Die Welt Kompalt - 11.11.2019

(nextflipdebug5) #1

Frankreichs Präsident Macron ist strikt gegen den EU-Beitritt


von Albanien und Nordmazedonien. Das treibt die Region der Türkei


in die Hände. Und Ankara nutzt die Gelegenheit für mehr Einfluss


Erdogans Traum


vom osmanischen


Balkan


D


er 15. Juli 2019 war ein
besonderes Datum in
den albanisch-türki-
schen Beziehungen.
Das konnte jeder erkennen, der
sich in Tirana aufhielt. Mehrere
Hundert Menschen liefen durch
die albanische Hauptstadt, tru-
gen meterlange albanische und
türkische Flaggen. Ihr Ziel: der
Stadtpark Tiranas. Dort war der
sogenannte Park der Demokratie
vom 15. Juli errichtet worden.

VON MICHAEL GRAUPNER

Die Menschenmasse passierte
eine Allee, die „Straße der Märty-
rer vom 15. Juli“. 251 Bäume säu-
men die Straße, sie wurden ei-
gens aus der Türkei importiert.
Schließlich hielt die Menge an ei-
ner Gedenkplakette aus schwar-
zem Granit. In goldener Schrift
sind darin die Namen der 251 Per-
sonen eingraviert, die beim ge-
scheiterten Putschversuch in der
Türkei am 15. Juli 2016 ums Leben
gekommen sein sollen. Es ist das
erste Denkmal dieser Art außer-
halb der Türkei – der türkische
Staat selbst hat es in Auftrag ge-
geben und finanziert.
Albanien ist ein Paradebeispiel
für den gewachsenen Einfluss
der Türkei auf dem Balkan, der
einst zum Osmanischen Reich
gehörte. Während die türkische
Regierung im Norden Syriens

mit Panzern und Soldaten ein-
rückte, expandiert sie auf dem
Westbalkan deutlich subtiler. Die
EU hat die Wirkung der türki-
schen „Soft Power“ zuletzt un-
freiwillig verstärkt. Auf dem EU-
Gipfel im Oktober konnten sich
die Mitgliedsstaaten nicht auf die
Eröffnung der Beitrittsverhand-
lungen mit Albanien und Nord-
mazedonien einigen, die Ent-
scheidung wurde vertagt. Nun
drängt die Türkei in Einfluss-
sphären, aus denen sich die EU
zurückzieht. In Albanien und
Nordmazedonien dürfte man die
Annäherung Ankaras begrüßen,
hat doch das Zögern Brüssels zu
einer EU-Ernüchterung geführt.
„Albanien nimmt eine Schlüs-
selrolle in der neo-osmanischen
Außenpolitik der Türkei ein“,
sagt der albanische Politikwis-
senschaftler Enri Hide. Er
forscht an der privaten Europa-
Universität in Tirana zu interna-
tionalen Beziehungen. Hide ver-
weist auf die Doktrin des frühe-
ren türkischen Außenministers,
Ahmet Davutoglu, der 2009 da-
von sprach, wieder den Geist ei-
nes „osmanischen Balkans“ in
der Region etablieren zu wollen.
Die fast 500-jährige Herrschaft
auf dem Balkan bietet vor allem
für die Länder Anknüpfungs-
punkte, in denen es viele Musli-
me gibt – dazu gehören Albanien,
der Kosovo, Nordmazedonien so-

wie Bosnien und Herzegowina.
Dort, so Hide, versuche die Tür-
kei seit einigen Jahren, diesen
Ansatz in konkrete Außenpolitik
umzusetzen. Gerade in diesen
Ländern baut und renoviert An-
kara Moscheen und andere Kul-
turdenkmäler. Mitten in Tirana
entsteht die größte Moschee auf
dem Balkan. Der türkische Präsi-
dent Recep Tayyip Erdogan per-
sönlich soll den Bau gebilligt ha-
ben, der vollständig aus türki-
schen Geldern finanziert wird.
Das türkische Engagement
kommt mit Gegenforderungen.
In der Zeit vor 2016 war es beson-
ders die Gülen-Bewegung, die
sich kulturell im Westbalkan en-
gagierte – bis 2016, als es in der
Türkei einen Putschversuch gab.
Erdogan macht Fethullah Gülen,
den Kopf der Bewegung, und sei-
ne Anhänger dafür verantwort-
lich. Ankara forderte daraufhin
die Regierungen Albaniens, Ko-
sovos und Nordmazedoniens auf,
die von der Gülen-Bewegung ge-
führten Institutionen zu schlie-
ßen und ihre führenden Mitglie-
der der Türkei zu überstellen.
Offiziell haben die Länder das
abgelehnt. Trotzdem änderte
sich die Trägerschaft von vielen
Kindergärten, Schulen und Uni-
versitäten. Die staatliche türki-
sche Maarif-Stiftung hat selbst
solche Institutionen gegründet:
In Tirana hat sie im Sommer den

