Die Welt Kompalt - 11.11.2019

(nextflipdebug5) #1

30 PANORAMA DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,11.NOVEMBER2019


I


m Interview ordnet Profes-
sor Wolfgang Schroeder die
Nachwehen der Thüringen-
Wahl ein und erklärt, was sie
für die Bundespolitik bedeuten.
WELT erreicht den Politologen,
der an der Universität Kassel
lehrt, telefonisch in Berlin. Dort
forscht das SPD-Mitglied als Fel-
low am Wissenschaftszentrum
WZB an Fragen zur Stabilisie-
rung der Demokratie.

VON CURD WUNDERLICH

WELT:Der Osten hat gewählt.
Und es ist kompliziert. Müssen
wir uns auf solche Ergebnisse
auch in westdeutschen Län-
dern und bei der Bundestags-
wahl einstellen?
WOLFGANG SCHROEDER:Das
bleibt erst mal ein Ostthema. In
den alten Ländern und auf Bun-
desebene gibt es zwischen CDU,
SPD, Grünen und FDP eine hohe
wechselseitige Koalitionsbereit-
schaft. Und diese vier Parteien
zusammen werden mittelfristig
gut über 50 Prozent kommen.
Gleichwohl haben wir einen dra-
matischen Wandel des Parteien-
systems: Die Stärke der ehemali-
gen großen Volksparteien ist
weg. Wir nähern uns einer Struk-
tur an, in der drei, teilweise vier
Parteien zwischen 15 und 25 Pro-
zent liegen.

Welche Regierung wäre die bes-
te für Thüringen?
So wie die Lage jetzt ist: eine
Minderheitsregierung. Die kann
aber nur eine Zwischenstufe sein,
kein finaler Zustand.

Das heißt, eine Minderheitsre-
gierung hält keine Legislatur-
periode durch?
VVVermutlich. Aber die Ramelow-ermutlich. Aber die Ramelow-
Koalition hat auch mit einer Stim-
me Mehrheit eine Legislaturperi-
ode durchgehalten. Die Parteien
können im Kontext der Minder-
heitsregierung stärker sachbezo-
gen diskutieren und könnten so
neue Gemeinsamkeiten, Erfolge
und Entwicklungsperspektiven
fffinden. Und: Die Zeit der Minder-inden. Und: Die Zeit der Minder-
heitsregierung kann zumindest
eine Atempause für Parteien sein,
um sich neu zu orientieren.

Wer sollte die Minderheitsre-
gierung anführen?

Ramelow sollte eine Minderheits-
regierung anführen. Alles andere
wäre abenteuerlich. Es gibt nur
die Möglichkeiten: Minderheitsre-
gierung unter Ramelow oder Neu-
wahlen. Eine Simbabwe-Koalition
mit CDU, SPD, Grünen und FDP
halte ich für ausgeschlossen. Wa-
rum sollten die Grünen und die
SPD zu einer CDU überlaufen, die
so gespalten ist wie keine zweite
Partei in Thüringen.

Wie sollen Parteien auf die zu-
nehmend schwieriger zu orga-
nisierenden Mehrheiten reagie-
ren: mehr Kante oder mehr
Konsens?
Wir brauchen beides. Kante und
Konsens müssen aber der Wirk-
lichkeit angemessen sein. Wenn
man die AfD und die Linkspartei
auf eine Ebene stellt, dann ist das
ein Verrat an der Wirklichkeit.
Denn die Linkspartei ist im Os-
ten eine eher rechts-sozialdemo-
kratische Partei, die gleichzeitig
einige weit links stehende Ansät-
ze einbindet. Aber das haben wir
aus einer demokratiepraktischen
Perspektive immer als positiv be-
trachtet. Erinnern wir uns an
Franz Josef Strauß, der sagte,
rechts von ihm dürfe nur noch
die Wand sein. Die CDU riskiert
mit ihrer halsstarrigen Gleichset-
zung von AfD und Linke ohne
Not eine Staatskrise. Die aber
deshalb nicht kommen wird, weil
die anderen Kräfte beweglich
und klug genug sind.

