Handelsblatt - 11.11.2019

(Nandana) #1

Steuerungssoftware, markiert für die Betriebsräte ei-


ne rote Linie. In einer Resolution fordern sie den


Vorstand auf, die nächste eATS-Generation in Stutt-


gart zu fertigen – alles andere sei „nicht tolerierbar“.


Kampfmaßnahmen bis hin zum Streik? Nicht ausge-


schlossen.


Damit droht der Konflikt um den Stromantrieb zu


einem harten Machtkampf zwischen Betriebsrat und


Management auszuarten. Die Fertigung und Monta-


ge des eATS bringen im Zweifel zwar nur einige Hun-


dert Jobs, aber für Häberle und seine Getreuen ist


der Akku-Antrieb das zentrale Symbol dafür, dass die


mehr als 170 000 Beschäftigten von Daimler in


Deutschland bei der Transformation hin zur Elektro-


mobilität nicht zu kurz kommen.


Es geht somit nicht um ein x-beliebiges Produkt


und schon gar nicht um irgendein Werk. Untertürk-


heim, das ist die Keimzelle von Daimler, die älteste


Fabrik, gebaut 1904. Hier liegt der Sitz der Unterneh-


menszentrale. 19 000 Mitarbeiter arbeiten heute an


dem Standort. Keine andere Daimlerfabrik kann


solch eine Historie vorweisen – und keine andere ist


so abhängig vom Verbrenner.


Fast 11 000 Frauen und Männer produzieren hier


in sechs Werksteilen entlang dem Neckar Motoren,


Getriebe und Achsen samt Gussteilen. „Aus-


sterbendes Gewerbe“ nennt das eine


Daimler-Führungskraft. „In Unter-


türkheim müssen in fünf Jahren


weniger Leute sein, ganz klar“,


sagt ein anderer Manager: „Ich


kann mir beim besten Willen


nicht vorstellen, dass wir


noch mal groß in deutsche


Werke investieren.“ Um die


hohen Kosten bei Elektro-


mobilität schultern zu kön-


nen, müsse die Fertigungstie-


fe bei der althergebrachten


Technik zwangsweise sinken.


Betriebsrat Häberle hat wenig


Verständnis für derlei Ansagen. Die


Belegschaft stelle sich bereits proaktiv


dem Wandel der Branche. „Wir gehen in Vorleis-


tung, haben schon 2017 eine Reduzierung der Ferti-


gungstiefe mitgetragen und zeigen nun erneut unse-


re Flexibilität“, erklärt Häberle. Tatsächlich wurde in


Untertürkheim erst im Sommer aufgrund der abseh-


bar schwächer werdenden Nachfrage nach Diesel-


Pkw eine Entscheidung mit Signalwirkung getroffen.


Mercedes beendet Montage von Die-


selmotoren im Stammwerk


Demnach wird Daimler in seinem Stammwerk künf-


tig keine Dieselmotoren mehr montieren. „Das ist ein


Novum und zeigt, wie groß die Bereitschaft in der Be-


legschaft ist, auf Veränderungen in der Industrie fle-


xibel zu reagieren“, sagt Häberle. Zwar sollen in Un-


tertürkheim nach wie vor die wichtigsten Kompo-


nenten für Selbstzünder produziert werden, aber die


Endmontage der Aggregate erfolgt künftig nur noch


im thüringischen Kölleda und im polnischen Jawor.


„In Untertürkheim werden weiterhin Teile für Die-


selmotoren im bestehenden Umfang produziert“, er-


klärt Daimler dazu auf Anfrage. Der Konzern ver-


weist zudem darauf, dass Untertürkheim etwa mit


der Ansiedlung von zwei Batteriefabriken zum


„Hightech-Standort“ für Elektrokomponenten wei-


terentwickelt werde. Darüber hinaus sind die Be-


schäftigten in Deutschland bis Ende 2029 vor be-


triebsbedingten Kündigungen geschützt.


Negative Auswirkungen auf die Mitarbeiter hat das


Auslaufen der Dieselmotoren-Montage also nicht, zu-


mal in Stuttgart künftig mehr Benzinaggregate vom


Band laufen werden. Die Entscheidung besiegelt


dennoch das Ende einer Ära, der nun mit dem elek-


trischen Antriebsstrang nach Auffassung der Arbei-


terführer eine neue folgen muss.


