Neue Zürcher Zeitung - 15.11.2019

(Ann) #1

Freitag, 15. November 2019 GESELLSCHAFT51


Das fu chst ihn


Jedes Jahr werden in der Schweiz Zehntausende Pelze von erlegten Rotfüchs en verbrannt – weil sie niemand kauft.


Der Kürschner Thomas Aus der Au findet: Wer Fl eisch isst, kann genauso gut Pelz tragen. VON ESTHY RÜDIGER


Der Beruf vonThomasAusder Au
könnte bald verschwinden. Er arbeitet
als Kürschner. Ein Kürschner verarbei-
tet Tierfelle zu Kleidung: Er kauftFelle
ein, beimJäger,ineiner Gerberei oder
beim lokalenFellhändler. Er schneidet,
glättet, streckt diePelze, weitet sie aus,
näht sie zusammen.ThomasAusder Au
ist 64Jahre alt, er geht bald inPension.
In seinem Atelier in Zürich-Wiedi-
kon riecht es nach frischem Leder und
Dachboden. Überall glänztRotfuchsfell.
Es liegt als Silhouette auf einer langen
Werkbank, lagert aufTischen, hängt zu
Mänteln verarbeitet an Bügelnvon Klei-
derstangen.Aus derAu hat jedes der
Kleidungsstücke selber angefertigt. Er
betreibt seineKürschnerei in der drit-
ten Generation.
Der Kürschnersetzt sich an seine
Werkbank. Sein Hund, ein Alaskan-
Husky-Mischling mit gelblich-weissem
Fell, legt sich neben ihn.An einer Stange
hängt ein Nerzmantel; er hat dieselbe
Farbe wie dasFell des Hundes.Aus der
Au verkauft auchPelze aus Nerz oder
Polarfuchs,aber selten.Am meisten ver-
kauft erRotfuchsfell.Und diesen propa-
giert er. Warum?


Für denTierschutz istPelz Pelz


Allein im vergangenenJagdjahr wurden
laut Bundesamt für Umwelt mehr als
22 000 Füchse zur Bestandeskontrolle
erlegt. In denJahren zuvor lag die Zahl
oft bei über 30000 Füchsen.Aus derAu
schätzt, dass davon jährlich nur 2000 bis
4000 Felle anKürschner verkauft wer-
den, weil kaum Nachfrage besteht. Der
Rest wird entsorgt,verbrannt. Bis zu
30 000 Rotfuchsfelle jährlich.
Es sind Zahlen, die in der Debatte
um dasPelztragen kaum je thematisiert
werden. SeitJahrzehnten wird die Dis-
kussion vonTierschützern geprägt, die
jegliche Art vonPelztragen ablehnen
und regelmässig Protestaktionen veran-
stalten. Beim Zürcher Hiltl Club wer-
den Pelzträger am Eingang abgewiesen,
und vergangenesJahr strich das Zür-
cher WarenhausJelmoli jeglichesPelz-
produkt aus dem Sortiment – alsTeil sei-
ner Nachhaltigkeitsstrategie.
Und doch bleiben die Importzah-
len vonPelz konstant hoch: Gemäss
der Eidgenössischen Zollverwaltung
wurden 2018 mehrals 380Tonnen an
Pelzwaren imWert von über 40 Millio-
nen Frankenimportiert – darunter ein
Grossteil anLamm- und Rindsfellen aus
Südamerika und Südostasien, die nicht
zu Kleidung verarbeitet werden. Die
beliebtenPelzbesätzean K apuzen, die
oft von Kaninchen oder Marderhunden
stammen, sind nicht einberechnet.
Ist es wirklich nachhaltig,einh ei-
mischenPelz aus derJagd zu verbren-
nen, während vielPelz aus demAusland
importiert wird, vornehmlich aus der
Farmhaltung?
Helen Sandmeier vom SchweizerTier-
schutz (STS) sagt:Wenn dieFuchsjagd
zur Bestandesregulierung notwendig sei,
sei es vertretbar, die heimischenFelle zu
nutzen.Aber: «Jeder getragene Fuchspelz
istWerbung für dasPelztragen.» Und aus
Sicht desTierschutzes sei jeglichesTragen
von Echtpelz «ein No-Go».
Sandmeier bezeichnet dasFuchs-
fell ausinländischerJagd als«Trop-
fen auf den heissen Stein» – vergli-
chen mit«den17 MillionenFüchsen,
die weltweit jedesJahr inFarmen ge-
züchtet und für diePelzproduktion ge-
tötet würden. Die Z ahlen, mit denen
die Tierschützerhantieren, lassen sich
kaum verifizieren.Auch weil dieDun-
kelziffer hoch ist.Der europäischePelz-
DachverbandFur Europe schätzt, dass
2017 weltweit 12,7 MillionenFüchse für
Pelzprodukte getötet wurden. Sand-
meier sagt, dass der «absolut minimale
Anteil» der heimischenJagd nurbe-
worben werde, um dasGewissen der
Konsumenten zu beruhigen.
ThomasAus der Au sitzt an seinem
Ateliertisch und schüttelt denKopf. Er
sagt:«WennichFreilandeierkaufe,werbe


