Neue Zürcher Zeitung - 15.11.2019

(Ann) #1

Freitag, 15. November 2019 OUTDOOR


Hallenklettern oder beim Schwimmen.
Bei gewissen Sportarten jedoch, etwa
beim Eisklettern, nimmt man es etwas
legerer. Und beim Skitourengehen gibt
es garkeine Instruktorinnen,es sind bis-
her erst wenigeFrauen, die sich für die-
sen Sport interessieren.Dies, obwohl ge-
rade Skitourengehen praktisch ist be-
züglichreligiöser Kleidervorschriften,
schliesslich geht ja niemand im Bikini
in die Berge. Spass beiseite: Heutzutage
sind dieFrauen in Iran deutlich aktiver
als früher, nicht nur im Alpinismus. Sta-
tistiken zeigen,dass über 50 Prozent der
gebildeten BevölkerungFrauen sind.An
den Universitäten sind mehrFrauen als
Männer eingeschrieben.

Sie haben in Iran in SachenBergsport
Aufbauarbeit geleistet,indem Sie das
Outdoor-Unternehmen Iran Mountain
Zone ins Leben gerufen haben.Wie ist
es dazugekommen?
Ich wollte den Bergen Irans ein Gesicht
geben, also schaltete ich 2002 mit einem
FreundeineWebsite mit Informationen,
Nachrichten, Bildern,Tourenberichten
und vielem mehr auf.Eswar die erste
und damals einzige derartigeWebsite im
Land, in zwei Sprachen, Farsi und Eng-
lisch. Schon nach wenigen Monaten er-
reichten uns so vieleAnfragen aus Iran
und aus demAusland, dass wir merk-
ten: Das Ganze hatte die Dimensionen
eines Hobbys überschritten.Wir muss-
ten uns entscheiden, voll einzusteigen
oder aufzuhören.

Und ihr seid eingestiegen.
Ja, aber dafür brauchten wir finanzielle
Mittel. Deshalb bauten wir die Infra-
struktur auf, um Bergtouren anzubieten,
welche Geld einbringen sollten.Dabei
waren wir von allem Anfang an auf den
Winter spezialisiert. Ich liebe denWin-
ter, postete ständig Bilder von Schnee-
tou ren auf derWebsite. Seien wir ehr-
lich: Viele Gipfel in Iran sindTrekking-
gipfel, dazu braucht man im Sommer
nicht unbedingt einen Bergführer.Der
Winter aber, das ist eine völlig andere
Geschichte.

Wer sind IhreKunden?
Wir haben einerseits ausländische
Gäste, die einen lokalenFührer brau-

chen.Anderseits aber auch iranische
Kunden,die Kurse in Skitourentechnik
und Lawinenkunde besuchen.Dabei ist
zu sagen,dass es grundsätzlichnichtTeil
der iranischenKultur ist,einen Bergfüh-
rer zu buchen.AnKursen und vor allem
auch an Material sind die Iraner und Ira-
nerinnen aber sehr interessiert.

Können Sie die iranischen Gäste näher
beschreiben?
Da gibt es erstens die Angehörigen der
Oberschicht, für die Geldkein Pro-
blem ist. Sie fahren einen Maserati
oder einenPorsche, Daddy hat ihnen
zum Geburtstag eine brandneue Ski-
touren-Ausrüstung gekauft. Sie sind
hauptsächlich Skifahrer und interes-
sieren sich fürFreeriding undFreetou-
rin g. Zweitens gibt es die Bergsteiger,
welche die grösste Gruppe ausmachen.
Sie gehörenmeis tens zur Mittelschicht,
die übrigens in Iran stark am Schrump-
fen ist. Diese Leute sind gute Bergstei-
ger, aber nicht die allerbesten Skifahrer
und haben wenigWissen, wasAusrüs-
tung angeht. Sie brauchen am meisten
Unterstützungund Training.Dann gibt
es noch die Unterschicht, meist junge
Leute aus ländlichen Gegenden, aus
Bergdörfern, oft finanziell auf wack-
ligenFüssen stehend. Aber sie haben
Talent! Sie benützen Ski aus den acht-
zigerJahren und tragen Skischuhe, die
fast aus dem Leim fallen. DieseJungen
brauchen dringend Unterstützung, wir
müssen Sponsoren für sie finden, um
ihnen einTraining zu ermöglichen. Ich
ho ffe, dass wir es schaffen, Skitouren-
gehen für alle Gesellschaftsschichten
zugänglich zu machen.