D


as Einkommen wird ge-
prüft, die Bedürftigkeit
nicht – auf diesen Kom-
promiss für eine Grundrente, die
zum 1. Januar 2021 kommen soll,
hat sich die große Koalition nach
langem Ringen am Sonntag geei-
nigt. Den Durchbruch verkünde-
ten am Nachmittag im Bundes-
kanzleramt die CDU-Vorsitzen-
de Annegret Kramp-Karrenbau-
er, CSU-Chef Markus Söder und
Malu Dreyer als kommissarische
SPD-Vorsitzende.


VON ANSGAR GRAW

Die drei Politiker sprachen in
ähnlich lautenden Formulierun-
gen von einem „vernünftigen
Kompromiss“. Dabei hat er-
kennbar die Union die größeren
Zugeständnisse machen müs-
sen. Im Koalitionsvertrag vom
Februar 2018 war vereinbart
worden, die „Lebensleistung
von Menschen, die jahrzehnte-
lang gearbeitet, Kinder erzogen
und Angehörige gepflegt ha-
ben“, zu honorieren „und ihnen
ein regelmäßiges Alterseinkom-
men zehn Prozent oberhalb des
Grundsicherungsbedarfs“ zuzu-
sichern. Doch als Voraussetzung
für den Bezug der „Grundrente“
hatten die Koalitionäre seiner-
zeit eine „Bedürftigkeitsprüfung
entsprechend der Grundsiche-
rung“ unterschrieben. Darauf
wird nun verzichtet.
Kramp-Karrenbauer, die auch
VVVerteidigungsministerin ist, sag-erteidigungsministerin ist, sag-
te am Sonntag, man habe „einen
dicken Knoten zerschlagen“.
Dreyer, Regierungschefin in
RRRheinland-Pfalz, würdigte die Ei-heinland-Pfalz, würdigte die Ei-
nigung als „sozialpolitischen
Meilenstein“. Der bayerische Mi-
nisterpräsident Söder bemühte
das Bild von der „Kuh“, die nun
„„„vom Eis ist“. Die Einigung siehtvom Eis ist“. Die Einigung sieht
vor, dass zwar die Einkünfte der
künftigen Empfänger der Grund-
rente geprüft werden, nicht aber
deren tatsächliche Bedürftigkeit.
Der nötige Einkommensabgleich
soll automatisiert und bürger-
fffreundlich durch einen Daten-reundlich durch einen Daten-
austausch zwischen der Renten-


versicherung und den Finanzbe-
hörden organisiert werden.
WWWährend Kramp-Karrenbauerährend Kramp-Karrenbauer
auf die Frage nach den Kosten
darauf verwies, man müsse zu-
nächst prüfen, wie groß die Zahl
der Empfangsberechtigten sei,
sagte Söder, jährlich sei von ma-
ximal einer Milliarde bis 1,5 Milli-
arden Euro auszugehen. Die Uni-
on hatte gefordert, unterhalb ei-
ner Grenze von zwei Milliarden
Euro an Mehrbelastungen für
den Bundeshaushalt zu bleiben.
Dreyer bezifferte den Kreis der
künftigen Grundrenten-Empfän-
ger auf 1,2 bis 1,5 Millionen Men-
schen. „Vier von fünf Beziehern
werden Frauen sein“, sagte die
Sozialdemokratin. Darum sei der
Kompromiss ein „starkes frauen-
politisches Signal“. Wie Kramp-
Karrenbauer ankündigte, soll der
Beitragssatz zur Arbeitslosenver-
sicherung von derzeit 2,5 Prozent
befristet um 0,5 Prozentpunkte
gesenkt werden.
Kritik an der Vereinbarung
der großen Koalition kam von
den Liberalen. FDP-Generalse-
kretärin Linda Teuteberg sagte
WELT, der Kompromiss sei „ein
schlechter Kuhhandel zur Ge-
sichtswahrung der GroKo: keine
konsequente Linderung von Al-
tersarmut, neue Ungerechtig-
keiten, ungeklärte Finanzierung
und unzureichende Wachstums-
impulse. Die Union gibt Äquiva-
lenzprinzip und Generationen-
gerechtigkeit preis.“
Söder lobte hingegen, man ha-
be ein „echtes Gerechtigkeits-
und Leistungspaket“ geschnürt.
Nach dem Beschluss gilt für die
Grundrente ein Freibetrag in Hö-
he von 1250 Euro für Alleinste-
hende und von 1950 Euro für Paa-
re. Hintergrund der Kompro-
misssuche in der Koalition war
die Sorge, ein SPD-Parteitag kön-
ne nächsten Monat den Ausstieg
aus der Koalition beschließen.
WWWährend Dreyer einer Frage aus-ährend Dreyer einer Frage aus-
wich, ob die Sorge vor dem Ende
der Regierung nach der Verein-
barung vom Tisch sei, sagte Sö-
der, damit sei die Halbzeitbilanz
der Koalition „perfekt“.
A

