Neue Zürcher Zeitung - 15.11.2019

(Ann) #1

Freitag, 15. November 2019 SPORT43


Ein Abend für Roger Federer

Der Schweizer lässt Novak Djokovic beim 6:4, 6:3 keine Chance und zieht zum 16.Mal in di e Halbfinals des ATP-Finalturniers ein


DANIEL GERMANN, LONDON


Die Tennissaison dauert knapp elf
Monate. An 67Turnieren werden gegen
3000 Matches gespielt. Manche sind
klar, andere umstritten. Die wenigsten
aber bleiben länger als dasTurnier in
Erinnerung.Als Reminiszenz bleibt ein
Name in der Siegerliste. DerRest der
Konkurrenzreist alsVerlierer weiter
und sucht sein Glück am nächsten Ort.
Doch es gibt ein paar wenige Affi-
chen, die dazu taugen, den Moment zu
überleben:Federer - Djokovic ist eine
davon. 58-mal haben die beidenbereits
gegeneinander gespielt.Fünf Matches
davon waren Grand-Slam-Finals. Doch
selbst wenn nicht so viel auf dem Spiel
stand, taugte die Rivalität meist, um aus
derPartie ein Ereignis zu machen.


Federers Demonstration


Das war auch bei der 59. Begegnung
am Donnerstagabend in London nicht
anders. Die ungewohnten Lücken auf
den Zuschauerrängen, die sich in den
erstenTurniertagen in der O2-Arena
vor denToren Londons aufgetan hat-
ten, waren vom erstenBallwechsel an
geschlossen. Die Spannung warbeinahe
spürbar. Genährt von der Erinnerung an
den denkwürdigenWimbledon-Final im
vergangenen Sommer,der erst nach fast
fünf Stunden und imTie-Break desfünf-
ten Satzes 13:12zugunsten von Djokovic
geendet hatte, erwarteten dieZuschauer
das nächste Spektakel.
Stattdessen sahen sie eine Demons-
tration vonRogerFederer. In 72 Minu-
ten gewann er dieses letzte Gruppenspiel
amATP-Final, das wegen derKonstella-
tion so etwas wie einViertelfinal war, 6:4,
6:3.Federer zieht damit bei seiner17.Teil-
nahmeam Saisonfinaleder besten acht
zum16.Mal in die Halbfinals ein. Allein


diese Statistik ist Zeugnis seiner Klasse.
Mehr noch aber: Er tat das mit einer
Souveränität, die möglicherweise selbst
ihn verblüffte. Federer servierte hervor-
ragend.Erschlug in der guten Stunde
zwölf Asse und brachte 74 Prozent der
erstenAufschläge insFeld.Damit liess er
den starkenReturnspielerDjokovic gar
nicht erst in den Matchkommen. Djoko-
vic wusste nicht, wie ihm geschah.

Er habe grossartigserviert und sei un-
glaublich glücklich, sagteFederer noch
auf dem Platz. «Ich hoffe nicht, dass ich
heute zum letzten Mal gegen Novak ge-
spielt habe. Doch sollte es so sein, dann
war es das wert.» Siege gegen Djoko-
vic sind fürFederer zurAusnahme ge-
worden. Zum letzten Mal hatte er den
32-jährigenSerben vorgenau vierJah-
ren in der Gruppenphase desATP-

Finals geschlagen.FünfTage später
unterlag ihmFederer imFinal.Eswar
die erste von fünf Niederlagen in Serie.
Umso stolzer verliessFederer am
Donnerstagabend den Court. In den
ersten zwei Spielen in London hatte nur
wenig auf eine Gala wie diese hingedeu-
tet. Im Startmatch unterlag er einem
entfesselten Dominic Thiem. Dann
spielte er gegen den Italiener Matteo

Berrettini einen Satz lang ungewöhn-
lich fahrig. Doch Djokovic scheint das
Beste ausFederer herauszuholen.Auf
dieFrage, was er denn besser gemacht
habe als im verlorenenWimbledon-Fi-
nal, witzelte er: «Ich habe einen Match-
ball verwertet.»
Der Spruch warAusdruck der Er-
leichterung. Er war aber auch ein Hin-
weis an all jene, die jede leichte Schwä-
che zur allgemeinenTendenz stilisie-
ren.Federer hat seitWimbledon öfters
Schwächen gezeigt. Er verlor in Cincin-
nati, am US Open und später auch in
SchanghaiPartien, wie er sie gewöhnlich
nicht verliert. Doch offensichtlich findet
er auch mit 38Jahren noch den Mut und
auch die Kraft, um deutlich jüngere und
zuletzt auch erfolgreichereKonkurren-
ten wie Djokovic zu überfordern.