Mitwelchen Schwierigkeiten haben
Sie alsBergsport-Anbieter in Iran zu
kämpfen?
Im Markt tätig zu sein, ist nicht einfach
in Iran – wie so vieles andere auch. Eine
der Schwierigkeiten ist dieWährungs-
fluktuation, die andere die Inflation.
Beides zusammen macht eine längerfris-
tige Planung fast unmöglich.Daneben
gibt es weitere erschwerende Hinder-
nisse: Sanktionen beim Zahlungsver-
kehr und bei Geldüberweisungen. Dazu
kommen dieWirtschaftssanktionen,die
Trump und die US-Behörden über ira-

nischeFirmen und Privatpersonenver-
hängt haben.Wenn wir alpineAusrüs-
tungen in unserLand importieren wol-
len, heisst es oft: Oh, wirkönnen nicht
nach Iran liefern,wegen der Sanktionen.
In letzter Zeit haben sich diese Sanktio-
nen noch verschärft.

Wiesomüssen SieüberhauptAusrüs-
tung importieren? Gibt es diese in Iran
nicht zu kaufen?
Wenn wir in ein Skigeschäft gingen
und nach einer Skitourenbindung frag-
ten, hatte niemand eine Ahnung, wo-
von wirsprachen. DieVerkäufer dach-
ten, es gehe umLanglauf. Dass es keine
Tourenausrüstung gab,war für uns ein
grosses Manko. Seit 2015 importie-
ren wir deshalb selbst die nötigeAus-
rüstung– mi t Unterstützung von fünf
Firmen, darunter auch zwei aus der
Schweiz. Das bedeutete aber, dass wir
die Leute gleichzeitig ausbilden muss-
ten. Man kann nichtLawinenverschüt-
teten-Suchgeräte einführen und es da-

bei bewenden lassen. Man muss wissen,
wie man sie richtig einsetzt.

Ihr Unternehmen Mountain Zonewar
während mehrererJahre auch imBe-
reichBergsport-News aktiv, hat das aber
mittlerweile aufgegeben.Warum?
Das stimmt,wir waren in den ersten sie-
ben Jahren unseres Bestehens einer der
wichtigsten Ansprechpartner, wenn es
um Fragen des Alpinismus in Iran ging.
Zum Beispiel auch bei der iranischen
Frauenexpedition am Mount Everest
im Mai 2005.Dass erstmals zwei mus-
limischeFrauen, Iranerinnen, den Gip-
fel deshöchsten Bergs der Welt erreich-
ten,sorgte weltweitfür grosses Medien-
interesse.Viele Medien setzten sich mit
uns inVerbindung.Wir waren per Satel-
litentelefon inKontakt mit der Expedi-
tion und gaben die Informationen auf
Englisch weiter. Mit derVerbreitung
von Nachrichten sind wir in den letzten
Jahren sehr stark zurückgefahren. Um
seriös berichten zukönnen, muss man
immer auf demLaufendensein , und
alles muss schnell gehen. Das war aus
zeitlichen Gründen nicht mehr möglich.
Undein weiterer Punkt: In Iran gibt es
die eine oderandere Herausforderung,
wenn man journalistisch tätigsein wil l.
Wir sagten uns, dass wir uns wohlbes-
ser auf etwasandereskonzentrieren
sollten...

