Die Welt Kompalt - 11.11.2019

(nextflipdebug5) #1

KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,11.NOVEMBER2019 SEITE 20


W


as „4 Blocks“
war: Ein Meilen-
stein in der
deutschen Seri-
engeschichte. Eine Geschichte
aus dem Inneren einer Welt,
auf die bis dahin immer nur von
oben und außen und mit dem
fremden Blick des verblüfften
Herkunftsdeutschen geschaut
wurde. Männer mit Bärten. So
Hip-Hop war deutsches Fernse-
hen nie. So voll Testosteron
lange nicht, es nahm einem den
Atem. Die Strafakte der Schau-
spieler, die mitmachten, ist
wahrscheinlich zehn Mal so
dick wie das Drehbuch sämtli-
cher Folgen von „Babylon Ber-
lin“. Hat das Bild Berlins in der
Welt verändert.

VON ELMAR KREKELER

Lieferte den Jungs von Neu-
kölln Identifikationsfiguren
und dem gemütlichen deut-
schen Mittelbürger vom Wohn-
zimmer aus einen ungefährli-
chen Zugang ins Innere der kri-
minellen Parallelwelt der Miris
und Abou-Chakers, von der in
den Zeitungen so viel geschrie-
ben wird. Seitdem dürfen
Clans, darf Clankriminalität in
keiner Serie fehlen, selbst im
„Tatort“nicht. Hat Klons ge-
funden, wird weitererzählt in
„Dogs of Berlin“und in „Sky-

lines“. Sollte so amerikanisch
sein wie es nur eben ging, wur-
de so deutsch, dass man es
kaum aushielt. „Buddenbrooks“
in der Sonnenallee. Roman vom
Aufstieg und Fall einer neu-
deutschen Familie in 19 Folgen.
Keine Verherrlichung des Clan-
kriminellen, keine Klischeepa-
rade, doch seltsam haltungslos.
Was bisher geschah: Ali Hama-
di, den sie (um die Nähe zu den
„Sopranos“ zu betonen) Tony
nennen, wird Chef seines Clans
libanesischer Araber, nachdem
sein Bruder, dem die Rolle phä-
notypisch (ein Schrank von ei-
nem Kerl) viel mehr lag, für län-
ger in den Knast musste. Tony
wollte nie der Capone von Neu-
kölln sein, er träumt eigentlich
davon, deutscher werden als je-
der Deutsche. So mit Immobi-
lien und Familie und deut-
schem Pass. Wird natürlich
nichts mehr an der Spitze eines
mittelständischen Kriminalun-
ternehmens. Das merkt er aber
erst allmählich. Eine deutsche
Rockergruppe wird aus dem
Weg geräumt. Tonys ehemals
bester Kumpel Vince entpuppt
sich als der Spitzel, als den ihn
jeder Blinde vom Görlitzer Park
sofort identifiziert hätte. Die
Polizei rückt immer näher, die
Konkurrenz wächst. Tony ver-
kauft, um König von Kreuzkölln
zu werden, die Seele seines

Clans an Drogenbarone in Bei-
rut. Und legt sich mit einem
Immobilienhai an. Schüsse fal-
len. Menschen sterben. Tony
mordet. Tonys Frau, die wie alle
Frauen in „4 Blocks“ und wie
damals in den Fünfzigern, von
wo das Familienbild der Hama-
dis kommt, viel klüger ist als
Tony, liegt in ihrem Blut.
Was jetzt geschieht:Tony hat
sich – Folge der Schießerei am
Ende von Staffel 2 – ins Privat-
leben zurückgezogen. Seine
Frau fehlt, das Sorgerecht für
seine Tochter ist er los. Er fährt
statt schwarzem Porsche einen
nachtblauen Golf (!). Sein Na-
me ist einer von tausenden auf
dem Klingelschild eines Wohn-
blocks am Ende der Sonnenal-
lee. Er trainiert eine Fußball-
truppe junger Flüchtlinge, an
denen er sich früher bereichert
und die er mit dem Hass des alt-
eingesessenen Migranten noch
eine Staffel vorher verachtet
hatte. Wenn er einen von ihnen
von der Straße holen kann, ist
er glücklich. Sagt er. Als einer in
der U-Bahn ein Selfie mit ihm,
dem berühmten Clanchef, ma-
chen möchte, wehrt er ab. „Ich
bin nicht Tony“, sagt Tony, als
hätte er Max Frisch gelesen.
Er ist wieder Ali. Seine bei-
den Fleischbergbrüder führen
die Geschäfte. Latif, der brav
seine Kinder zur Kita bringt,

