Die Welt Kompalt - 11.11.2019

(nextflipdebug5) #1

18 REPORT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,11.NOVEMBER


O


b sie in Arnsberg
oder Oeventrop
oder in Freienohl
einsteigen, weiß ich
nicht mehr. Ich sehe sie gar
nicht, aber ich höre sie. Drau-
ßen ist es dunkel. Ich denke, da
kommen Hooligans, Nazis,
Schläger. Es ist so 19 Uhr. Ich
höre sie singen und grölen.


VON FRÉDÉRIC SCHWILDEN

Ich denke, jetzt kommen qua-
dratförmige Männer zwischen
2 0 und 40 in den Zug, mit Haut
aus Leder und mit „Ehre“ und
„Stolz“ auf den Körper täto-
wiert. Und ich überlege, ob ich
mich umsetzen sollte. Aber dann
kommen 20-jährige Provinz-
Bürgerkinder. Junge Frauen und
Männer. Mit durchschnittlichen
Frisuren, die Kleidung zwischen
Adidas, H&M und Primark.
Sie sind so bieder, dass sie in
zwei, drei Jahren irgendwo an
einem Schalter einer Sparkasse
sitzen, in einem Büro im Land-
ratsamt, dass sie Kinder im
Fußballverein betreuen wer-
den. Dass sie, und davor habe
ich Angst, die Mitte dieser Ge-
sellschaft sein werden und jetzt
schon sind. Sie setzen sich auf
die freien Plätze des Fahrradab-
teils. Links zehn. Rechts zehn.
Aus Dosen trinken sie Getränke
wie Veltins V+ Kola.
Ich habe Kopfhörer im Ohr.
Lana Del Rey singt „My pussy
tastes like Pepsi Cola“. Ich liebe
Lana Del Rey.


Und dann höre ich die Bür-
gerkinder irgendwas mit „Auf-
hängen“ singen. Ich schaue in
ihre Gesichter. Sie schwitzen,
ihre Köpfe sind rot. Beim Grö-
len fliegt immer etwas Bierspu-
cke mit in den Raum. Mir am
Nächsten sitzt die Biederste
von allen. Eine ganz schmale,
mit Strasssteinohrsteckern. In
ihrer Körperhaltung liegt die
Überheblichkeit einer jungen
weißen Frau, die weiß, dass egal
was passiert, ihre weißen Mit-
telschichtseltern sie immer ir-
gendwie raushauen werden. Ich
sehe sie in drei Jahren als Zahn-
arzthelferin vor mir.
Und ich nehme die Kopfhörer
ab. Und das „Aufhängen“-Lied
endet dann mit „Dafür ist der
Baum zu schade.“ Sie singen
dann noch so was wie „Wir
schneiden euch die Bäuche auf“.
Ich schaue die Zahnarzthel-
ferin an. Sie schaut mich an.
Dann sage ich zu ihr: „Wenn ich
euch sehe, habe ich Angst.
Nicht vor euch direkt, aber vor
dem, was in euch drin ist, was
ihr jetzt rauslasst. Warum singt
ihr vom Aufhängen, vom Bäu-
che aufschneiden. Warum soll
das jeder hören?“
Einer von ihnen neben mir
sagt: „Was haben wir?“ „So ein
QQQuatsch“, sagt ein anderer. Ichuatsch“, sagt ein anderer. Ich
sage: „Ihr habt doch gesungen,
selbst ein Baum ist zu schade da-
fffür.“ „Ach so“, sagt die Zahn-ür.“ „Ach so“, sagt die Zahn-
arzthelferin, „das ist doch nur
Spaß. Das sind Fußballlieder.“
Und wieder einer sagt: „Das sin-

gen wir immer, das ist so eine
Dorfrivalität, und beim Schüt-
zenfest umarmen wir uns dann.“
Ich sehe, dass das harmlose
Trottel sind. Ich habe wirklich
keine Angst vor denen jetzt hier
im Regionalexpress 17. Aber wie
würde ich mich fühlen, wenn
ich ein 14-jähriges geflüchtetes
Mädchen mit dunkler Haut wä-
re, die „aufhängen“ und „Bäu-
che aufschneiden“ noch vom IS
kennt und jetzt hier wieder
hört. Wie würde ich mich als
Enkel deutscher Juden fühlen?
Wie würde ich mich als in Ros-
tock Aufgewachsener fühlen,
der von echten Nazis mit ech-
ten Baseballschlägern halb tot
geschlagen wurde?
Ich weiß es nicht. Aber ich
weiß, wie es sich anfühlt, ein
Messer am Hals zu haben. Und
ich weiß, wie ich mich jetzt füh-
le: schlecht. Ich denke an das
Land der Dichter und Denker
und der Richter und Henker.
Und dann schaue ich wieder
auf die hässlichen Deutschen,
die hier im Regionalexpress zu
einer Party fahren. Die sagen:
„Wir zahlen 46 Euro für die
Zugfahrt hin und zurück. Wir
sind anständige Typen.“ Die sa-
gen: „Hömma, wir trinken doch
nur einen, und wenn wir mor-
gen aufwachen, sind wir ganz
normal.“ Die Zahnarzthelferin
schaut mich ruhiger an. Sie sagt
dann: „Ich verstehe ja, was du
meinst, aber das ist doch wirk-
lich nur Spaß. Ich meine, wenn
wir im Stadion ‚Schlachtet die

