Handelsblatt - 11.11.2019

(Nandana) #1

Franz Hubik, Martin Buchenau Stuttgart


M

ichael Häberle hat sich gerade alte
Schwarz-Weiß-Fotos rahmen las-
sen. Darauf abgebildet sind Mitar-
beiter und Maschinen aus der An-
fangszeit von Daimler im Stamm-
werk in Stuttgart-Untertürkheim. Noch sind die Erin-
nerungsstücke in Luftpolsterfolie verpackt, sie sollen
aber schon bald in Häberles Büro hängen. Der
50-Jährige ist seit Anfang des Jahres Betriebsratschef
in Untertürkheim und hat sich vorgenommen, Tradi-
tion mit Moderne zu verbinden.
Konkret kämpft das Aufsichtsratsmitglied des Dax-
Konzerns darum, den elektrifizierten Antriebsstrang,
kurz eATS, nach Untertürkheim zu holen. Seit mehr
als 110 Jahren werden hier Verbrennungsmotoren ge-
fertigt. Der Standort ist das Leitwerk für alle Antriebe
des Mercedes-Herstellers. Aus Sicht von Häberle soll-
te es daher selbstverständlich sein, dass in Untertürk-
heim künftig auch die beiden wichtigsten Teile der
Elektroautos mit Sternenlogo produziert werden:
Batterien und Stromantriebe.

Während im Frühjahr im Werksteil in Brühl be-
reits der Grundstein für eine Akku-Montage gelegt
wurde, steht eine Entscheidung über den eATS
noch aus. Und die Chancen, dass Häberle sich
abermals durchsetzen kann, schwinden von Tag zu
Tag. Die Verhandlungen mit Werksleiter Frank
Deiß gestalten sich „schwierig“, ließ der mächtige
Arbeitnehmervertreter nun seine Beschäftigten
wissen. Er sehe sich mit einem Katalog an Forde-
rungen konfrontiert, die in keinerlei Relation zum
Verhandlungspaket stünden.
„Beim eATS gibt es ein Hauen und Stechen“,
wird in Branchenkreisen bestätigt. Denn auch die
Zulieferer wollen den prestigeträchtigen Auftrag
holen und gehen dabei bis an ihre äußerste
Schmerzgrenze. Früher bauten die Haus-und-Hof-
lieferanten der heimischen Autobauer ein neues
Produkt für einen neuen Markt stets zuerst in ihren
deutschen Stammfabriken. „Das ist dieses Mal
nicht so. Es gibt schon früh Zulieferungen aus Ost-
europa“, sagt ein Insider.

Daimler-Betriebsrat Häberle bringt das gewaltig
unter Druck. Er sieht sich mit Angebotspreisen von
Zulieferern konfrontiert, die mit einem erkleckli-
chen Anteil an Wertschöpfung in Niedriglohnlän-
dern kalkulieren. Schlimmer noch: Die Entschei-
dung „make“ or „buy“, den Stromantrieb selber zu
machen oder zuzukaufen, fällt in eine Zeit, in der
Daimler drastisch sparen muss (siehe nebenstehen-
den Artikel). Und für Konzernchef Ola Källenius
zählen am Ende bei allen Vergaben die nackten
Zahlen, heißt es in Unternehmenskreisen. Die Zei-
chen beim Stromantrieb stehen daher derzeit klar
auf Zukauf.
Kommt es so, riskiert Källenius den offenen Auf-
stand der Arbeiterführer. „Es wäre absolut unver-
ständlich und ein fatales Signal, wenn der elektrische
Antriebsstrang fremdvergeben würde, nur um kurz-
fristig Kosten zu sparen“, wettert Häberle im Ge-
spräch mit dem Handelsblatt. Der Akku-Antrieb, be-
stehend aus Elektromotor, kleinem Getriebe samt
Differenzial sowie Leistungselektronik einschließlich

Machtkampf


bei Daimler


Der Betriebsrat des Stuttgarter Autokonzerns will den Antriebsstrang für


Elektroautos unbedingt im Stammwerk bauen. Doch die Chancen dafür stehen


schlecht. Konzernchef Källenius muss sparen, und die Zulieferer bieten Kampfpreise


an. Nun drohen die einflussreichen Arbeiterführer mit einem Aufstand.


Der neue Mercedes-Benz
EQC: Den Auftrag für den
Antrieb des Strom-SUV
sicherte sich im Sommer
der Zulieferer ZF.

Daimler AG

Das wird


auch für die


Zulieferer ein


ganz harter


Überlebens–


kampf.


Stefan Bratzel
Leiter des Center of
Automotive
Management

Unternehmen


& Märkte
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MONTAG, 11. NOVEMBER 2019, NR. 217


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