bgeordnete aus Union
und FDP drängen die
Bundesregierung, die Bal-
kanstaaten stärker zu unterstüt-
zen, um eine erneute Migrations-
krise in Mitteleuropa abzuwen-
den. Hintergrund ist eine Re-
cherche von WELT AM SONN-
TAG, nach der die illegale Zu-
wanderung über die Türkei, Grie-
chenland und Bosnien und Her-
zegowina aktuell stark zunimmt.

VON ANSGAR GRAW

Nach einer internen Einschät-
zung des Bundesinnenministeri-
ums bewegen sich alle „migrati-
onsrelevanten Indikatoren“ wie
illegale Grenzübertritte und
Asylanträge „in allen Staaten der
Balkanregion derzeit auf einem

nochmals höherem Niveau als in
den Vergleichszeiträumen 2017
und 2018“. Aktuell halten sich
demnach geschätzt 12.000 Mig-

ranten in der Balkanregion auf,
alleine rund 7000 in Bosnien und
Herzegowina. Wegen der „Ver-
schlechterung der Wetterlage in
den kommenden Monaten“ sei
mit „einer Verschärfung der Un-
terbringungssituation und
Flüchtlingslage in Bosnien und
Herzegowina zu rechnen“. Seit
Jahresbeginn wurden schon
mehr als 25.000 Migranten in
dem kleinen Staat festgestellt.
18.000 davon sind in andere eu-
ropäische Staaten weiterzogen.
Die Bundespolizei erklärteauf
Anfrage, dass die Migranten
„nunmehr ein weit verzweigtes
Netz von Routen durch die Staa-
ten der Balkanregion nutzen, um
nach Mittel- und Westeuropa zu
gelangen“. Ein zentraler Knoten-
punkt sei dabei der Una-Sana-

Der Präsident der Bundes-
polizei, Dieter Romann

REUTERS

/ HANNIBAL HANSCHKE

Abgeordnete warnen vor neuer Migrationskrise in Mitteleuropa


6 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,11.NOVEMBER


Einigung unter Schmerzen:


GroKo beschließt Grundrente


Einkommensprüfung kommt. Große Koalition


spricht von „sozialpolitischem Meilenstein“


Gegen den Kompromiss wird
in der SPD-Linken Wider-
spruch laut. SPD-Sozial-
politiker Karl Lauterbach
sprach von einer „Minimallö-
sung“.Es sei enttäuschend,
dass Frauen, die 35 Jahre bei
schlechter Bezahlung ge-
arbeitet hätten, nun womög-
lich aufgrund der Einkünfte
ihres Ehepartners keine eigene
Grundrente bekämen. „Der

Gesetzentwurf von Arbeits-
minister Hubertus Heil (SPD)
war viel gerechter, weil er vom
Respekt vor der Arbeit der
Frauen getragen war“. Die
SPD-Linke Hilde Mattheis
äußerte ebenfalls harte Kritik:
„Die Einkommensprüfung ist
ein Kompromiss, der weit von
dem SPD-Anspruch einer
Grundrente ohne Bedarfs-
prüfung entfernt ist“.

Kritik von der SPD-Linken
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