Die Welt Kompalt - 11.11.2019

(nextflipdebug5) #1

D


ie Jagd auf Fleischesser,
Vielflieger, SUV-Fahrer
und Vermieter ist er-
öffnet. Die neuen Feindbilder
wurden in diesem Jahr von meh-
reren einflussreichen Bewegun-
gen ausgerufen, und der Main-
stream macht mit. Die Ächtung
nimmt groteske Formen an. So
werden die Privatjetflüge von
Bill Gates kleinlich gezählt und
verurteilt, obwohl der Unter-
nehmer gerade dabei ist, das
Abwasserproblem Afrikas zu
lösen, und mit neuartigen Fusi-
onsreaktoren versucht, das
Energie- und CO 2 -Problem der
Welt einzudämmen. Da muss
man schon mal fliegen.
Gut, manche Fridays-for-
Future- oder Extinction-Rebelli-
on-Anhängermögen dann doch
vielleicht ein Fünkchen Ver-
ständnis aufbringen, jetten sie
doch selbst um die ganze Welt,
um ihre Flaggen hochzuhalten.
Wer es aber wagt, ohne solch
noble Beweggründe Langstre-
ckenflüge anzutreten, um in der
Tropensonne Weihnachten zu
feiern, oder mittags nicht auf
seine Currywurst verzichten
will, schweigt besser und isst
alleine. Bestimmter Konsum ist
nun gesellschaftlich tabu. Zu-
dem drohen staatliche Sanktio-
nen für die Abweichler.
Aus meiner Sicht durchleben
wir gerade eine Art Übergangs-
zeitalter von einer freien in eine
totalitäre Welt. Vielen von uns
kommen bei diesem Gedanken
die neuen und alten Autokra-
tien, überall in der Welt, in den
Sinn – oder auch die europäi-
schen Populisten. Aber das alles
meine ich hier gar nicht. Wir
brauchen nicht so weit in die
Ferne zu schauen, damit sich
uns die Nackenhaare sträuben.
Es reicht der Blick in den Vor-
garten: Deutschland wird wieder
zum Untertanenland. Es wird
sozialistischer, staatsgläubiger,
und wir werden gegenüber An-
dersdenkenden intoleranter.
Noch genießen wir in
Deutschland ein sehr hohes Maß
an Freiheit, das es so bei Wei-
tem nicht in allen Ländern gibt.
Doch es droht sich ein enges
Korsett um unsere Freiheit zu
legen, wie es früher schon mal
der Fall war. Der Sozialismus
erlebt in Deutschland ein Revi-
val. Wer hätte gedacht, dass wir
im Jahr 2019 tatsächlich über
Enteignungen von Wohnraum
diskutieren? Der Berliner Senat
hat den ersten Schritt in die
unrühmliche Vergangenheit
vollzogen: Der sogenannte Mie-
tendeckel kommt. In Zukunft
legt die Berliner Linksregierung
die Miete fest. 30 Jahre nach
dem Mauerfall kehrt Berlin zur
Planwirtschaft zurück.
Ein lauter Aufschrei bleibt
aus. Gleich drei große Koalitio-
nen haben uns weichgekocht.
Die Diskussion, ob der Sozialis-
mus an sich nicht doch eine gute


Idee war, im Ostblock nur eben
leider nicht so gut gemacht,
unterstreicht die lässige Gleich-
gültigkeit gegenüber einer neu-
en totalitären Obrigkeit. Wir
erleben eine krasse Rückwärts-
entwicklung, ein Rollback in der
Gesellschaft, wie ihn meine
Generation noch nicht erlebt
hat. Weg von Freiheit und
Marktwirtschaft. Die Freiheit,
unternehmerisch tätig zu sein,
die Freiheit, seine Produkte
selbst auszuwählen, und die
Freiheit, seine Meinung zu äu-
ßern, stehen auf dem Spiel. Wir
müssen sie wieder schätzen und
für sie einstehen!
Das derzeitige Abrutschen in
einen neuen deutschen und
europäischen Sozialismus pas-
siert in einem sehr entscheiden-
den Moment: China fordert uns
mit seinem hybriden Neosozia-
lismus heraus. Wir werden je-
doch weder diese Bewegung
noch den Neonationalismus
abwehren können, indem wir
einen noch so gut gemeinten
Abklatsch aufbauen. Wir werden
diese Herausforderung auch
nicht bestehen, indem wir zwi-
schen China und uns ein paar
neue KfW-Fördertöpfe auf-
stellen. Wir werden freien Wett-
bewerb nur dann verteidigen,
wenn wir die, die darin gut sind,
unterstützen und fördern.
Unsere soziale Marktwirt-
schaftist unter Beschuss. Sie zu
bewahren heißt, sie zu schützen.
Wir sollten uns im Klaren sein,
dass eine freie Zukunft kein
Geschenk ist. Ich werde als
junge Unternehmerin für diese
Freiheit kämpfen und appelliere
an alle: Lasst es uns gemeinsam
tun. Lasst uns aufhören, hilfe-
suchend zum Staat zu blicken,
der sich heute schon viel zu gut
in der bevormundenden Rolle
gefällt. Nur wenn wir die Ver-
antwortung selbst in die Hand
nehmen, anstatt sie an Parteien
abzutreten, bleiben wir frei im
Denken und im Handeln!
Viele Unternehmer machen
das und werden auch zu Feind-

