Die Welt Kompalt - 11.11.2019

(nextflipdebug5) #1
„Farm Kindergarten Albania“ er-
öffnet, ein Jahr zuvor hat sie mit
der „University of New York Ti-
rana“ die älteste private albani-
sche Universität, gekauft.
Dass die Türkei in dem kleinen
Balkanland durchaus Sympathien
genießt, lässt sich nicht nur da-
ran erkennen, dass es in der
zweitgrößten Stadt des Landes,
Durrës, ein von Albanern geführ-
tes Restaurant namens „Erdogan
Pizza“ gibt. Auch deralbanische
Premierminister Edi Rama ho-
fiert den türkischen Präsidenten.
Rama hat sogar öffentlich davon
gesprochen, dass er ein enger
Freund Erdogans sei, und war

Gast bei der Hochzeit dessen
zweiter Tochter.
Doch es ist bei Weitem nicht
nur kultureller Einfluss. „Die
Türkei hat Zugang zu strategi-
schen Ressourcen und zentralen
Wirtschaftsbereichen in Alba-
nien erlangt“, sagt Politikwissen-
schaftler Hide. Die Türkei inves-
tiert in Fluggesellschaften, Infra-
strukturprojekte, Telekommuni-
kationsunternehmen und ins
Bankengeschäft. 2016 war sie
nach Italien, Deutschland und
China zusammen mit Griechen-
land der viertgrößte Handels-
partner Albaniens und investier-
te dort 368 Millionen US-Dollar.

Was in Albanien besonders
sichtbar ist, gilt auch für die an-
deren Westbalkan-Staaten: Im
Kosovo betreibt eine türkische
Firma, die von der AKP kontrol-
liert wird, den Flughafen der
Hauptstadt Pristina. Dieselbe
Firma hat auch das kosovarische
Stromnetz gekauft. In der nord-
mazedonischen Hauptstadt
Skopje gehört der Flughafen ei-
nem türkischen Unternehmen.
In Serbien ist die Türkei vor al-
lem im Energiesektor aktiv – ge-
rade wird eine Gaspipeline zwi-
schen beiden Ländern gebaut.
Die Länder des westlichen Bal-
kans wollen in die Europäische

Union. Montenegro ist bereits
seit 2010 Beitrittskandidat, Ser-
bien seit 2014. Albanien und
Nordmazedonien hatten gehofft,
endlich am 18. Oktober zu sol-
chen erklärt zu werden. Vergeb-
lich: Vor allem Frankreich lehnt
Beitrittsverhandlungen mit bei-
den Ländern strikt ab. „Das fran-
zösische Veto war ein Dolchstoß
für den Erweiterungsprozess“,
sagt Florian Bieber, der südost-
europäische Geschichte an der
Universität Graz unterrichtet.
Die Enttäuschung in Albanien
und Nordmazedonien sei groß.
„Warum soll man als Politiker,
der in die EU möchte, noch Risi-

ken eingehen?“ Welche Risiken
der Beitrittsprozess verlangt,
war zuletzt daran abzulesen, dass
Nordmazedonien dafür sogar sei-
nen Namen geändert hat. Als Re-
aktion auf die jüngste Ablehnung
hat der nordmazedonische Mi-
nisterpräsident Neuwahlen aus-
gerufen.
„Man muss jetzt den Ländern
attraktive Angebote für eine en-
gere Zusammenarbeit machen“,
sagt Bieber. Eine „spezielle Part-
nerschaft“, wie sie der französi-
sche Präsident statt eines EU-
Beitritts nun vorgeschlagen hat,
gehören für ihn nicht dazu. Das
sei so, „als würde man in einer of-
fenen Beziehung leben, aber
nicht zusammenziehen“, so der
Südosteuropa-Experte.
Die EU hat mit ihrer Entschei-
dung ein Vakuum hinterlassen.
Die Türkei dürfte sich nun noch
stärker engagieren. „Der türki-
sche Einfluss wird sich weiter
verstärken im Anblick europäi-
scher Schwäche“, so Bieber. Es
hänge von der EU ab, einen neu-
en Zugang zur Region zu gewin-
nen und ihre Glaubwürdigkeit
wiederherzustellen.
In Albanien hatte in der Ver-
gangenheit Premierminister Ra-
ma immer wieder angedeutet,
dass man sich noch stärker der
Türkei zuwenden wolle, sollte
die EU dem Land keine Beitritts-
perspektive gewähren. Dennoch
sei auch der Einfluss Erdogans
begrenzt, meint Bieber: „Die Tür-
kei kann Albanienund den ande-
ren Ländern des Westbalkans
nicht das anbieten, was die EU
kann.“ Der größte Handelspart-
ner ist nach wie vor die EU.
Dass die türkische Einfluss-
nahme nicht auf ungeteilte Ge-
genliebe in Albanien stößt, zeigt
ein Besuch des Denkmals für den
gescheiterten Putschversuch in
der Türkei. Ende August wurde
darauf ein Anschlag verübt: Ein
Mann schlug mit einer Stahlku-
gel eine Ecke der Granitplatte ab.
Jetzt wird das Monument von ei-
nem halben Dutzend Polizisten
bewacht. Eine dunkelgrüne Plane
verhüllt die Namen der 251 türki-
schen Märtyrer.