Tsitsipas oderNadal


Federer hat nach seinem Sieg vor zwei-
einhalbWochen an denSwiss Indoors in
Basel gesagt, dass er nach Londonreise,
um dasATP-Finalturnier zumsieben-
tenMal zu gewinnen. Nun trennen ihn
noch zwei Siege von diesem Ziel.Wer
sein nächster Gegner ist, entscheidet
sich amFreitag. Der Grieche Stefanos
Tsitsipas oderRafael Nadalkönnen die
andere Gruppe noch gewinnen. Sollte
es Nadal sein, dann wäre es das nächste
Spiel, das nicht so schnell vergessen wer-
den würde.
Nadals Start in London war wegen
einerBauchmuskelzerrung lange frag-
lich. Nun steht er immer noch imTur-
nier und war am Donnerstag auch ein
wenig ein Sieger. DankFederers Sieg
gegen Djokovic steht fest, dass er die
Saison zum fünften Mal als Nummer 1
desRankings beenden wird. Doch das
war nur eineRandnotiz. Der Abend ge-
hörte ganzRogerFederer.

Trost für Novak Djokovic:Roger Federer (rechts) bricht mit der jüngstenVergangenheit. TOBY MELVILLE/REUTERS

«Das aktuelle Schrebergarten-Den ken hat keine Zukunft»


Das ATP-Board-Mitgli ed Herwig Straka kritisiert den grassierenden Egoismus im Männer-Tennis – er sagt, man müsse sich wieder annähern


Der Tennissport erlebt ein turbulentes
Jahr. DieATP streitet mit dem inter-
nationalenVerband, die Spieler kritisie-
ren dieATP und setzen den Chairman
ChrisKermode ab.Was läuft schief?
Das Jahr hat turbulent begonnen. Doch
mittlerweile ist wieder Ruhe einge-
kehrt.Wir haben einen neuen Chair-
man gewählt. Ob das gut oder schlecht
ist, bleibt dahingestellt.Fakt ist: Chris
Kermode hatte die nötige Unterstüt-
zung der Spieler nicht mehr. Ich hoffe,
mit derWahl von Andrea Gaudenzi ist
diese Blockade gelöst.Was bleibt, sind
die Spannungen zwischenATP- undDa-
vis-Cup. Ich gehe nicht davon aus, dass
sich langfristig zwei so ähnlicheWettbe-
werbe im Kalender halten werden.


Die Szene boomt. Die Preisgelder sind
in den letztenzehn Jahren über 50 Pro-
zent gestiegen.Wieweit können Sie die
Unzufriedenheitder Spieler über die
ATP-Führung nachvollziehen?
Die Spieler sind latent unzufrieden mit
dem Preisgeld. Aber nicht weil es zu we-
nig ist, sondern weil dasVertrauen fehlt,
dass wir verantwortungsbewusst mit den
Einnahmen umgehen.In breiten Krei-
sen herrscht die Meinung, dass dieTur-
niere auf den Schultern der Spieler ver-
dienen. Doch das ist falsch.Die Preis-
gelder sind in den vergangenen zehn
Jahren nicht 50,sondern fast 80 Prozent
gestiegen. Das ist enorm. Offensichtlich
ist es heute in Mode, aufzuschreien und
zu sagen:Wir brauchen mehr Preisgeld.


Die ATPwurde als Spielergewerkschaft
gegründet. Heute ist sie der Organisator
der Tour. Die Spieler fühlen sich von ihr
nicht mehr wirklich vertreten.
Wir,dieTurnierveranstalter und die
Spieler, teilen unsdie Führung in der
ATP zu 50 Prozent.Icherachte das als
Privileg. Gründet man wirklich eine Ge-
werkschaft, dann werden die Spieler den
direkten Einfluss auf dieATP verlieren.