Bullen‘ singen, dann ist das
doch auch nur ein Witz.“
Die Typen prosten sich zu.
Und ich frage sie, warum sie
nicht einfach nur Drogen neh-
men und Sex haben wie andere
Jugendliche, anstatt im Zug von
„aufhängen“ zu singen. Und
dann schaut mich einer total ir-
ritiert an. „Spinnst du? Mit so
was wie Drogen haben wir
nichts zu tun“, sagt er und
trinkt einen Schluck Veltins V+
Cola. „Soll ich mir eine Nadel in
den Arm rammen wie so ein
asozialer Junkie“, fragt er. Ich
sage ihm, dass ich dafür bin,
dass jeder selbstbestimmt über
sich und sein Leben entschei-
den sollte, solange er niemand
anderem damit schadet. „Du
bist doch krank“, sagt er.
Sie singen wieder das „Auf-
hängen“-Lied. Einer fragt mich,
was ich beruflich mache. Ich sa-
ge, ich bin Journalist und habe
gerade einen 86-jährigen Politi-
ker interviewt, der mir erzählt
hat, wie sein Vater aus der Ge-
stapo-Haft nach Hause kam. Ir-
gendjemand ruft etwas, was ich
nicht verstehe. Ein anderer sagt
„Halt’s Maul“. Der neben mir
sagt: „Ihr Fotzen!“ Das Mädchen
daneben stößt ihm in die Seite.
„„„Wie heißt du denn“, fragt derWie heißt du denn“, fragt der
Typ wieder. Ich sage meinen Na-
men. Er folgt mir seitdem auf
Instagram. Er heißt Felix. Und
als ich zu Hause ankomme,
schaue ich mir sein Profil an. Auf
seinen Bildern erkenne ich die
Gruppe aus dem Zug wieder. Sie

waren an diesem Tag in „Siggis
Hütte“ in Willingen. Auf den Fo-
tos trinken sie Bier aus Fässern.
Sie tragen Shirts der Skate-
boardfirma Vans und Hoodies
der Retrosportmarke Ellesse.
Die Hashtags sind „#zugins-
glück“ und „#dorfkind“. Auf ei-
nem anderen Foto grinsen er
und seine Freunde, die auch im
Zug waren, zum Hashtag „#Lieb-
lingsmensch“. An Karneval hat
sich die Gruppe als Astronauten
und Spacegirls verkleidet. Felix
war mit seiner Freundin im Ur-
laub auf Rhodos. Wieder das
Hashtag „#Lieblingsmensch“.
Ich frage mich, warum nie-
mand außer mir ein Problem
hat. Warum keiner sagt, Schluss
jetzt! Warum der Rest nur de-
monstrativ aus dem Fenster
schaut. Ich frage mich, wie das
geht. Wie können Leute mit
„#Lieblingsmensch“ ein Foto
von sich und ihrer Teenagerlie-
be posten und danach im Zug
zum Mord aufrufen – so ganz
zum Spaß natürlich nur. Aber
als Deutscher weiß ich das. Das
geht natürlich prima.
Ich denke an Björn Höcke
und daran, dass nicht die Extre-
men die Gefährlichen sind. Zur
Gefahr wird Björn Höcke erst
durch die Mitte der Gesell-
schaft, die das mitträgt – durch
Unterlassen, durch Duldung,
durch Mitmachen und auch
durch das Singen solcher Lie-
der. Und das sind die hässlichen
Deutschen, die im Regionalzug
auf die Party fahren.

FFFahrt mit dem Regionalexpress: ahrt mit dem Regionalexpress:
Die hässlichen Deutschen sind so bieder,
dass sie in zwei, drei Jahren am Schalter
einer Sparkasse sitzen oder im
Landratsamt. Vorerst hinterlassen
sie Müll. In jeder Hinsicht

FRÉDÉRIC SCHWILDEN

/

Unterwegsmit hässlichenDeutschen


Am gefährlichsten sind nicht die Extreme. Am gefährlichsten ist die Mitte der Gesellschaft. Bericht von einer


Zugfahrt in Nordrhein-Westfalen, in der die Welt aus den Fugen geriet – und doch alles normal war

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