Rückkehr des Sozialismus


Man muss keine
Autokratie
befürchten oder
dem Populismus
erliegen, um zu
erkennen, dass
Deutschland
gerade eine Art
Übergangszeitalter
von einer freien in
eine totalitäre Welt
erlebt

SARNA RÖSER

GASTBEITRAG


bildern. Sie werden in Deutsch-
land, im Gegensatz zu anderen
Ländern, mit Argwohn betrach-
tet und im Jahr 2019 überwacht
und dauerkontrolliert. Big-
Brother-like erfasst der Staat
mehr und mehr Daten von uns:
So haben wir das sogenannte
Geldwäschegesetz mit Trans-
parenzregister. In Klardeutsch
heißt das: „Einsichtnahme-
Recht“ – und das für jedermann,
jederzeit und ohne Begründung.
In ähnlicher Spur läuft das
„Country-by-Country-Repor-
ting“ zwischen den Finanz-
ämtern innerhalb der EU oder
auch das für das Unterneh-
mensstrafrecht geplante „Pran-
ger-Register“ für Unternehmen
mit kriminellen Managern.
WährendDatenschutz für den
Normalbürger ganz oben auf die
Agenda rückt, wird er für Unter-
nehmer abgeschmolzen. Sie
stehen unter Generalverdacht.
Woher kommt das?
WWWarum das Misstrauen derarum das Misstrauen der
Profi-Politiker, das jedes dieser
Gesetze atmet? Werden wir als
Unternehmer drangsaliert, weil
wir im Grundsatz frei sind? Weil
wir keine Parteibiografien be-
stehen müssen? Weil wir uns
nicht verbiegen müssen? Weil
wir nicht immer und immer
wieder gefallen müssen? Und
warum haben wir auch sonst ein
so negatives Unternehmerbild
wie in keinem anderen Land? Ein
cocktailschlürfender Faulpelz,
der in seiner Hängematte liegt
und mit Nichtstun Geld ver-
dient. Kommt es daher, weil wir
wirtschaftlich unabhängig sind?
Es stimmt, wir können stets
unsere Meinung äußern, weil
wir schlimmstenfalls ein paar
Kunden, aber keine Mehrheiten
verlieren. Und wir hängen nicht
am Tropf des Staates, weil wir
keinen Lohn und auch keine
monetären Leistungen erwar-
ten. Von einer solchen Stimme
kann aber eine freie Gesellschaft
doch nur profitieren. Wir sind
Verbündete und keine potenziel-
len Gegner! Unternehmer haben
mit den Werten Freiheit, Ei-
gentum, Wettbewerb und Ver-
antwortung eine grandiose
Wirtschaft aufgebaut, die in
Jahrzehnten viele Krisen über-
standen hat und aus ihnen im-
mer gestärkt hervorging. Diese
Werte haben eine ganze Gesell-
schaft geprägt. Es war eine Zeit,
in der Unternehmer Vorbilder
waren. Eine Zeit, in der das
größte Ziel war, selbstständig
leben zu können, unabhängig zu
sein und nicht tun zu müssen,
was andere vorschreiben.
Deutschland soll auch in Zu-
kunft so sein, ein Land der Den-
ker und der Macher und kein
Untertanenland. Ich jedenfalls
will kein Untertan sein!

TDie Autorin ist Bundes-
vorsitzende des Verbands
Die jungen Unternehmer.

2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,11.NOVEMBER


S


ie sind Teil des deut-
schen Erfolgsmodells
und dadurch mit ver-
antwortlich für das
Wohlergehen des ganzen Landes:
die Mittelständler. Nirgendwo
werden so viele Arbeitsplätze ge-
schaffen und auch Steuern ge-
zahlt wie im Mittelstand. Damit
hängt auch die Finanzierbarkeit
der Rente von Deutschlands klei-
nen und mittleren Unternehmen
mit bis zu 250 Mitarbeitern ab.