Die CDU zeigt zu viel Kante?
Das ist nicht Kante, das ist eine
Unbeweglichkeit, mit der man
dem Wandel in der Gesellschaft,
bei der Linken und im Parteien-
system nicht mehr gerecht wird.
Die CDU ist in einer pathologi-
schen Starre und könnte sich
durch ihren Werteverrat in Thü-
ringen überflüssig machen.

Sie können nicht verstehen,
dass die CDU nicht mit der Lin-
ken zusammenarbeiten will?
Doch, das kann ich schon verste-
hen. Doch wenn die Wirklichkeit
sich verändert, dann kann man
dies ja nicht ignorieren. Zumal es
aus einer wertebezogenen Per-
spektive der handelnden Akteure
und ihrer Politik eigentlich kaum
Unverträglichkeiten geben müss-
te. Aber ein starker Teil der

CDU-Funktionäre will sich nicht
aus seinem Schützengraben he-
rausbewegen. Und wenn ich da-
rin feststecke und darin mein
Heil suche, um mein Profil zu
schärfen, bekomme ich bestimm-
te Entwicklungen nicht mit – da
hat dieser Teil der CDU Nachhol-
bedarf. Er reißt aber gegenwärtig
den aufgeklärteren Teil der Uni-
on mit nach unten.

Wenn Parteien sich an der
Wirklichkeit orientieren sollen,
was bedeutet dasfür die CDU
in Thüringen?
Das bedeutet nicht einfach an-
passen, im Sinne des Verkaufens
der eigenen Werte. Deshalb darf
sie sich auf keinen Fall zur AfD
öffnen. Denn das ist eine extre-
mistische Partei in Thüringen,
sie wurde dort vom Verfassungs-
schutz als Prüffall identifiziert.
Es ist unglaublich, dass Mitglie-
der der CDU überhaupt auf die
Idee kommen, diesen Rubikon zu
überschreiten.

Hilft oder schadet der eigene
Parteitagsbeschluss der CDU,
der eine Kooperation mit AfD
und Linkspartei ausschließt?
Er schadet ihr insofern, als 70
Prozent der CDU-Wähler in Um-
fragen sagen, man sollte die Ra-
melow-Linke pragmatischer be-
gleiten.

Halten Sie es für realistisch,
dass sich die CDU darauf ei-
nigt, dass es für die Linke kei-
nen Unvereinbarkeitsbeschluss
braucht? Maaßen wehrte sich
gerade wortreich gegen eine
Kooperation mit der Linken,
die ja nicht SED-Nachfolgepar-
tei sei, sondern nur die mehr-
fach umbenannte SED.
Die anderen Parteien hatten
nach 1945 Faschisten in ihren Rei-
hen. Es muss am Ende Versöh-
nung geben. Herr Maaßen ver-
tritt innerhalb der Union nur ei-
nen winzig kleinen Teil der Mit-
glieder mit abseitigen Positio-
nen. Wenn die Partei sich daran
orientieren würde, könnte die
Union ihren Anspruch als Volks-
partei aufgeben und in Zukunft
mit der FDP konkurrieren.

Angesichts der neuen Verhält-
nisse: Wird Deutschland unre-
gierbar?

„Demokratie


baut immer auf


Ausgrenzung auf“


Björn Höcke mit fast 25 Prozent in Thüringen und eine CDU ohne


Kompass, dazu die GroKo in Berlin im Dauerkrisenmodus.