Es gäbe dann zwar von Zeit zu Zeit Dis-
kussionen um die Preisgelder mit Streik-
drohungen. Doch ich glaube nicht, dass
es den Spielern dienen würde, wenn sie
ihr Mitspracherecht bei derTour verlie-
ren würden.Wir kennen die Situation
aus den amerikanischen Mannschafts-
sportarten, in denen esregelmässig zu
sogenannten Lockoutskommt.

Sie sind nicht nurBoard-Mitglied,son-
dern auchTurnierdirektor desATP-
500-Turniers inWien, das in derselben

Woche stattfindet wie dieSwiss Indoors.
Wie gut lebt man alsVeranstalter im
dichtgedrängten Kalender heute noch?
Wien undBasel haben eine guteWoche.
Weil wir am Ende der Saison stehen,
haben wir manchmal das Handicap, dass
Spieler nicht mehr ganz fit sind und des-
halb absagen.Das sind Momentaufnah-
men.Aber es ist richtig: Der Kalender ist
sehr gedrängt. Das Problem ist bekannt.
Doch solange finanziell jeder einiger-
massen über dieRundenkommt, wird
sich daran nicht viel ändern.

Wirdheute nicht zu viel gespielt?
Nicht unbedingt. Früher gab es Spieler,
die pro Saison bis zu 30Turniere bestrit-
ten. Der Sport ist intensiver geworden
und erlaubt das nicht mehr. Doch wir,
dieTurnierveranstalter, leiden darunter,
dass die Besten immer seltener spielen.
Betroffen davon sind vor allem dieTur-
niere der tiefsten Kategorie, der 250er-

Turniere. Wir überlegen uns immer wie-
der, wie wir sie attraktiver machenkön-
nen.Wir brauchen sie. Sie sind ein wich-
tiger Bestandteil unseresSystems..

Warum üben die grösserenTurniere
nicht mehr Solidarität?Wie Sie sagen:
Ohne dieBasis gibt es auch keine Spitze.
Es gibt diese Überlegungen, die Solida-
rität etwa übereinenFonds auszubauen.
Die wenigsten 250er-Turniere sind ein
lohnendes Business.Doch nicht alle
werden aus kommerziellen Gründen
organisiert. Oft stehen auch touristische
Überlegungen dahinter wie in Umag
oderBastad, die entsprechend unter-
stützt werden. Es gibt ein paarVeran-
stalter,die gewinnorientiert sind. Und
für die müssen wir eine Lösung finden..

Die Spieler beklagen sich, sie müssten
zu viel spielen. DieTurnierveranstalter
beklagen sich, sie hätten zu vielKon-
kurr enz.Trotzdem gibt es immer wie-
der neueFormate.Weshalb braucht es
den ATP-Cup, der imJanuar inAustra-
lien erstmals ausgetragen wird?
Das ist eine berechtigteFrage. Die Ideen
werden zumTeil von individuellenInter-
essen getrieben.Auch derLaver-Cup
gehört in diese Kategorie, obwohl sein
Grundgedanke gut ist. DerATP-Cup
wurde ursprünglich gemeinsam von
derATP und der spanischenKosmos-
Gruppe geplant.Dann wechselte diese
zumDavis-Cup. Doch da waren wir mit
demATP-Cup bereits an einem Punkt,
wo eskein Zurück mehr gab. Ich bin
mir sicher, dass es künftig wieder weni-
gerTeam-Events geben wird.

Gehört ein Schauwettkampf wie der
Laver-Cup, der ein paarwenigen offen
steht, wirklich in denATP-Kalender?
Wir haben uns im Board dafür entschie-
den, ihn im Kalender aufzunehmen, weil
wir die grundsätzliche Idee desFormat
gut fanden. Und wir sind der Überzeu-

gung, dass es besser ist,Teil einer guten
Ideezusein, als sie zu bekämpfen.Wie
nachhaltig derLaver-Cup ist, wird man
sehen, wennFederer einmal nicht mehr
spielt. Den Spielern, die an ihm teil-
nehmen, gefällt er. Man sollte da nicht
päpstlicher sein als derPapst.Warum
soll man den Spielern einFormat wie
denLaver-Cup untersagen, wennsie
Spass daran haben? Im Gegenzug aber
erwarten wir eine gewisseVernunft,
wenn es um Preisgeldansprüche geht.