Die Renovierung
der Basar-Moschee im
albanischen Gjirokastra
wird von der Türkei
mitfinanziert

MICHAEL GRAUPNER

/

Kanton in Bosnien und Herzego-
wina. Der Präsident der Bundes-
polizei, Dieter Romann, sagte:
„Von sicheren Außengrenzen
kann heute keine Rede sein.“
Diese seien aber die „Geschäfts-
grundlagen für den Wegfall von
Binnengrenzkontrollen“ gewe-
sen, als Bundeskanzler Helmut
Kohl und der französische Präsi-
dent François Mitterrand 1984
den Abbau der Personenkontrol-
len an ihren gemeinsamen Gren-
zen beschlossen hatten.
Vor dem Hintergrund dieser
Entwicklung verlangt die FDP
konkrete Maßnahmen von der
Bundesregierung. Zur Bekämp-
fung der illegalen Migration sei
ein besserer Schutz der EU-Au-
ßengrenzen durch Verstärkung
und Ausstattung der Grenz-

schutzagentur Frontex mit eige-
nen Befugnissen nötig sowie eine
konsequente Durchsetzung der
Dublin-Regeln und der Abbau
des eklatanten Vollzugsdefizits
bei Dublin-Überstellungen in an-
dere Mitgliedstaaten, sagte FDP-
Generalsekretärin Linda Teute-
berg gegenüber WELT. Nach den
Dublin-Regeln ist der Staat für
das Asylverfahren zuständig, das
der Asylbewerber zuerst in der
EU betreten hat.
Zudem sei eine „kurzfristige
Unterstützung für Bosnien und
Herzegowina bei der Versorgung
und Kontrolle von Migranten“
erforderlich. Teuteberg, Bundes-
tagsabgeordnete aus Branden-
burg, fügte hinzu, „erneut“ zeige
sich, „dass die Bundesregierung
in der Migrationspolitik bislang

mehr Glück als Verstand hat“. Ei-
ne Situation wie 2015 dürfte sich
nicht wiederholen.
Der CDU-Bundestagsabgeord-
nete Christoph de Vries sagte,
um das „Versprechen von der Be-
grenzung der Migration dauer-
haft einzulösen“, müsse die Re-
gierung „frühzeitig auf Alarmsig-
nale reagieren“. Der Innenpoliti-
ker weiter: „Wenn es die Situati-
on erfordert, sollte Deutschland
den Balkanstaaten personelle
Unterstützung zur Grenzsiche-
rung und materielle Unterstüt-
zung zur Versorgung der Migran-
ten vor Ort zukommen lassen.“
Ein „ungehinderter Transit Rich-
tung Deutschland“ müsse „in je-
dem Fall vermieden werden“.
De Vries unterstrich, dass die
CDU-Vorsitzende Annegret

Kramp-Karrenbauer versichert
habe, man werde „alles daranset-
zen, dass sich 2015 nicht wieder-
holt“. Der Hamburger Abgeord-
nete verwies darauf, dass die Po-
litik im vergangenen Jahr bei der
„Begrenzung der Migration mit
rund 161.000 Asylerstanträgen
sehr erfolgreich gewesen“ sei. Im
laufenden Jahr werde der Zuzug
„aller Voraussicht nach weiter
sinken“, so de Vries weiter.
2018 wurden 161.931 Erst- und
23.922 Folgeanträge gestellt, also
insgesamt 185.853 förmliche Asyl-
anträge. Damit lag die Gesamt-
zahl um 36.830 Anträgen unter
der des Jahres 2017 (minus 16,
Prozent). Für 2019 rechnet der
Chef des Bundesamts für Migra-
tion und Flüchtlinge, Hans-Eck-
hard Sommer, mit einem weite-

ren Rückgang der Erstanträge auf
maximal 145.000. Sommer sagte
der „Bild am Sonntag“ unlängst
aber auch, es kämen „noch zu
viele auf dem Asylweg“. Nur 35
bis 38 Prozent aller Asylanträge
würden anerkannt. „Das heißt:
Fast zwei Drittel der Personen,
die nach Deutschland kommen,
haben keinen Asylgrund.“
Der CDU-Bundestagsabgeord-
nete Marian Wendt hatte kriti-
siert, das Bundesinnenministeri-
um habe auf eine massive Erhö-
hung der Wanderungsbewegun-
gen über die Türkei nach Grie-
chenland und auf eine neue
Route nach Deutschland nicht
angemessen reagiert. „Wenn wir
kein zweites Budapest erleben
wollen, müssen wir jetzt Bosnien
und Herzegowina unterstützen.“

bgeordnete warnen vor neuer Migrationskrise in Mitteleuropa


DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT MONTAG, 11. NOVEMBER 2019 POLITIK 7

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