Die Welt Kompalt - 11.11.2019

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heiden und Dünen.“ Insgesamt
leben auf dem Streifen etwa
5200 Tier- und Pflanzenarten,
1200 davon gelten auf der Roten
Liste als gefährdet. Und durch
den Verbund der Biotope ist das
Grüne Band mehr als die Sum-
me seiner Teile. „Für viele Ar-
ten ist das Grüne Band ein Wan-
derkorridor“, sagt Leupold.
Werden Tierpopulationen et-
wa an Tümpeln durch Trocken-
heit einmal ausgelöscht, kön-
nen danach Artgenossen aus
Nachbar-Arealen einwandern.
„Wenn ausgetrocknete Feucht-
gebiete nicht mit anderen Ge-
genden vernetzt sind, wird da
kein Frosch mehr hinfinden“,
erläutert Leupold. Das gleiche
gelte für andere Amphibien,
Reptilien, Fische und viele In-
sekten. „Zusammenhängende
Lebensräume über 60 oder 70
Kilometer sind in unserer stark
genutzten Landschaft etwas
sehr Kostbares geworden“, be-
tont Weiger.

KLAUS LEIDORF/ BUND

schaft gegeben hat, wie etwa in-
tensive Landwirtschaft, Ent-
wässerung, Düngung oder Pes-
tizide, gab es entlang der Gren-
ze nicht“, sagt Weiger. „Weil
der Lebensraum keinem beson-
deren Druck ausgesetzt war,
konnten sich sensible Arten
dort aufhalten. So wurde die
brutale Grenze, an der mehr als
300 Menschen umkamen, zu ei-
nem Überlebensraum für be-
drohte Pflanzen und Tiere.“
Die zweite Besonderheit des
Grünen Bands sind seine Länge
und vielfältigen Landschaften.
Auf 1393 Kilometern quert es
sämtliche in Deutschland vor-
kommenden Landschaftstypen


  • ausgenommen Hochgebirge
    und Wattenmeer. „Das Grüne
    Band ist der längste zusammen-
    hängende Lebensraumverbund
    in Deutschland“, sagt Weiger.
    „Es enthält fast 150 verschiede-
    ne Lebensraumtypen, vom
    Moor über Magerrasen und Mit-
    telgebirge bis zu Zwergstrauch-


A


n der einstigen inner-
deutschen Grenze in
Sachsen-Anhalt sind
die Bestände des
Braunkehlchens in den letzten
Jahren stark gestiegen. In ei-
nem Projektgebiet nördlich von
Salzwedel hat sich die Zahl der
Brutreviere nach Angaben des
Bundes für Umwelt und Natur-
schutz Deutschland (BUND)
von 2016 bis 2019 fast verdrei-
facht – von 23 auf 65. Die Zahl
der Jungen stieg dort sogar
noch stärker – von 48 auf 170.