ich damit auch nicht für Eier ausLege-
batterien imAusland.» DerKunde habe
dieWahl,einethischvertretbaresProdukt
zu kaufen – auch beimPelz.
DerKürschnerhatzahlreicheFarmen
in Dänemark und Norwegen besucht;
von dort stammen die meisten seiner
importiertenPelze. Es handle sich da-
bei um Nutztierhaltung, die mit der hie-
sigen Fleischproduktion zu vergleichen
sei.«Würden dieTiereins chlechtenVer-
hältnissen gehalten,sähe man das auch
dem Fell an.» PrekäreVerhältnisse, wie
sie im Internet aufVideos vonTierschüt-
zern zu sehen sind, hält er in Europa für
«fernabderRealität».AusderAu sagt,er
könne Pelze aus europäischerFarmhal-
tung verantworten.Aber lieber bewerbe
er das Nutzen vonTierfellen, die beider
Jagdanfielenundentsorgtwürden,wenn
si e niemand verarbeite.
Der Tierschutz sei fürPelzverarbei-
ter unabdingbar, sagt derKürschner.
«Wer dieTiere nutzen will,muss sie auch
schützen.»Pelz zu verteufeln und statt-
dessenKunstpelz zu bewerben,könne
nicht nachhaltig sein. «Es ist pervers,
Ressourcen zu verbrauchen, um etwas
synthetischherzustellen,dasaussiehtwie
ein Naturprodukt, das man verbrennt.»
Seine Branche habe die Anti-Pelz-Hal-
tung immer wieder zu spüren bekom-
men, besonders in den1980er Jahren.
In diese Zeit fällt etwa die Gründung
derTierschutzorganisationPeta und Be-
wegungen wie «autonomerTierschutz»
oder«Tierbefreiungsfront». Damalshabe
man jedoch noch mit Gegnern diskutie-
ren können,sagtAus der Au, heute seien
dieMeinungenfestgefahrener.Erwürde
sich einen sachlicheren Diskurs mit dem
SchweizerTierschutzwünschen.

Vegetarierinnen als Kundinnen


Aus derAu zeigt in seinem Atelierauf
ein abgezogenesFuchsfell–eineKunst,
in der sichJäger jahrelang üben.Er fährt

mit der Hand über dasFell, erzählt von
den Eigenheiten des Materials:Das
Fell lässt sich mitKürschner-Techniken
in dieLänge und in die Breite ziehen.
«Di e Fläche, um zu nähen, müssen wir
uns erst erarbeiten.»
Die aufwendige Handarbeit hat ihren
Preis:EineJacke ausRotfuchskostet bei
ihm je nachAusführung etwa 4500Fran-
ken. Ein einfacherPelzbesatz an der
Kapuze, wie er oft getragen wird, gegen
350 Franken. EinPelzprodukt sei nicht
per se ein Luxusgut, sagt ThomasAus
der Au,sondern etwas,wofürman sich
bewusst entscheide. Fell wärme nicht
nur wie kaum ein anderes Material, sagt
der Kürschner:EinPelz-Kleidungsstück
von guter Qualität halte vierzig bis fünf-
zig Jahre – und verbrauche beimRot-
fuchskeine Ressourcen zur Herstellung.
Aus derAu hatte sogarVegetarie-
rinnen alsKundinnen. Eine von ihnen
sei in ihren Ferien ob des vielen un-
genutztenPelzes derKojoten in den
USA entsetzt gewesen. Als sie erfah-

