Handelsblatt - 11.11.2019

(Nandana) #1

„Die SPD hat in der


Bevölkerung ein Potenzial


von gut 35 Prozent.


Dieses Potenzial können wir


auch heben.“


Saskia Esken, gemeinsam mit Norbert
Walter-Borjans Kandidatin für die SPD-Spitze,
über die Chancen ihrer Partei. Derzeit steht
die SPD in Umfragen bei 14 Prozent.

„Es wird immer klarer, dass


wir Europäer, die


europäischen Mitglied -


staaten in der Nato,


mehr Verantwortung


übernehmen müssen.“


Angela Merkel, Bundeskanzlerin, bekräftigt
die Bedeutung der Militärallianz.

Stimmen weltweit


Zum Jahrestag des Mauerfalls meint die in
London erscheinende Zeitung „Sunday Times“:

M


it den Feierlichkeiten in der deutschen
Hauptstadt 30 Jahre nach dem Fall der
Berliner Mauer ist zu Recht ein Wende-
punkt in der Geschichte gewürdigt worden. Die
Welt hat sich seit dem Mauerfall verändert, über-
wiegend zum Besseren. (...) Unglücklicherweise
kam bald nach 1989 das Jahr 1992. Im Ergebnis
des Maastricht-Vertrages wurde die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft umgeformt in die Euro-
päische Union. Zu den politischen Folgen dieser
verhängnisvollen Entscheidung gehört wohl
auch der Brexit. Statt die Länder des ehemaligen
Sowjetblocks in der Gemeinschaft willkommen
zu heißen und das europäische Projekt damit
einfach nur auszuweiten, entschied Brüssel, dass
es auch noch vertieft werden muss. Daraus er-
wuchsen das fehlerhafte politische Konstrukt des
Euros und eine sich einmischende EU, die in ost-
europäischen Ländern ungeachtet der großzügi-
gen Hilfe, die sie von westlichen Partnern erhal-
ten, zu einer ständigen Quelle des Unmuts wur-
de. Wir sollten 1989 feiern, aber 1992 beklagen.

Zu einer möglichen Bewerbung des früheren
New Yorker Bürgermeisters Michael
Bloomberg um die US-Präsidentschaft meint
die „Neue Zürcher Zeitung am Sonntag“:

B


loombergs Karten sind schlecht, überhaupt
nominiert zu werden. Dass er nun doch im
letzten Moment ins Rennen um die demo-
kratische Präsidentschaftskandidatur steigt, ist ein
Zeichen der Verzweiflung. Bloomberg tritt an, weil
Joe Biden, der andere gemäßigte Kandidat, ange-
schlagen wirkt und weil die zunehmend stärkere
Nummer zwei im Rennen, Elizabeth Warren, mit
ihren radikalen Plänen für eine Mehrheit der Ame-
rikaner nicht wählbar ist. Doch Bloomberg wird
nicht Kandidat, nur weil die Mitbewerber schlecht
sind. Da helfen ihm auch seine Milliarden nicht.
Am Ende muss es um Inhalte gehen. Die Demokra-
ten haben es verpasst, nach dem Trump-Schock
einen Kandidaten mit inspirierender Vision aufzu-
bauen. Dass ein Teil nun in Panik gerät, ist die Fol-
AFP, dpa, REUTERSge. Eine Rettung ist nicht in Sicht.

Zum Mauerfall vor 30 Jahren meint die
niederländische Zeitung „de Volkskrant“:

D


ie Vergangenheit, der Kalte Krieg und al-
les, was ihm vorausging, hinterlässt noch
immer ihre körperlichen und geistigen
Spuren in Europa. Trotz Investition Hunderter
Milliarden Euro in den neuen Bundesländern hat
der Lebensstandard der Einwohner der ehemali-
gen DDR noch nicht das Niveau der „alten“ Bun-
desrepublik erreicht. Die „Ossis“ sind in Politik,
Wirtschaft, Journalismus und Kunst unterreprä-
sentiert. (...) Andererseits hat das große, wieder-
vereinigte Deutschland eine stabilisierende Wir-
kung auf Europa – im Gegensatz zu dem, was vie-
le 1989 befürchteten. Deutschland ist das Ver-
suchsfeld für ein historisches Experiment, das in
ganz Europa stattfindet: die Entwicklung eines
zersplitterten Kontinents zu einer Wertegemein-
schaft. Dafür braucht es mehr Zeit als 30 Jahre.