Doch auch der Wettbewerb der Autozulieferer


beim eATS ist gewaltig. Auf der IAA vor zwei Jahren


zeigten Bosch, ZF und Mahle im Halbstundentakt
erstmals ihre elektrischen Antriebsachsen. Auch Con-
ti, Schaeffler, Siemens, Rheinmetall, Valeo, Getrag
oder Borg-Warner sind an dem Thema dran.
Zwei Jahre später vermeldete ZF-Chef Wolf-Hen-
ning Scheider Vollzug. Ausgerechnet in den Stuttgar-
ter Zeitungen, die bei den Daimler-Mitarbeitern mor-
gens auf dem Frühstückstisch liegen, verkündete
Scheider am 10. Juli in einem großen Interview den
Gewinn eines Prestige-Auftrags: „ZF ist der Antriebs-
lieferant für Mercedes-Benz im neuen EQC.“ ZF liefert
das gesamte System für den ersten Strom-SUV von
Daimler. Scheider sprach von einem „Meilenstein“.
Der Kontrakt dürfte der größte Einzelauftrag für reine
Elektroautos des Traditionskonzerns sein, der mit Ge-
trieben und Fahrwerken groß geworden ist.

„Die Zulieferer drängen mit allen Mit-
teln auf den Antriebsstrang“

Daimlers Arbeiterführer tobten nach dem Interview.
Sie wollen jetzt mit aller Macht Schadensbegrenzung
betreiben und sicherstellen, dass zumindest die
nächste Generation des eATS ab 2024 in Eigenregie
in Untertürkheim hergestellt wird. Doch nicht nur
ZF kämpft verbissen um derlei Prestigeaufträge, alle
Zulieferer stehen enorm unter Druck, im Feld
der Stromantriebe zu reüssieren.
Branchenprimus Bosch hat An-
fang 2018 den Einstieg in die Her-
stellung von Batteriezellen ab-
gesagt. Auch kein anderer
deutscher Zulieferer wagt
sich bislang daran. Damit
verzichtet die gesamte deut-
sche Zulieferindustrie bei
Elektroautos auf gut 30 Pro-
zent der Wertschöpfung.
Entsprechend hart ist der
Kampf um die restlichen 70
Prozent. Und der Antriebs-
strang ist nach der Batterie der
zweitgrößte Wertschöpfungsblock
mit einem Anteil von 15 bis 25 Prozent, je
nachdem, ob sowohl Vorder- als auch Hinterach-
se elektrifiziert werden.
„Die Zulieferer drängen mit allen Mitteln auf den
Antriebsstrang“, sagt ein Brancheninsider. Der
Gleichschritt der Konkurrenten ist damit vorgezeich-
net. Autobauer wie Zulieferer suchen fürs Elektro-
zeitalter nach Ersatz, sobald die Stückzahlen von
Verbrennern ab Mitte des kommenden Jahrzehnts
sinken.
„Es geht um sehr große Wertschöpfungsumfänge,
die bei Diesel und Benzinern verloren gehen“, sagt
Stefan Bratzel. Der Leiter des Center of Automotive
Management (CAM) ist überzeugt: „Das wird auch
für die Zulieferer ein ganz harter Überlebenskampf.“
Das Problem: Ein Elektroauto braucht nur ein Fünf-
tel der Teile im Vergleich zu einem Verbrenner. „Der
Wettbewerb wird schärfer, und parallel schrumpft
auch noch der Kuchen, um den gerungen wird“,
sagt Bratzel. Die Folge: Die Autobranche braucht
künftig nicht mehr so viele Beschäftigte. Wenn die
Hälfte aller Neuwagen elektrisch fährt, benötigt die
Industrie 15 bis 20 Prozent weniger Personal, rech-
net Bratzel vor.
Jeder versucht nun irgendwie, seine Truppen mit
Arbeit auszulasten. „Der elektrische Antrieb wird die
nächste Erfolgsgeschichte von Bosch“, zeigte sich
Bosch-Chef Volkmar Denner auf der IAA im Septem-
ber zuversichtlich. Bei VW gingen die Schwaben
aber bislang leer aus. Der Großkunde aus Wolfsburg
baut den Antriebsstrang für sein wichtigstes Strom-
modell, den ID.3, weitgehend selbst. Auch BMW
setzt beim eATS bislang auf eigene Lösungen. Bleibt
nur noch Daimler als Auftraggeber unter den drei
heimischen Auto riesen für die Zulieferer. Ob einer
von ihnen zum Zug kommt oder sich doch Betriebs-
rat Häberle durchsetzt, dürfte sich noch in diesem
Jahr entscheiden.