ren habe, dass es dem SchweizerRot-
fuchs ähnlich ergehe, habe sie einenPelz
gekauft. «Jeder zieht seine Grenze an
einem anderen Ort», sagt derKürsch-
ner. «Aber wer Fleisch isst, kann ge-
nauso gut einen Nerzmantel tragen –
beides entstammt der Nutztierhaltung.»
Nebst demRotfuchs fallen in der
Schweiz auch Steinmarder unter die Be-
standesregulierung, in anderenLändern
zählenWaschbären,Bisamratten,Biber-
ratt en undKojoten dazu.Auch bei die-
sen Tieren stellt sich dieFrage: nutzen
oder verbrennen?
Der SchweizerischeTierschutzver-
band empfiehlt,auf den Kauf solcher
Felle zu verzichten. Die Herkunft sei
meist ungeklärt. «Es fehlt eine Deklara-
tion, aus der hervorgeht, ob di eTiere ein
artgerechtesLebenführenkonnten»,sagt
Helen Sandmeier. «Genaudafürgibt es
doch lokaleKürschner», sagtAus der Au.
ErerteilestetsausführlichAuskunftüber
die Herkunft derFelle.

Ausder Au bezeichnet seinVerhält-
nis zuTieren als «ambivalent, wie wohl
bei den meisten». Haustiere erachte er
eher alsKuscheltiere, andere als Nutz-
tiere. Als einer seiner beiden Hunde
starb, stand er vor derFrage, das Fell
zu behalten oder den Hund gänzlich ein-
zuäschern. Er entschied sich fürs Ein-
äschern. «Obwohl ich stets geglaubt
hatte , das Fell als Erinnerung behal-
ten zu wollen, ertrug ich den Gedan-
ken nicht, dass an meinem Hund ‹her-
umgeschnippelt› wird.»
Manchmal trägt er privat einenPelz-
mantel. Einmal wurde er im Berner
Oberland für einen schwerreichen rus-
sischenTouristengehalten.Doch es pas-
siere selten, dass er angepöbelt werde.
Pelz müsse eben selbstbewusst getragen
werden, sagt derKürschner.
ThomasAus derAu erinnert sich gut
daran, als er in jungenJahren als Lehr-
ling erstmals einFell zusammennähte.
Wie er sich vorstellte, wie in diesemFell
einst einTier gelebt hatte. Er entschied
sich damals bewusst für die Arbeit mit
Pelz. Schliesslich, sagt er, «ass ich auch
Fleisch und ging fischen».
Wer einesTages sein Geschäft über-
nimmt, weissAus derAu nicht. Nach-
wuchsfehlt. Als er in den1970erJah-
ren den Beruf erlernte, wurden allein
in Zürich achtPersonen ausgebildet.
Vor eineinhalbJahren hat er schweiz-
weit die bisher letzte «Bekleidungsge-
stalterin SchwerpunktPelzbekleidung»
ausgebildet. Der 64-Jährige hebt die
Augenbrauen, wenn er die Bezeich-
nung ausspricht.
Kürschner wieThomasAus derAu
gibt es nur nochwenige in der Schweiz.
Er schätzt, dass es gegen 40 sind. Die
meisten näherten sich demPensions-
alter – wie er. Hat er Angst, sein Beruf
könnte aussterben? «Und wie! Stirbt
der Beruf, stirbt seine Berufsethik mit.»
Damit drohe dasPelzgeschäft gänzlich
jenen überlassen zu werden, die sich
nicht um dieTiere scherten.

«Es ist pervers,


Ressourcen zu ver-


brauchen, um etwas


synt hetisc h herzustellen,


das aussieht wie


ein Naturprodukt,


das man verbrennt.»


ThomasAus der Au
Kürschner

DerKürschner ThomasAusder Au in seinem Atelier in Zürich. BILDER ANNICK RAMP / NZZ

«Bei Fellen aus anderen


Ländern fehlt eine


Deklaration, aus der


hervorgeht, ob die


Tiere einartgerechtes


Leben führen konnten.»


Helen Sandmeier
Tierschützerin
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