Politikwissenschaftler Schroeder über die neuen Machtverhältnisse


DEUTSCHLAND


2 9 Verletzte bei


Massenkarambolage


Bei einer Massenkarambolage
auf der A7 in Bayern sind nach
einer ersten Bilanz der Polizei
29 Menschen verletzt worden.
Notärzte und Sanitäter brach-
ten vier Schwerverletzte in
Krankenhäuser. „Beteiligt wa-
ren 18 Fahrzeuge“, so die Polizei
mit. Darunter sind zahlreiche
Autos und mindestens ein Lkw.
Nach ersten Ermittlungen hatte
sich auf einer Brücke bei Markt-
breit Glatteis gebildet. Der
49-jährige Fahrer eines Klein-
transporters, der Richtung
Kassel unterwegs war, war in
die Mittelleitplanke gekracht.
„Zu diesem Zeitpunkt war es
glatt und stark neblig“, sagte
der Polizeisprecher. Die Sicht-
weite lag unter 50 Metern. Laut
Polizei konnten nachfolgende
Autofahrer nicht mehr recht-
zeitig bremsen, so dass es zu
weiteren Auffahrunfällen kam.


GROSSBRITANNIEN


Auftritt der Prinzen


nach Frust-Interview


Sie wurden einst als neue Fab
Four gefeiert – doch derzeit
sind sie nur noch selten ge-
meinsam zu sehen. Zwischen
den britischen Prinzen William
und Harry sowie ihren Frauen
gab es auch am Wochenende
rund um das traditionelle Welt-
kriegsgedenken keine sichtbare
Annäherung. William und Harry
trafen am Samstag mit ihren
Frauen, Herzogin Kate und
Herzogin Meghan, zu einer
Galaveranstaltung in der Royal
Albert Hall zusammen. Auf
Bildern war keine Umarmung,
kein Handschlag zu sehen. Die
Paare saßen weit auseinander:


William und Kate neben der
Queen, Harry und Meghan im
Hintergrund. Auch am Sonntag
bei der traditionellen Kranz-
niederlegung an der Gedenk-
stätte Cenotaph im Londoner
Regierungsviertel gab es räumli-
che Distanz. Während Kate sich
einen Balkon mit Queen Eliza-
beth II. und Herzogin Camilla
teilte, um das Geschehen zu
verfolgen, war Meghan ein Platz
neben der Frau von Prinz Ed-
ward, Countess Sophie, zu-
gewiesen worden.

E-ZIGARETTEN

Vitamin-E-Öl wohl
schuld an Todesfällen

Nach 39 Todesfällen und mehr
als 2000 Lungenerkrankungen
durch E-Zigaretten hat eine
US-Gesundheitsbehörde nach
eigenen Angaben wahrschein-
lich die Ursache ausfindig ge-
macht. Es gebe „direkte Belege“
dafür, dass ein aus Vitamin E
gewonnenes Öl die Lungen-
erkrankungen bei den E-Ziga-
retten-Konsumenten hervor-
gerufen habe, sagte die stell-
vertretende Direktorin der
Zentren für Seuchenkontrolle
und -prävention, Anne Schu-
chat. Die Chemikalie sei bei
allen 29 erkrankten Patienten,
deren Lungenflüssigkeit unter-
sucht wurde, nachgewiesen
worden. Schuchat bezeichnete
diese Erkenntnisse als Durch-
bruch. Es seien keine anderen
potenziellen Giftstoffe bei den
Patienten gefunden worden.

KOMPAKT


LOTTO
Die Zahlen
Lotto: 9 - 28 - 31 - 33 - 40 - 44
Superzahl: 7
Spiel 77: 4329446
Super 6: 634728
(Alle Angaben ohne Gewähr)

sen: Thomas Exner Kultur:Thomas Exner Alle: c/o
Axel Springer SE, 10888 Berlin, Axel Springer Stra-
ße 65.
Hamburg: Claudia Sewig, Axel-Springer-Platz 1,
20355 Hamburg Anzeigen: Kai-G. Ehrenschneider-
Brinkmann, Axel Springer SE, 10888 Berlin
Axel Springer SEvvvertreten durch den Vorstand Dr.ertreten durch den Vorstand Dr.
Mathias Döpfner (Vorsitzender), Jan Bayer, Dr. Stepha-
nie Caspar, Dr. Julian Deutz, Dr. Andreas WieleGe-
schäftsführer Print:Christian Nienhaus Verlagslei-
ter Print:Ralf Hermanns, Stv. Heiko RudatAnzei-
gen:Kai-G. Ehrenschneider-Brinkmann Redaktion
Sonderthemen: Matthias Leonhard
Verlag und Druck: Axel Springer SE, Vertrieb:Sales
Impact GmbH & Co. KG, alle 10888 Berlin, Axel-
Springer-Straße 65. Tel.: 030/25910.
Es gilt die WELT-Preisliste Nr. 97a, gültig ab 1. Januar


