Neue Zürcher Zeitung - 15.11.2019

(Ann) #1

34 REFLEXE Freitag, 15. November 2019


Peter A. Fischer· Ist der um sich greifendeRechts-
populismus nur ein vorübergehendes Problem der
Überalterung und Überforderung unserer Gesell-
schaft?Vermeintlich einfache Antwortenaufkom-
plexe Probleme hatten schon immer verführeri-
schesPotenzial, doch wiekommt es, dass in Spanien
plötzlich15% derWähler dierechtsradikaleVo x
wählen und selbst im behüteten Schweden18% die
Schwedendemokraten? Ob eher ökonomische oder
kulturelle Gründe dahintersteckten, fragten sich
Teilnehmer einerKonferenz zumThemaPopulis-
mus, die vom UBS Center for Economics in Society
an der Uni Zürich organisiert worden war. Zure-
den gaben dabei die vom ÖkonomenBarry Eichen-
green vertretenen Erkenntnisse derPolitologen
PippaNorrisundRoland Inglehart, laut denen vor
allem ältere Generationen und durch den Struktur-
wandelVerunsicherte für denWahlsieg von Donald
Tr ump und den Brexit verantwortlich waren.
Der erstarkteRechtspopulismus wäre demnach
eine Spätfolge derFinanzkrise, die zusammen mit
dem durch die Globalisierung und die Digitalisie-
runginitiiertenWandel dazu führte, dass Ältere und

Ungebildete sich marginalisiert und verunsichert
fühlen.Häufig botenParteien mit einfachenrechts-
populistischenParolen diesen Abgehängten eine
politische Zuflucht.
Das vermeintlich Gute an derThese ist: Der
Rechtspopulismus dürfte mit den Älteren langsam
wieder aussterben. Doch einfach zu hoffen, dass
Populismus ein Phänomen alterWutbürger sei,
wäre zu naiv. Erstens werden auch weltoffeneJunge
älter,und zweitens hat jede Generation ihre eigenen
Ängste und populistischenVerführer. DieJugend
ist nicht einfach von sich aus weltoffen freihänd-
lerisch, wie derzeit inTeilen der Klimabewegung
zu beobachten ist. Das besteRezept gegenPopu-
lismus ist nicht das Abwarten, bis er ausstirbt,son-
dern Angst undVerunsicherung zureduzieren sowie
Verlierer möglichst wieder ins wirtschaftliche und
politische Leben zu integrieren.Dazu gehörenAus-
undWeiterbildung sowie die Einsicht,dass populis-
tischeParteien durchaus ihr Gutes habenkönnen,
solange sieVerunsicherung undWut politisch arti-
kulieren und kanalisieren,ohne dendemokratisch-
freiheitlichenRahmen autoritär zu sprengen.

Politische Zuflucht der Abgehängten


Populisten sind nicht bloss

aussterbende Wutbürger

Werner Enz· DerVersicherungskonzern Zurich hat
in den vergangenenJahren unterderFührung von
Mario Greco eine beachtlichePerformance hin-
gelegt, die sich in einer Börsenkapitalisierung von
aufgerundet 58 Mrd.Fr. spiegelt. Der Abstand zur
UBS (47 Mrd.Fr.) undvor allem zur Credit Suisse
(33 Mrd.Fr.) ist inzwischen enorm. Offensichtlich
ist dasVertrauenin die Stabilität des Zurich-Ge-
schäftsmodells um einiges grösser als bei den bei-
denSchweizer Grossbanken.Auch aus dieserPer-
spektive betrachtet, überrascht es nicht, dass Greco
und seinTeam für dieJahre 2020 bis 2022aufKon-
tinuitätund organischesWachstum setzen. Einige
taktisch-opportunistische Zukäufe sind nach den
Worten von Grecoauch weiterhin möglich, aber
derFokus wird auf den noch einfacheren Zugang
derKunden zuVersicherungsleistungen gelegt.
DerKonzern strebt ab 2020 nach Steuern und ge-
messen am Betriebsgewinn eineRendite von14%
und höher gegenüber bisher 12% und höher an. Der
Betriebsgewinn soll mit anderenWorten um etwa
60 0Mio.$über den in der zurückliegendenPeriode
(2017bis 2019)erzieltenWerten zu liegenkommen.

