Neue Zürcher Zeitung - 15.11.2019

(Ann) #1

OUTDOOR Freitag, 15. November 2019


Skitouren


auf Iranisch


Irans Gebirgswelt zieht immer mehrMenschen


an– sommerswiewinters.DerBergführer


MohammadHajabolfath ist daran nichtganz


unbeteiligt. EinGespräch über seineLiebe


zuden Bergen, wirtschaftlicheSanktionen


und persönlicheTräume. VONCAROLINE


FINK UNDSUSANNAMÜLLER


Herr Hajabolfath, Sie gelten als Ski-
tourenpionier in Iran.Was bedeutet es
Ihnen, auf Ski unterwegs zu sein?
(Überlegt lange)...zu fühlen,wie mein
Herz warmes Blut unter der kalten Haut
pumpt, die wunderbaren Schneeland-
schaften, die Kälte, das schöne Licht
und das Gefühl von Zufriedenheit – das
ist Skitourengehen für mich. Ich liebe
es! Und es ist eine perfekte Art, auch
die abgelegensten Ecken der Natur zu
entdecken.

Woher kommt Ihre Leidenschaft für
dieBerge? Schliesslich sind Sie in der
13-Millionen-MetropoleTe heran auf-
gewachsen.
Teheran liegt amFuss desTochal, eines
Fast-Viertausenders. Es ist also einfach
für jungeTeheraner,sich für die Berge
und den Bergsport zu begeistern. Mein
Bruderund mein Onkel waren Alpinis-
ten, alsTeenager begleitete ich sie oft.
Später war ich mitFreunden und Mit-
studenten in den Bergen unterwegs, ich
war süchtig danach. 2002 gab ich meine
Mat hematikkarriere auf, um Bergführer
zu werden.Ich hatte damals gerade mei-
nen Master abgeschlossen und dachte
daran,zu doktorieren.Ich hatte mich so-
gar bei ausländischen Universitäten be-
worben. Aber dann entschied ich mich,
in Iran zu bleiben und in den Bergen zu
arbeiten.

Woher hatten Sie das theoretische und
praktischeWissen fürsBergsteigen?
Sehr vieles war Learning by doing. Oft
mussten wir uns unsere Tourenkar-
ten selbst ausdrucken. Ich las viel über
Berge und Alpinismus, und ich trat
alpinistischenVereinigungen bei. Den
Grossteil meinerAusbildung aber habe
ich dem Iranischen Bergsteiger- und
Sportkletterverband (IMSCF) zu ver-
danken, der dem Sportministerium an-
gehört. Dort habe ich mir das alpinis-
tische Grundwissen geholt: Navigation,
Fels- und Eisklettern, Hallenklettern
und vieles mehr.

Und imBereich Skitourengehen, wurde
Ihnen da beim IMSCF auchWissen
vermittelt?
Da gab es kaum Möglichkeiten in Iran.
Ich eignete mir einen grossenTeil mei-

nes Wissensim Ausland an: etwaLawi-
nenkunde, das richtige Einschätzen der
Schneeverhältnisse oderLawinenret-
tung. Dafür war ich hauptsächlich in den
französischen und den Schweizer Alpen
unterwegs. Ohne die Unterstützung von
Freunden, auch Schweizern, wäre das
allerdings nicht möglich gewesen.

Das klingt, wiewenn Skitourengehen in
Iran ein Nischensportwäre.
Das ist es. In Iran haben wir zahlreiche
Viertausender.Viele davonkönnen im
Winter in einem oder zweiTagen be-
stiegen werden. Noch heute sind viele
Bergsteiger aber ohne Ski unterwegs. Das
heisst, dass sie sich durch tiefen Schnee
kämpfen müssen. In der Höhe kann es
eisig kalt sein, oft ist der Schnee hart,
man muss Steigeisen anziehen.Auf diese
Weise war auch ich früher winters in den
Bergen, bis ich 2008 auf Ski umstellte.

Wieso sind nicht mehr iranischeBerg-
sportler auf Ski unterwegs?

Skifahren ist in Iran nichtTeil derKul-
tur wie in Mitteleuropa,es ist ein Luxus-
sport. Kaum eineFamilie kann es sich
leisten, mit ihren Kindern Ski fahren
zu gehen und für sie einen Skilehrer zu
engagieren.Das wäre viel zu teuer. Ich
bin in einer Mittelklassefamilie aufge-
wachsen.MeinVater ermöglichte es mir,
zu schwimmen,Fussball zu spielen, zu
turnen – aber nicht, Ski zu fahren.Auch
als Studentkonnte ich mir diesen Sport
nicht leisten. Später sagte ich mir: Es
geht nicht an, imWinter als Bergführer
zu arbeiten und nicht Ski fahren zu kön-
nen. Das hat mich sehr motiviert. Man
kann sich vorstellen,wie schwierig es ist,
imAlter von deutlich über dreissigJah-
ren mit dem Skitourengehen anzufan-
gen, aber ich habe es gewagt.

Wie muss man sich die Geschichte des
Alpinismus im Mullah-Staat vorstellen?
Es ist schwierig,Verlässliches über die
Alpingeschichte Irans zu sagen, denn
nicht alles ist dokumentiert. Seit ich
mit dem Skitourengehen begonnen
habe, habe ich viele Berge bestiegen.
Wahrscheinlich waren darunter einige
Erstbesteigungen, das weiss ich nicht
so genau.

Machen auch iranischeFrauenBerg-
oder Skitouren, oder sind die Einschrän-
kungen zu gross?
Für iranischeFrauen gibt esRegeln und
Einschränkungen – auch im Sport. Die
Lehrperson beiFrauen sollte natürlich
auch eineFrau sein,beispielsweise beim

«Skitouren si nd prak tisch


bezüglich religiöser


Kleidervorschriften,


schliesslich geht ja


niemand im Bikini


in die Berge.»


DerTouren-Pionier


sm.·Mohammad Haja-
bolfaths Liebe zu den Ber-
gen erwachte früh und hat
ihn nie mehr losgelassen.
1974 in Teheran geboren,
betreibt er heutein der
Millionenstadt ein Berg-
reise-Unternehmen und führt das ganze
Jahr über, sommers wie winters, irani-
sche und ausländische Gäste in Irans
Bergwelt. Mit seinem Engagement hat
er imLand Aufbauarbeit geleistet, be-
sonders im Bereich Skitouren.

Mohammad Hajabolfath nacheiner Ski-Erstbegehung imDena-Gebirge rund hundert Kilometer südlichvon Isfahan. CAROLINE FINK

NZZ Visuals/brt.

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52 53

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