Handelsblatt - 11.11.2019

(Nandana) #1

Dana Heide Peking


D

er Verband Die Famili-
enunternehmer warnt
in der Debatte um die
Beteiligung von chine-
sischen Unternehmen
beim Aufbau des 5G-Netzes in
Deutschland vor einer Entscheidung
zulasten der Sicherheit.
„Wir laufen gerade Gefahr, grund-
legende Prinzipien unserer Wirt-
schaftsordnung und des fairen Wett-
bewerbs zu verletzen“, sagte Ulrich
Herfurth, Vorsitzender der Wettbe-
werbspolitischen Kommission des
Verbands Die Familienunternehmer
dem Handelsblatt. „Damit setzen wir
die Basis des mittelständischen Un-
ternehmertums aufs Spiel.“
Technologische Unabhängigkeit
und Datensicherheit seien jetzt und
für die Zukunft essenziell und ein ho-
hes Gut – Argumente zu Zeitersparnis
und Kosten müssten dagegen zurück-
stehen, forderte er. Das 5G-Netz wer-
de das Zentralnervensystem unserer
digitalen Gesellschaft und Wirtschaft.
„Es wäre verhängnisvoll, wenn wir
erkennen müssen, dass es entgegen
allen Erklärungen gegen uns arbei-
tet“, warnte Herfurth.
Bereits seit Monaten ringt die Bun-
desregierung um den richtigen Um-
gang mit dem chinesischen Netz-
werkausrüster Huawei, der sich am
Aufbau des superschnellen Mobil-
funkstandards 5G beteiligen will. Ins-
besondere die USA fürchten, ein Ein-
satz von Equipment des Unterneh-
mens könnte Spionage oder Sabotage
ermöglichen. US-Außenminister Mike
Pompeo warnte daher Ende vergan-
gener Woche bei einem Besuch in
Berlin davor, Huawei am 5G-Netz zu
beteiligen.
5G ist weit mehr als nur ein Update
des aktuellen Mobilfunkstandards
4G. Die neue, superschnelle Daten-
übertragung macht ganz neue An-
wendungen möglich und soll etwa

bei der Kommunikation zwischen
Maschinen oder beim automatisier-
ten Fahren eingesetzt werden. Erst
Ende Oktober hatte auch der Chef
des Bundesnachrichtendienstes, Bru-
no Kahl, öffentlich vor einem Einsatz
von Huawei-Equipment gewarnt. Das
Unternehmen stehe in „sehr großer
Abhängigkeit“ zur Kommunistischen
Partei Chinas, sagte er. Zwar sei es
denkbar, dass Huawei in einigen Be-
reichen des 5G-Ausbaus eine Rolle
spielen könne. Dort, wo es um die
„Kerninteressen“ der Bundesrepu-
blik gehe, solle dies allerdings nicht
möglich sein.
Huawei selbst bestreitet stets eine
enge Bindung an den chinesischen
Staat und dass Sicherheitslücken in
seinen Produkten bestehen könnten.
Erst am Mittwoch hatte Huawei-Kon-
zernchef Ren Zhengfei beteuert, er
könne „mit Sicherheit“ versprechen,
dass Huawei keine Daten an die chi-
nesische Regierung weitergebe. Be-
reits vor Monaten hatten Unterneh-
mensvertreter der Bundesregierung
angeboten, eine Vertrauenswürdig-
keitserklärung zu unterschreiben.

Angst vor Verzögerung
Die klare Positionierung der Famili-
enunternehmer, in der Frage des
5G-Ausbaus der Sicherheit Vorrang
auch vor geschäftlichen Interessen in
China zu geben, könnte Bundeswirt-
schaftsminister Peter Altmaier (CDU)
in Bedrängnis bringen. Denn sein Mi-
nisterium hatte stets dazu tendiert,
dem chinesischen Unternehmen
nicht im Weg zu stehen.
Einige Experten warnen davor,
dass ein Ausschluss von Huawei, des-
sen Produkte als kostengünstig gel-
ten, zu einer Verzögerung des Netz-
ausbaus in Deutschland führen könn-
te. Schon heute hinkt Deutschland
im Vergleich zu China beim Ausrollen
des superschnellen Mobilfunkstan-

dards hinterher. Das schon jetzt gut
ausgebaute Netz könnte chinesischen
Unternehmen den entscheidenden
Vorteil bei künftigen 5G-Anwendun-
gen verschaffen.
Doch die Familienunternehmer,
die laut eigenen Angaben die Interes-
sen von 180 000 deutschen Familien-
unternehmen vertreten, sehen 5G als
unabdingbar und „Teil der Daseins-
vorsorge“. Als kritische Infrastruktur
werde das 5G-Netz eine wesentliche
Basis für Prozesse zur Informations-
vermittlung, Mobilität und Produkti-
on sowie für Dienstleistungen,
Handel , Finanzwesen und Gesund-
heitswesen bilden. „Kritische Infra-
strukturen aber müssen zweifelsfrei
für die Aufgaben des Staates gesi-
chert sein und dürfen keiner frem-
den staatlichen Beeinflussung ausge-
setzt werden“, so Herfurth. Chinesi-
sche Unternehmen jedoch seien
verpflichtet, ihre weltweiten Daten
dem chinesischen Staat zur Verfü-
gung zu stellen.
Der Verband stört sich zudem da-
ran, dass ausländische Unternehmen
in China häufig nicht die gleichen
Marktzugänge bekommen wie chine-
sische Unternehmen in Europa und
chinesische Konkurrenten zudem oft
staatliche Subventionen erhalten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) hatte am Freitag einen Aus-
schluss von Huawei erneut abge-
lehnt. Für die Bundesregierung seien
die Anforderungen an die beteiligten
Unternehmen sowie deren Überprüf-
barkeit wichtig, sagte Merkel. „Wir
machen aber keine Richtlinien für
einzelne Anbieter.“ Zugleich betonte
sie: „Wir wissen, dass wir jetzt für
den 5G-Ausbau die Sicherheitsanfor-
derungen noch einmal deutlich ver-
schärfen müssen.“ Im Oktober hatte
die Bundesnetzagentur einen Ent-
wurf für neue Sicherheitsanforderun-
gen an das 5G-Netz veröffentlicht.