VON WALTER WILLEMS

Solche Zunahmen sind nicht
selbstverständlich in einer Zeit,
in der ein großes Vogel- und In-
sektensterben beklagt wird.
Auch das Braunkehlchen (Saxi-
cola rubetra) steht auf der Ro-
ten Liste der gefährdeten Ar-
ten, seine Bestände sind in den
vergangenen Jahren vielerorts
eingebrochen. Als Bodenbrüter
ist es insbesondere durch in-
tensive Landwirtschaft be-
droht. Entlang des einstigen
Todesstreifens findet der Vogel
mit der orangefarbenen Brust
und dem weißen Streifen über
den Augen aber noch ideale Be-
dingungen: In der offenen und
halboffenen Landschaft kann er
von seinen Sitzwarten auf Pfäh-
len oder einzeln stehenden
Bäumen das Gelände überbli-
cken. Und weil keine Pestizide
ausgebracht werden, gedeihen
hier besonders viele Pflanzen-
und damit auch Insektenarten.
Davon profitieren auch andere
Vögel wie etwa Neuntöter,
Raubwürger und Ziegenmelker.
Wie kaum eine andere Art re-
präsentiert das Braunkehlchen
das Grüne Band - die ehemalige
deutsch-deutsche Grenze, die
sich über fast 1400 Kilometer
vom Vogtland über Eichsfeld,
Harz und Altmark bis zur Ost-
see hin erstreckt. „Das Braun-
kehlchen ist die Charakterart
des Grünen Bands“, sagt Dieter
Leupold, beim BUND Projekt-
leiter für das Grüne Band Sach-
sen-Anhalt. Das hängt auch mit
der Geschichte der Grenze zu-
sammen.
Schon lange vor dem Mauer-
fall wussten Umweltschützer,
dass entlang des 50 bis 200 Me-
ter breiten Todesstreifens Ar-
ten gedeihen, die andernorts
längst verschwunden sind. „Das
Wissen über die besondere
Qualität, die sich im Schatten
der Grenze erhalten hatte, hat-
ten wir schon in den 1970er Jah-
ren durch Vogelkartierungen“,
sagt der BUND-Vorsitzende
Hubert Weiger. „Am Vorkom-
men der Braunkehlchen konnte
man schon damals den Grenz-
verlauf nachziehen.“
So makaber es klingt: Mit der
Vertreibung Zehntausender
Menschen, der zunehmend her-
metischen Abriegelung der
Grenze und einer fünf Kilome-
ter breiten Sperrzone schuf das
DDR-Regime unbeabsichtigt
Rückzugsräume für gefährdete
Pflanzen und Tiere. „Entwick-
lungen, die es in unserer Land-


So hat sich in der nördlichen
Altmark, das von Grabensyste-
men durchzogen wird, der
Fischotter ebenso gehalten wie
zwei Libellen, die Vogel-Azur-
jungfer und die Helm-Azur-
jungfer. Alle sind in Deutsch-
land vom Aussterben bedroht.
Die Forderung, den Grenz-
streifen unter Schutz zu stel-
len, kam direkt nach dem Mau-
erfall auf. Schon am 9. Dezem-
ber 1989 lud der BUND zu ei-
nem Treffen nach Hof – es wur-
de die Geburtsstunde der Idee
zum Grünen Band. „Wir hatten
damals mit insgesamt 40 Leu-
ten gerechnet“, erinnert sich
Weiger. „Gekommen sind dann
400, die allermeisten aus der
DDR.“ In einer Resolution for-
derten die Teilnehmer, den
Grenzverlauf in seiner gesam-
ten Länge als Lebensraumver-
bund unter Schutz zu stellen.
„Es gab damals in der DDR
eine sehr engagierte Umweltbe-
wegung“, erinnert sich der da-
malige Bundesumweltminister
Klaus Töpfer. „Die waren bes-
tens informiert. Das Grüne
Band war weniger ein Staats-
projekt als vielmehr ein Projekt
von Bürgerinnen und Bürgern.“
Doch die Umsetzung erwies
sich als überaus zäh. Problema-
tisch waren in den Anfangsjah-
ren insbesondere die lange Zeit
ungeklärten Eigentumsverhält-
nisse entlang der ehemaligen
Grenze. „Damals kamen viele
zurückgegebene und erworbene
Grundstücke legal und manche
anderen Flächen illegal unter
den Pflug“, sagt Karin Ullrich
vom Bundesamt für Naturschutz
(BfN). „Das gilt insbesondere für
Regionen mit besonders frucht-
baren Böden wie in den Börde-
landschaften im nördlichen
Harzvorland.“ Bis heute ist
Sachsen-Anhalt das Bundesland,
in dem das Grüne Band die größ-
ten Lücken aufweist – auf etwa