nachdem er seine Frau (hatte
was mit Vince) rausgeworfen
hat. Und Abbas, der sich von
seiner nachblondierten Lebens-
gefährtin mit derartiger In-
brunst beleidigen lässt, wie
sonst nur ein Extrem-Maso-
chist im Keller mit der Peitsche.
Eine neue Kommissarin stellt
sich vor. Irgendwer zweigt was
ab zwischen Berlin und dem Li-
banon. Geld verschwindet. Die
Bosse in Beirut sind empört. Sie
kündigen eine Berlin-Reise an.
Toni will sich aus der Affäre zie-
hen, das wird nicht gehen. Cliff-
hanger.
Wie es weitergeht:So jeden-
falls nicht wie in den ersten bei-
den Folgen, die vorab zu sehen
waren. Hoffentlich. Nicht so
langsam. So wenig Hip-Hop.
Tony muss raus aus seiner Plat-
tenbaubutze, aus seiner Gut-
menschenwohlfühlzone. Abbas
und Latif werden es auf Dauer
nicht bringen. Sie sehen sich
auch zu ähnlich. Einer muss
spätestens an der Peripetie
(zum Finale der Folge 3 laut
Dramenbaugesetz) ins Gras des
Görli beißen. Am Ende werden
alle kriminell relevanten Grup-
pen von Kreuzkölln in eine gro-
ße Schlacht ziehen.
Was ist ärgerlich:In den ers-
ten anderthalb Stunden ist kein
einziger Lamborghini zu sehen.
Wie realistisch ist das denn?

Eine Geschichte von Feuer und Blut. Und Familie und Verbrechen: Kida Khodr Ramadan als Tony Hamadi in „4 Blocks“

©

2019 TURNER MEDIA (TNT)

Wo sind bloß die Lambos?


Die Serie „4 Blocks“ hat das deutsche Fernsehen verändert. Nun läuft die letzte Staffel


über die Berliner Clans an. Was wir von der Fortsetzung der Hamadi-Saga wissen


FOTOGRAFIE

Ex-Beatles trauern
um Freeman

Paul McCartney und Ringo
Starr trauern um den Schöp-
fer mehrerer Albumcover der
Beatles. Der Fotograf Robert
Freeman sei gestorben, hieß
es auf der Beateles-Webseite.
Er wurde 82 Jahre alt. „Ich
werde diesen wundervollen
Mann vermissen, aber die
guten Erinnerungen an ihn
für immer bewahren“,
schrieb McCartney. Ringo
Starr twitterte: „Gott segne
Robert Freeman, Friede und
Liebe für seine ganze Fami-
lie.“ Er steckte hinter den
Covern der Alben „A Hard
Day’s Night“, „Beatles For
Sale“, „Help!“ und „Rubber
Soul“.

EUROPÄISCHEN FILMPREIS

„Systemsprenger“ ist
in Sevilla im Rennen

Das deutsche Drama „Sys-
temsprenger“ ist für den
Europäischen Filmpreis no-
miniert. Das gaben die Aus-
richter auf dem Festival im
spanischen Sevilla bekannt.

KOMPAKT


D


as Leben im Bundes-
tag ist gefährlich. Erst
kürzlich erlitt ein Ab-
geordneter einen Schwächean-
fffall, immer wieder verliert je-all, immer wieder verliert je-
mand den Verstand, häufig
wird er nicht wiedergefunden.
Die Anforderungen sind mör-
derisch: Sitzungen dauern oft
mehr als 24 Stunden, Wasser
trinken ist verboten, Essen
darf man nicht mitbringen, da-
zu kommen Sauerstoffknapp-
heit, anstrengende Hammel-
sprünge und die Reden der
AAAfD-Abgeordneten. Nun wurdefD-Abgeordneten. Nun wurde
eine Kommission gebildet, die
Maßnahmen für die Verbesse-
rung der Arbeitssituation von
Parlamentariern erarbeitet hat.
Der Bundestagspräsident darf
eine Sitzung bis zu viermal für
eine Trinkpause und physio-
therapeutische Behandlungen
unterbrechen. Es soll eine Er-
satzbank eingeführt werden,
jede Partei darf im Laufe einer
Sitzung fünf Abgeordnete aus-
wechseln. Es wird eine Notaus-
gabestelle für Betablocker, Er-
satzbatterien für Herzschritt-
macher, Antidepressiva und
Prostagutt forte eingerichtet.
Reichstagsgeistliche sind 24
Stunden in Bereitschaft und
können die Beichte abnehmen
oder sterbenden Parteien die
Letzte Ölung spenden.

Zippert


zappt

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