Der Laver-Cup soll auch deshalb im
ATP-Kalender aufgenommenworden
sein,weil sichFederer im Gegenzug
dazu verpflichtet hat, amATP-Cup teil-
zunehmen. Ist das richtig?
Offiziell war das nie so diskutiert wor-
den. Doch wir waren gegenüber dem
Laver-Cup auch deshalb offen einge-
stellt, weilFederer in seiner Karriere
bereits sehr viel für dieATP getan hat..

Jetzt hatFederer dieTeilnahme amATP-
Cup imJanuar kurzfristig abgesagt.Wie
kam das bei Ihnen an?
Federer spielt in einer eigenen Katego-
rie. Man kann ihm nicht böse sein, wenn

er eine Entscheidung im Interesse seiner
Gesundheit oder seinerFamilie fällt. Er
bekennt sich ja unter anderem dadurch
zurATP, indem er wieder in den Spieler-
rat zurückgekehrt ist. Ich bedaure, dass
er nicht amATP-Cup antritt. Doch das
Format ist so stark, dass es auch ohne
Federer funktionieren wird.

Bisher organisierte,die ATP Turniere,
die ITFTeamwettbewerbe. Nun bricht
die ATP diese stillschweigendeVerein-
barung.War das wirklich nötig?
DieATPstellt sich auf den Standpunkt,
dass es diesenTeam-Cup schon früher
existierte. Er ist also im Prinzip nur die
Wiederaufnahme einesWettbewerbs,
den es bereits gegeben hat. Doch per-
sönlich finde ich, dass dieTeam-Events
bei der ITF und denLandesverbänden
liegen sollten.Ich hoffe, wir finden uns
künftig wieder in einem Event, das zu
einem attraktiven Saisonzeitpunkt ge-
spielt wird und an demATP-Punkte ver-
teilt werden. Seien wir ehrlich: DerDa-
vis-Cup nachdem altenFormat hat sich
überlebt. Die wenigsten Begegnungen
weckten wirklich noch Begeisterung.

Sie sind in Ihrer österreichischen Hei-
mat durch den Slogan bekannt gewor-
den: Anderssein, neu denken, aufmerk-
sam machen. Wie sieht IhreVision für
die Tour inzehn Jahren aus?
Wir müssen die Zuschauer stärker ein-
binden. Sie sollen in einer virtuellen
RealitätTeil des Matchs sein. Nur so
können wir neues Publikum an uns bin-
den.Doch grundsätzlich istTennis auch
heute noch eine der weltweit erfolg-
reichsten Sportarten. Deshalb wäre es
falsch, zu viel zu ändern.Wichtiger ist,
dass wir wieder zusammenrücken und
gemeinsam ein Produktanbieten.Das
aktuelle Schrebergarten-Denken, bei
dem jeder nur auf seinenVorteil be-
dacht ist, hatkeine Zukunft.
Interview: Daniel Germann

Ein Querdenker


gen.·Herwig Straka (53) istTurnier-
direktor inWien und Mitglied des sie-
benköpfigenATP-Führungsboards.Da-
neben betreut er auch heutige und ehe-
maligeTopsportler wie DominicThiem,
den NHL-SpielerThomasVanek,Tho-
mas Muster und den Ex-Skirennfah-
rerundTV-Moderator Armin Assinger.
Straka gilt als innovativer Querdenker.
Er begann seine Karriereals Promo-
ter in Österreich, indem er einTurnier
auf demDach eines Einkaufszentrums
organisierte und damit die Sportart aus
ihrem elitären Umfeld herausriss.

«Der Davis-Cup
nach dem alten
Format hat sich
überlebt.»

Herwig Straka
DirektorTurnier Wien,
PD MitgliedATP-Board
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