...und daswäre?
Mei n Wunsch war immer gewesen,
etwas Sinnvolles zu leisten, nicht bloss
etwas zu tun, das Geld bringt wie das
Skitouren-Führen. Ich wollte mehr Zeit
mit dem verbringen, was mir am Her-
zen liegt. Also rief ich vor zweiJah-
ren einTrainings-Institut ins Leben.
Es heisst 36n50e (36 degrees north, 50
degrees east), dassind dieKoordina-
ten desTaleghan-Tals im Alborz-Ge-
birge ,150 Kilometer vonTeheran ent-
fernt – ein grossartiges Skitourengebiet.
Ich möchte meine Energie dafür ein-
setzen,junge Leute auszubilden und zu
trainieren.

Haben SieTräume für die Zukunft?
Alle Menschen habenTräume, ich bin
da keine Ausnahme. Werkeine Träume
hat, hat auchkeine Vision.Wenn mir

etwas imKopf herumspukt, suche ich
nach einemWeg, es zu konkretisie-
ren. Für den Moment ist da gerade
nichts...ausser einem kleinenWunsch


  • oder vielleicht ist es auch ein gros-
    ser Wunsch:Wenn wir 10 bis15 jungen
    Iranerinnen und Iranern dabei helfen
    könnten, in etwa fünfJahren gute Ski-
    tourengeher oder sogar Skitourengui-
    des zu werden, wäre das phantastisch,
    dann hättensich unsere Anstrengungen
    gelohnt.Dann könnte ich sagen: Mis-
    sion erfüllt.


ImAlpinenMuseumderSchweizistvom
22 .November 2019 bis zum 12 .April 2020die
AusstellungBiwak# 25 unter demTitel «Iran
Winter–abseitsder Piste»zusehen. Darin
kommenIranerinnenundIranerzu Wort, die
von ihrerBergverbundenheit erzählen.Neben
MohammadHajabolfathsinddiesder Berg-
journalistHussainNazar,dieHöhenbergstei-
gerinParastooAbrishami,dieBergführerin
MinaGhorbani sowie dieBergliebhaberin
SalomeGhodsMoghadam. CarolineFinkist
Co-Kuratorinder Ausstellung.MehrInforma-
tionen unter http://www.alpinesmuseum.ch.

«Wenn wir


alpine Ausrüstungen


importierenwollen,


heisst es of t:


Oh, wir können nicht


nach Iran liefern,


wegen der Sanktionen.»


Alpinismus in Iran


fin.· Rund 90 Prozent Irans liegt auf
Hochplateaus, wovon rund die Hälfte
auf die mächtigen Gebirgszüge wie jene
des Alborz und Zagros entfällt. Insge-
samt800000 Quadratkilometer Ge-
birge finden sich in Iran mit demDa-
mavand (5610 m) als höchstem Gipfel
des Landes und des gesamten Nahen
und Mittleren Ostens. Bergsport ist seit
je verbreitet, insbesondere in Gebirgs-
regionen. Über das gesamteLand ver-
teilt, gibt es rund fünfzig Alpenklubs,
in denen Alpinistinnen und Alpinis-
ten organisiert sind. Am bekanntesten
ist die Iran Mountaineering and Sport
ClimbingFederation (IMSCF). Sowohl
Hochtouren,Felsklettern, Sportklettern
und Hallenklettern wie auch Eisklet-
tern undWinteralpinismus sind beliebt.
BeimWinteralpinismus ist es üblich,
mit Gamaschen und Steigeisen imTief-
schnee zu spuren.Während das Pisten-
skifahren seitJahrzehnten ein beliebter
Luxussport ist, hat das Skitourengehen
erst in den letztenJahren an Bekannt-
heit gewonnen.

Mohammad Hajabolfath nacheiner Ski-Erstbegehung imDena-Gebirge rund hundert Kilometer südlichvon Isfahan. CAROLINE FINK

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