W


ir sind bequem geworden, und Geiz ist leider
immer noch geil. Die neue Kaffeemaschine
lassen wir uns von Amazon liefern, das Es-

sen des Lieblingsitalieners vom Fahrradkurier. Wenn


wir uns doch selbst auf den Weg ins Restaurant ma-


chen, wollen wir aber bitte nicht zu viel bezahlen. Und


warum 20 Euro für den Haarschnitt ausgeben, wenn es


ihn im Barber-Shop eine Ecke weiter noch für zwölf


Euro gibt? Der Auslieferungsfahrer im Kleinlaster oder


auf dem Fahrrad, die Kellnerin, die Friseurin – sie alle


werden nur mehr schlecht als recht mit ihrem Monats-


verdienst über die Runden kommen.


Aber ist ihnen geholfen, wenn der Staat jetzt einfach


den Mindestlohn auf zwölf Euro anhebt? Ja, wenn die


Kunden bereit sind, die steigenden Preise dann auch zu


bezahlen. Aber daran gibt es doch erhebliche Zweifel –


gerade in Zeiten eines konjunkturellen Abschwungs,


von dem noch niemand weiß, wie lange er dauert. Und


angesichts der Tatsache, dass eine Anhebung von der-


zeit 9,19 Euro auf zwölf Euro einem Plus von mehr als


30 Prozent entspricht. Jede Gewerkschaft, die eine sol-


che Tarifsteigerung durchsetzt, könnte sich vor neuen
Mitgliedern kaum retten.
Hinzu kommt: In der wachsenden Dienstleistungs -
gesellschaft könnte das staatliche Lohndiktat ganz uner-
wünschte Nebenfolgen haben. So stehen etwa die Mar-
gen im klassischen Einzelhandel schon heute durch die
Onlinekonkurrenz unter erheblichem Druck. Steigende
Lohnkosten könnten hier die Verödung der Innenstädte
weiter beschleunigen. Und gerade in der angesagten
Gig-Economy hilft der Mindestlohn sowieso nicht, so-
lange der Fahrradkurier, der das Essen ausfährt, oder
der Uber-Chauffeur als Selbstständige firmieren. Und
glaubt man Arbeitsmarktexperten, wird deren Zahl im
Zuge der Digitalisierung eher zu- als abnehmen.
Sollte der Staat also lieber die Hände in den Schoß le-
gen und nichts gegen den Niedriglohnsektor tun? Mit-
nichten. Zuvorderst muss er dafür sorgen, dass das oft
wiederholte Versprechen zur Stärkung der Tarifbin-
dung nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt. Arbeit -
geber und Gewerkschaften haben in Tarifverhandlun-
gen das Wohl der Arbeitnehmer und die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit im Blick – und können am besten
über angemessene und tragfähige Löhne entscheiden.
Die öffentliche Hand sollte Vorbild sein und Aufträge
nur an tarifgebundene Firmen vergeben oder in Verga-
begesetzen Mindestentgelte oberhalb des Mindestlohns
festschreiben. Auch ergibt es Sinn, regional Aufschläge
auf den Mindestlohn festzulegen. 9,19 Euro sind in
München eben weniger wert als in Flensburg. Die Lohn-
findung selbst sollte der Staat aber da lassen, wo sie
hingehört – bei den Sozialpartnern.

Mindestlohn


Hände weg!


Die lauter werdende Diskussion
darüber, dass der Staat den
Mindestlohn auf zwölf Euro
anheben soll, führt in die falsche
Richtung, findet Frank Specht.

Der Autor ist Korrespondent in Berlin.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


MONTAG, 11. NOVEMBER 2019, NR. 217


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