5G-Ausbau


Zweifel an Huawei


Die Bundesregierung ringt um die Antwort auf die Frage, ob


das chinesische Unternehmen am Aufbau des 5G-Netzes beteiligt


werden soll. Nun meldet sich die deutsche Wirtschaft zu Wort.


5G-Ausbau:
Der Mittelstand
warnt vor Sicher-
heitsgefahren.

Visual China Group/Getty Images

Gesellschaft


Mittelschicht


bleibt eher


gelassen


D


ie These vom „Ende der Mit-
telschicht“, die der Journalist
Daniel Goffart in seinem

gleichnamigen Buch beschreibt, teilt


Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)


zwar nicht. Doch durch die Digitali-


sierung könnten die Jobperspektiven


und damit die Lebensentwürfe von


Bankangestellten, Versicherungssach-


bearbeitern oder Industriefacharbei-


tern – klassischen Angehörigen der


Mittelschicht – ins Wanken geraten.


Heil rät zwar, der Entwicklung mit


„realistischer Zuversicht“ zu begeg-


nen, plant aber dennoch eine Qualifi-


zierungsoffensive und andere arbeits-


marktpolitische Maßnahmen, um der


Mittelschicht die Angst zu nehmen.


Aber wie verunsichert ist die „Mit-


te“ überhaupt? Da Abstiegsangst ein


subjektives Gefühl ist, nähern sich


die Leipziger Soziologen Holger Leng-


feld, Katharina Müller und Stephanie


Pravemann über eine Hilfskonstrukti-


on dem Thema an. In einer Studie


für das Roman Herzog Institut, die


dem Handelsblatt vorab vorliegt, un-


tersuchen sie, inwieweit unsichere


berufliche Perspektiven Lebensent-


scheidungen beeinflussen. Die Mittel-


schicht definieren sie dabei nicht nur


anhand der klassischen Einkom-


menssituation, sondern beziehen


nach dem sogenannten Winkler-In-


dex auch die Merkmale Bildungsgrad


und berufliche Position ein.


Pragmatismus regiert


Die knapp 2 000 Befragten aller so-


zialen Schichten wurden gebeten,


sich eine fiktive Situation vorzustel-


len. Sie sollten einem befreundeten


Paar bei der Entscheidung helfen, ob


dieses sich seinen Kinderwunsch er-


füllen, eine Eigentumswohnung kau-


fen oder Sohn oder Tochter zum Stu-


dieren schicken soll. Alle drei Fragen


sind mit langfristigen finanziellen


Verpflichtungen verbunden. In der


ersten Variante sind beide Partner er-


werbstätig, aber unsicher, ob sie ih-


ren Job in einem Jahr noch haben. In


der zweiten ist dem Mann gerade ei-


ne sichere Stelle im öffentlichen


Dienst zum gleichen Gehalt wie bis-


her angeboten worden.


Die Untersuchung zeigt – wenig


überraschend –, dass die Befragten


ihren Freunden bei unsicherer Job-


perspektive eher raten, langfristig


bindende Lebensentscheidungen auf-


zuschieben. Allerdings: Angehörige


der Mittelschicht reagieren nicht sen-


sibler auf wirtschaftliche Unsicher-


heit als Angehörige der Unter- und


der Oberschicht. Vielmehr zeige sich


ein Hierarchieeffekt, heißt es in der


Studie. Je niedriger die soziale


Schicht der Befragten ist, desto häufi-


ger raten sie, langfristig bindende Le-


bensentscheidungen aufzuschieben.


Mit Blick auf die Mittelschicht lege


die Studie nahe, „dass aktuell kein


Anlass zur Panikmache und zu politi-


schem Aktionismus besteht“, sagt


der Vorstandsvorsitzende des Roman


Herzog Instituts, Randolf Roden-


stock. Der digitale und der gesell-


schaftliche Wandel zwängen viele


Menschen längst dazu, sich flexibel


auf eine ungewisse Zukunft einzustel-


len. Heute würden viele Entschei-


dungen nur noch „auf Sicht“ getrof-


fen, sagt Rodenstock: „Der Pragma-


tismus hat den Planungsimperativ


ersetzt.“ Frank Specht


Wirtschaft & Politik


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MONTAG, 11. NOVEMBER 2019, NR. 217


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