  1. Alle Rechte vorbehalten. Die Rechte für die
    Nutzung von Artikeln für elektronische Pressespie-
    gel erhalten Sie über die PMG Presse-Monitor
    GmbH, http://www.presse-monitor.de. E-Mail: info@pres-
    se-monitor.de. Der Preis für das Abonnement beträgt
    monatlich 18,90 € und kann zum Monatsende been-
    det werden. Abbestellungen müssen dem Verlag
    schriftlich sieben Tage vor Monatsende vorliegen.
    Rechtshinweis: Alle Inhalte (Text- und Bildmaterial)
    werden Internetnutzern ausschließlich zum priva-
    ten, eigenen Gebrauch zur Verfügung gestellt, jede
    darüberhinausgehende Nutzung ist unzulässig. Für
    die Inhalte fremder, verlinkter Internetangebote
    wird keine Verantwortung übernommen.
    Digitale Angebote erreichen Sie unter:
    Tel. +800 / 95 15 00 0 E-Mail: [email protected]
    Informationen zum Datenschutz finden Sie unter
    http://www.welt.de/datenschutz. Sie können diese auch
    schriftlich unter Axel Springer SE, Datenschutz, Axel
    Springer Straße 65, 10969 Berlin anfordern.


IMPRESSUMVerleger Axel Springer (1985 †)
Herausgeber: Stefan Aust
Chefredakteur: Dr. Ulf Poschardt
Stellvertreter des Chefredakteurs:
Oliver Michalsky, Arne Teetz
Chefredakteure in der Welt-Gruppe:
Johannes Boie, Dagmar Rosenfeld
Stellvertretender Chefredakteur: Robin Alexander
Geschäftsführender Redakteur:Thomas Exner
Leitung Editionsteam:Christian Gaertner,
Stellv.: Philip Jürgens, Lars Winckler
Redaktionsleiter Digital: Stefan Frommann
Politik: Marcus Heithecker, Claudia Kade, Lars
Schroeder, Dr. Jacques Schuster Investigation/Re-
portage:Wolfgang Büscher, Stv. Manuel Bewarder
Außenpolitik:Clemens Wergin, Stv. Klaus Geiger,
Silke Mülherr Wirtschaft: Jan Dams, Olaf Gersemann
Kultur: Dr. Jan Küveler, Andreas Rosenfelder, Stv.
Hannah Lühmann Sport: Stefan Frommann Wissen:
Dr. Pia Heinemann, Stv. Wiebke Hollersen Regional-
red. Hamburg:Jörn Lauterbach WELT Editorial
Studio: Matthias LeonhardLayout/Produktion:
Ronny Wahliß, Philippe Krueger, Gesa Vollborn Foto:
Stefan A. Runne Grafik: Karin Sturm Nachrichten/
Unterhaltung:Falk Schneider WELTplus:Sebastian
Lange Community/Social: Thore Barfuss und Wolf-
gang Scheida Video: Martin Heller


WELT kooperiert mit „El País“ (Spanien),
„La Repubblica“ (Italien), „Le Figaro“ (Frankreich),
„Le Soir“ (Belgien), „Tages-Anzeiger“,
„Tribune de Genève“ (beide Schweiz) und
„Gazeta Wyborcza“ (Polen)


Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes:Seite
1:Peter Schelling Deutschland: Claudia Kade Aus-
land: Thomas Exner Forum: Rainer Haubrich Wirt-
schaft/Finanzen:Jan Dams Sport: Sven Flohr Wis-

Free download pdf