiligung betragen, wie das Statisti-
sche Amt am Donnerstag mitgeteilt hat.
Dieseistdamit praktischgleichhochwie
beim Urnengang vor vierJahren (+0,
Prozentpunkte). Ihre Stimme abge-
geben haben auch diesmal vor allem äl-
tere Männer,wiedieAnalysederStimm-
rechtsausweisezeigt. Am höchsten war
die Beteiligung laut den Statistikern bei
den 78-jährigen Männern mit rund 69
Prozent. Je älter dieWählersind, desto
grösserwirddieLückezwischendenGe-
schlechtern.
Philipp Möhr vom Stadtzürcher Sta-
tistischen Amt führt das auch darauf
zurück, dass es für ältereFrauenkeine
Selbstverständlichkeit sei, wählen zu
gehen(Stichwort: Einführung nationales
Frauenstimmrecht1971) und diese sich


auchspäterehernichtandieUrnelocken
liessen. Bei denJungen zwischen18 und
28 Jahren dagegen wählen etwas mehr
Frauen als Männer, der Unterschied be-
trägt 3 Prozentpunkte.
Generell haben sich aberFrauen und
Junge nicht stärker an den diesjährigen
nationalenWahlen beteiligt als an den
eidgenössischenWahlen vor vierJahren,
im Gegensatz zu den kantonalenWah-
len diesesFrühjahr. Dort war die Mobili-
sierung vor allem dank denWählerinnen
und denJungen um fast 4 Prozentpunkte
höher. Die Zahl ist laut den Statistikern
aber mitVorsicht zu geniessen, denn bei
den kantonalenWahlen war das Mobili-
sierungspotenzialdeutlichgrösser(Wahl-
beteiligung insgesamt:36,2 Prozent).Am
eidgenössischenWahltagistmiteinerBe-
teiligung von fast 50 Prozent dagegen fast
nicht mehr Abschöpfung möglich.
Nach den nationalenWahlen hat sich
die politischeLandschaft in der Schweiz
grundlegend verändert, vor allem die

Grünen und die Grünliberalen durften
sich als Sieger feiern. Zu denVerände-
rungen ist es laut den Statistikern primär
nicht etwa gekommen, weil sich viele
Neuwählerinnen und Neuwähler betei-
ligthaben,sondernweilbestehendeWäh-
ler anders gewählt haben.
Bemerkenswert ist, dass der Anteil
der veränderten Listen bei den Oktober-
Wahlen deutlich tieferliegt als in derVer-
gangenheit. Er belief sichauf 44 Prozent,
wie Peter Moser auf Anfrage sagte, der
stellvertretende Chef des statistischen
Amtes des Kantons Zürich.Vor vierJah-
ren waren es laut Moser noch 53 Pro-
zent veränderteWahlzettel. In den letz-
ten zwanzigJahren sei der Anteilrelativ
konstant geblieben. «Historisch betrach-
tet ist es gar der tiefsteWert seit der Ein-
führungdes Frauenstimmrechtes», er-
läutert Moser. Die Gründe dafür seien
schwierig zu eruieren, dafür brauche es
einedetailliertere Analyse.
Weiterer Artikel auf Seite 14

«Wir haben
den Spielraum
ausgereizt.»

Daniel Bach
Sprecher Staatssekre-
PD tariat für Migration

Bundesrat, Parlament, bürgerliche Parteien
undWirtschaftsverbände lehnen dieMieterver-
bandsiniti ativeab.

Massivestaatliche Eingriffe –wie Quoten undVorkaufsrechte
–sindGiftfür denWohnungsmarkt!

•Sie erschwerenBewilligungsprozesse, führen zu
Planungsunsicherheitund hemmen die Bautätigkeit.
•Das Wohnungsangebotwirdklein er unddie
Mieten steigen!

NEIN zurVerstaatlichung des


Wohnungsmarkts

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