VON DANIEL ECKERT

Alle Fragen, die die Zukunfts-
fähigkeit der deutschen Mittel-
ständler betreffen, verdienen
folglich die doppelte und dreifa-
che Aufmerksamkeit der Politik.
Es gibt jedoch einigen Grund zur
Sorge um das Rückgrat der Wirt-
schaft, vor allem in einer Hin-
sicht: Schafft es Deutschlands
berühmter Mittelstand auch im
digitalen Zeitalter, noch genü-
gend Innovationskraft zu entfal-
ten? Die Entwicklung der vergan-
genen Jahre lässt daran Zweifel
aufkommen.
„Deutschlands Wohlstand
steht auf wackeligen Füßen, denn
eine wesentliche Stütze der hei-
mischen Wirtschaft droht den
Anschluss zu verlieren“, sagt
Marcus Wortmann, Wirtschafts-
experte bei der Bertelsmann-Stif-
tung. Im Auftrag der Stiftung ha-
ben Wissenschaftler des Insti-
tuts für Mittelstandsforschung
(IfM) in Bonn untersucht, wie es
um die Voraussetzungen für
künftige Innovationsfähigkeit
hierzulande steht. Dafür haben
sie den Status bei Unternehmen
aller Größen untersucht. Die Stu-
die mit dem Titel „Produktivität
von kleinen und mittleren Unter-
nehmen in Deutschland“ lag
WELT vorab vor.
Die Erkenntnisse der Wissen-
schaftler sind durchaus beunru-
higend. „Kleine und mittlere Un-
ternehmen hinken Großunter-
nehmen in puncto Arbeitspro-
duktivität immer stärker hinter-
her“, erklärt Wortmann. Er
spricht von einer wachsenden
Produktivitätslücke zwischen

Mittelständlern und Konzernen:
Großunternehmen könnten mit
gleichem Einsatz immer mehr
produzieren, was für die kleine-
ren Betriebe nicht gelte. Als Fol-
ge davon drohe der Mittelstand
den Anschluss zu verlieren, und
mit ihm Millionen von Arbeit-
nehmern, die hier beschäftigt
sind. „Diese Entwicklung wird in
der globalen und digitalisierten
Arbeitswelt zu einem wachsen-
den Problem für die Wohlstands-
verteilung in Deutschland“,
fürchtet der Ökonom.
Diese Verschiebung beschäf-
tigt auch die Politik. Um die In-
novationsfähigkeit zu stärken,
hat die große Koalition gerade
ein Gesetz zur steuerlichen For-
schungsförderung auf den Weg
gebracht. Es soll zum 1. Januar
2020 in Kraft treten. „Es wird der
deutschen Wirtschaft neue Im-
pulse geben“, versicherte Bun-
desforschungsministerin Anja
Karliczek (CDU). Bisher kennt
die Bundesrepublik anders als
viele andere Industrieländer kei-
ne Steuergutschriften für For-
schung und Entwicklung (FuE),
die zu Investitionen in die Zu-
kunft ermuntert.
Experten monieren jedoch,
der Entwurf begünstige große
Konzerne ebenso wie kleine Fir-
men. Zwar versucht die GroKo,
die Bedenken zu zerstreuen, in-
dem sie die maximale Förder-
summe auf 500.000 Euro pro
Unternehmen und Jahr begrenzt.
Ob das wirklich zu mehr Innova-
tionstempo im Mittelstand führt,
ist jedoch umstritten.
Häufig haben die kleinen Be-
triebe keine eigene Entwick-
lungsabteilung, sie sind vielmehr
auf die Zusammenarbeit mit
Konzernen oder Forschungsein-
richtungen angewiesen. Die aber
stehen nicht überall zur Verfü-
gung. „Es ist vollkommen offen,
ob das Gesetz am Ende Mittel-
ständlern hilft oder doch eher zu
einer Konzentration von For-
schung bei den Großen führt“,
sagt die FDP-Bundestagsabge-
ordnete Bettina Stark-Watzinger,
die auch Vorsitzende des Finanz-
ausschusses ist.

Deutscher


Mittelstand


verliert den


Anschluss


Viele kleine und mittlere Betriebe investieren


nicht genug in Forschung und Entwicklung.


Das ist fatal für den langfristigen


wirtschaftlichen Erfolg der ganzen Republik

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