Greco hütet sich davor, für die Schadenversicherun-
gen eine bestimmteCombinedRatio (Schaden-Kos-
ten-Satz) zu nennen, und auch hinsichtlichKosten-
senkungen gibt es neukeine offiziellenVorgaben
mehr. DerKonzernchef erklärte dazu an derTele-
fonkonferenz, so etwaskönne auch auf die Moral
drücken. Bekanntlich wurde für dieJahre bis Ende
2019 einKostensenkungsziel von 1,5 Mrd. $ prokla-
miert und auch präzise eingehalten.
Die Ambition, noch besser zu werden, ist aber
klar erkennbar. Sosoll der Gewinn je Aktie um min-
destens 5% per annum gesteigert werden. Im Zeit-
raum 20 16 bis 2018 wurde nach Angaben der Zurich
imVergleich mit denKonkurrenten Allianz, Axa,
Chubb, Generali undTr avelers ein Spitzenwert von
8% imJahr erreicht; der zweitbesteKonzern kam
auf7, 3%, die Nummer 3 auf 5,1%. Kann die Zurich
ihrVersprechen auch in Zukunft einlösen, dürfte die
Dividende wiederum in kleinen Schritten zulegen,
denn derAusschüttungssatz soll bei (hohen)75%
stabilgehalten werden.Weil die Zinsen niedrig und
dieKonjunkturaussichtenehertrübesind,wird es
nicht leicht sein, alle Leistungsziele zu erreichen.

Hohe Dividendenfür Aktionäre


Zurich setzt auf Wachstum

und ambitiöse Ertragsziele

René Höltschi,Berlin· Ob die deutscheWirtschafts-
leistung gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP)
im dritten Quartal um einen Zehntel eines Prozent-
punkts gewachsen odergefallen ist, ist ökonomisch
ziemlich irrelevant. DieWachstumsraten sind der-
zeit derart nahe bei null, dass so oder so von einer
Flaute gesprochen werden muss.
Nicht ganz unwichtig ist die Meldung des
Statistischen Bundesamts, wonach imVergleich
zumVorquartal ein BIP-Wachstum von 0,1% ver-
zeichnet wordenist, indessen aus psychologischer
Sicht: Sie bedeutet, dass die seit Monaten befürch-
tete «technischeRezession» (zwei Quartale mit
negativenWachstumsraten inFolge) vorerst aus-
geblieben ist.
Zu hoffen ist, dass damitauch dieunselige Dis-
kussion über einKonjunkturpaket ein Ende nimmt.
Schon vorVeröffentlichung der jüngstenDaten
waren sich die meisten namhaften Ökonomen mit
den«Wirtschaftsweisen» einig, dass eine zusätzliche
staatliche Stimulierungderzeit nicht nötig sei. Dies
gilt nun umso mehr, als die Zahlen etwas besser
sind als erwartet und zudem einen weiteren Hin-

weis darauf liefern, dass dieFinanzpolitik schon
jetzt expansiv ist. Und sollte die Entwicklung in den
nächsten Quartalen schwächer ausfallen als derzeit
prognostiziert, dürften die «automatischen Stabili-
satoren», also derkonjunkturbedingteRückgang
der Steuereinnahmen und der Anstieg der Sozial-
ausgaben, als Gegensteuer ausreichen.
Die Bundesregierungtut somit gut daran, der
Versuchung einer aktivistischenKonjunkturpolitik
weiter zu widerstehen.Eine ruhigekonjunkturpoli-
tische Hand istaber nicht zu verwechseln mit wirt-
schaftspolitischer Untätigkeit.Angezeigt wären tat-
kräftigeReformen zur Steigerung der schwächeln-
den Produktivität undWettbewerbsfähigkeit. Die
Liste der nötigen Massnahmen ist lang;siereicht
von einer Mässigung der hohen Steuerbelastung
von Unternehmen und Privaten über denAusbau
der mittelmässigen digitalen Infrastruktur bis zur
Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungs-
verfahren. Zudem steht auch Deutschland mit der
Alterung der Gesellschaft und dem Klimawandel
vor enormen Herausforderungen, denen es bis jetzt
nur mit Stückwerk begegnet.

Deutschland vermeidet eine Rezession


Eine ruhige, aber tatkräftige

Hand ist gefordert

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„Das US-chinesische Abkommen
„WeltgrössteFreihandelszone in
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