1 00 der insgesamt 343 Kilometer.
Erst als Bestandsaufnahmen des
gesamten Grünen Bands den Na-
turschutzwert bestätigten, folg-
te bis 2006 ein Verkaufsstopp.
Bis 2010 übertrug der Bund
seine Flächen an die jeweiligen
Bundesländer. Doch große Lü-
cken klaffen noch immer – auch
wenn der BUND seit dem Jahr
2000 bundesweit etwa 1000
Hektar entlang der ehemaligen
Grenze oder in der Nachbar-
schaft angekauft hat. Zurzeit
gelten etwa zwölf Prozent des
Grünen Bands als beeinträch-
tigt bis zerstört – vor allem
durch Straßen, zwölf Autobah-
nen, Gewerbegebiete und in-
tensive Landwirtschaft.
„Der Zustand ist sehr hetero-
gen“, sagt BfN-Expertin Ullrich.
„Aber insgesamt ist das Grüne
Band als Biotopverbund in gro-
ßen Teilen noch erhalten.“ Thü-
ringen, das mit 763 Kilometern
mehr als die Hälfte des Streifens
stellt, hat seinen Teil im Novem-
ber 2018 als Nationales Natur-
monument ausgewiesen – diese
Schutzkategorie berücksichtigt
auch den kulturhistorischen
WWWert eines Gebiets. Sachsen-ert eines Gebiets. Sachsen-
Anhalt will bis zum 30. Jahrestag
des Mauerfalls nachziehen. Bis
zum Jubiläum der Einheit am 3.
Oktober 2020, so hofft der
BUND-Vorsitzende Weiger,
könnte das Grüne Band auf sei-
ner gesamten Länge Nationales
Naturmonument werden.
Im Gegensatz zu den Natio-
nalparks mit ihrem Motto „Na-
tur Natur sein lassen“ steckt
hinter dem Nationalen Natur-
monument eine andere Ab-
sicht: Der Grenzstreifen soll
nur vereinzelt sich selbst über-
lassen bleiben, andernfalls wür-
de er verbuschen und verwal-
den. „Wo es praktikabel ist,
wollen wir das Grüne Band of-
fen oder halboffen erhalten“,
sagt Ullrich und verweist auf ei-
ne extensive Beweidung als
ideales Instrument dafür. Halb-
offene Areale bilden - im Ge-
gensatz zu geschlossenem Wald


  • einen Korridor für viele Arten,
    sind aber umgekehrt kein Hin-
    dernis für Waldbewohner oder
    Offenlandbewohner. Behutsa-
    me Eingriffe durch den Men-
    schen sind erwünscht.
    Leupold setzt in Sachsen-An-
    halt auf eine mit den Landwir-
    ten abgestimmte Nutzung. So
    sollen Flächen, auf denen
    Braunkehlchen Nester haben,
    während der Brutzeit von Juni
    bis Mitte Juli nicht gestört wer-
    den. Und in den Gräben der
    nördlichen Altmark wird gele-
    gentlich gemäht und Kraut ent-
    fffernt, damit das Wasser fließenernt, damit das Wasser fließen
    kann. „Der Wasserfluss muss ge-
    währleistet sein“, sagt Leupold.
    Nur so werde sichergestellt,
    dass Fließgewässer-Libellen wie
    Helm- und Vogel-Azurjungfer
    gggute Lebensbedingungen haben.ute Lebensbedingungen haben.
    Inzwischen reicht der Blick
    der Umweltschützer zudem
    weit über Deutschland hinaus:
    Ihnen schwebt ein Grünes Band
    Europa vor, vom Nördlichen
    Eismeer über 12.500 Kilometer
    bis zum Schwarzen Meer. dpa


Braunkehlchen, Vogel-Azur-
jungfer, Moorfrosch und Fisch-
otter fühlen sich auf dem ehe-
maligen Todesstreifen so wohl
wie an vielen anderen Orten in
der Bundesrepublik nicht

THOMAS STEPHAN / BUND

/

Grüne


Grenze


30 Jahre nach dem Mauerfall


ist die ehemalige Grenze


der längste Biotopverbund


Deutschlands. Hier gedeihen


Arten, die anderswo längst


verschwunden sind.


Nun wollen Umweltschützer


das Projekt über Deutschland


hinaus ausdehnen


INE PENTZ/ BUND HEINZ KLÖSER/ BUND

UTE MACHEL/ BUND

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT MONTAG, 11. NOVEMBER 2019 WISSEN 25

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