Die Welt Kompalt - 11.11.2019

(nextflipdebug5) #1
Es wird schwerer regierbar. Die
Parteien werden beweglicher
sein müssen, neugieriger, offe-
ner. Am Ende könnte man aber
auch wieder breitere Mehrheiten
bekommen. Wir haben eine In-
tensivierung des Wettbewerbs in
der Mitte. Dass Ramelow seine
Position behaupten konnte, war
ja nur möglich, weil er in der
Mitte steht.

Ist nicht genau das schon ein
Problem der großen Koalition?
Die beiden Parteien haben sich

inhaltlich immer weiter ange-
nähert, dadurch aber Proble-
me, ihre traditionelle Wähler-
klientel zu halten. Wenn noch
mehr Parteien in die Mitte sto-
ßen: Stärkt das die Ränder wei-
ter?
Das muss nicht so sein. Die AfD
ist nicht vom Himmel gefallen.
Ihr Wählerpotenzial gab es im-
mer schon in der Bundesrepu-
blik: Zwischen zehn und 20 Pro-
zent der Wähler sind für autori-
täre, illiberale und einfache Lö-
sungen zu gewinnen ...

Jetzt sind es in Thüringen be-
reits über 20 Prozent.
Das liegt an der Angebotsstruk-
tur: Die AfD bildet eine Koalition
aus Pragmatikern und Extremis-
ten. Sie braucht auch beides,
sonst bekäme sie nicht diese Auf-
merksamkeit. Dieses Wechsel-
spiel ist ein attraktiver Faktor für
gewisse Wählergruppen. Wir ha-
ben aber 75 bis 80 Prozent an
Wählern, die sich bewusst gegen
diese Partei entscheiden. Und bei
diesen gibt es einen erfreulichen
Basiskonsens hinsichtlich der

wirtschaftlichen, gesellschaftli-
chen und wertebezogenen Ziele.

Sehen Sie ein Szenario, in dem
die AfD marginalisiert wird?
Es gibt drei Szenarien: Das eine
läuft darauf hinaus, dass alles so
bleibt, wie es ist und die AfD sich
auf einem Niveau zwischen zehn
und 18 Prozent etabliert. Das im-
pliziert, dass die anderen mittel-
großen Parteien es nicht schaf-
fen, einerseits ein klares Profil zu
haben und andererseits ausrei-
chend koalitions- und konsensfä-
hig zu sein, um Projekte mit Aus-
strahlung zu entwickeln. Wenn
sie das schaffen, haben sie eine
andere Integrationskraft – dann
würde die AfD kleiner.

Und das dritte Szenario?
AAAlle rechtspopulistischen undlle rechtspopulistischen und
rechtsextremen Parteien in
Deutschland haben sich bisher
selbst zerstört. Und die Selbstzer-
störung der AfD ist nicht ausge-
schlossen. Die Erfolgsformel ist
zzzwar Pragmatismus und Extre-war Pragmatismus und Extre-
mismus – aber nur solange sich die
extremistischen Kräfte den prag-
matischen unterordnen. Wenn der
Siegeszug von Höcke und Co an-
hält, würde ein Prozess dramati-
scher innerer Selbstzerstörung in
Gang gesetzt werden – das ist zu-
mindest bislang die Erfahrung, die
wir sammeln konnten.

Ist die Partei dafür nicht schon
zu groß?
Das ist in der Tat ein Faktor. Die-
se Partei ist durch die Wähler, die
kluge Choreografie und nicht zu-
letzt durch ihre steuerbasierte
Institutionalisierung zu einem
Faktor geworden. Sie ist gemes-
sen an ihrer Lebenszeit sehr er-
folgreich. Aber wir können nicht
von Hyperstabilität ausgehen;
das ist alles viel fragiler, als es
von außen ausschaut. Insofern
ist auch diese Option nicht gänz-
lich abwegig. Aber gegenwärtig
sind sie auf dem Platz.

Ist die Ausgrenzungsstrategie
noch der richtige Umgang mit
einer 23-Prozent-AfD?
AAAuf jeden Fall. Demokratie bautuf jeden Fall. Demokratie baut
immer auf Ausgrenzung auf. De-
mokratie kann nur überleben,
wenn sie diejenigen, die die De-
mokratie abschaffen wollen, be-
kämpft. Wenn wir das nicht be-
herzigen, läuft die Demokratie
Gefahr unterzugehen. Das Ver-
mächtnis der deutschen Ge-
schichte ist diese wehrhafte De-
mokratie, die bei uns Verfas-
sungsrang genießt. Und wenn es
Kräfte gibt, die entweder explizit
gegen unsere Verfassung sind und
die Komposition von Mehrheits-
und Minderheitsrecht nicht ak-
zeptieren, dann muss die Demo-
kratie Brandmauern entwickeln.

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT MONTAG, 11. NOVEMBER 2019 PANORAMA 31


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DPA

/ BERND VON JUTRCZENKA
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