Es wäre


absolut


unverständlich


und ein fatales


Signal, wenn


der elektrische


Antriebsstrang


fremdvergeben


würde.


Michael Häberle
Daimler-Betriebsrat

Wertschöpfung


25


PROZENT


beträgt der Wertschöpfungsanteil
des elektrischen Antriebsstrangs
maximal bei einem Elektroauto.

Quelle: Branche


Sparprogramm


Daimler streicht


1 100 Führungsjobs


D


aimler-Chef Ola Källenius ist erst seit En-
de Mai im Amt, aber bereits mächtig un-
ter Druck. Der 1,95 Meter große Mana-
ger hat einen bitteren Fehlstart hingelegt, muss-
te schon zwei Mal die Gewinnziele des Merce-
des-Herstellers kassieren. Die Rendite nach
neun Geschäftsmonaten liegt bei gerade einmal
3,1 Prozent, der Free Cashflow ist sogar negativ,
er beträgt minus 522 Millionen Euro. Daimler ist
weit weg von seinem eigenen Spitzenanspruch
(„Das Beste oder nichts“).
Das liegt nicht unbedingt am Absatz, die
Nachfrage nach Autos der Marke mit dem Stern
ist gut. Ausgerechnet einige schwäbische Tugen-
den scheinen die Stuttgarter aber verlernt zu
haben, explodieren doch die Kosten im Kon-
zern. Der gebürtige Schwede und studierte Be-
triebswirt Källenius will nun mit aller Gewalt ge-
gensteuern, im gesamten Unternehmen soll ge-
spart werden – auch im Management.
Anfang vergangener Woche trommelte Källe-
nius daher die Führungskräfte der Autosparte
Mercedes zusammen und redete Klartext: Er
will jede zehnte Managementposition in
Deutschland streichen. Das geht aus einem
Rundschreiben des Betriebsrats von vergange-
nem Freitag an die Beschäftigten an deutschen
Standorten hervor, das dem Handelsblatt vor-
liegt.
„Weltweit betrachtet wären das ca. 1 100 Stel-
len über die Ebenen 1 bis 4“, schreiben die Ar-
beitnehmervertreter. Daimler selbst lehnte ei-
nen Kommentar zu Details ab. „Wir befinden
uns mit den Arbeitnehmervertreten im kon-
struktiven Dialog, werden uns zu Spekulationen
des Betriebsrats aber nicht äußern“, erklärte ein
Unternehmenssprecher und verwies auf den Ka-
pitalmarkttag von Daimler am 14. November, bei
dem der Dax-Konzern Einzelheiten zu dem be-
reits im Februar angekündigten Sparprogramm
sowie zu einer überarbeiteten Strategie nennen
will.
Prinzipiell sind die mehr als 170 000 Daimler-
Mitarbeiter in Deutschland bis Ende 2029 vor
betriebsbedingten Kündigungen geschützt.
Trotzdem versucht Källenius, die Personalkos-
ten zu reduzieren. Sein Plan: Die Beschäftigten
sollen auf die ihnen zustehende Tariferhöhung
im kommenden Jahr verzichten, auch individu-
elle Entgelterhöhungen sollen hinausgezögert
werden. „Dies haben wir kategorisch abge-
lehnt“, schreiben die Arbeitnehmervertreter in
einem Rundschreiben. Die Betriebsräte plädie-
ren stattdessen für eine Ausweitung der Mög-
lichkeit, freie Tage als Ersatz für tarifliches Zu-
satzgeld zu erhalten. Zudem fordern sie eine
weitere Öffnung der Altersteilzeit und wollen
derzeit ausgelagerte Dienstleistungen künftig
von Daimler-Mitarbeitern erledigt wissen. „Sinn-
loses Kostenschrubben lehnen wir ab“, heißt es
in dem Schreiben.
Ein Daimler-Sprecher betonte, dass der Kon-
zern in allen Geschäftsbereichen die Kosten
überprüfe und an Maßnahmen arbeite, um die
großen Herausforderungen, vor denen die Auto-
industrie und Daimler stehe, bewältigen zu kön-
nen. Die Analysen würden aber noch andauern.
Klar ist allerdings schon jetzt, dass die Modell-
palette ausgesiebt wird. Verlustbringer wie der
Pritschenwagen X-Klasse erhalten keinen Nach-
folger. Ebenfalls auf der Streichliste: diverse
Coupés und Cabrios. Beim Antriebsstrang rund
um Motoren und Getriebe soll die Komplexität
um 30 Prozent sinken, in einigen Jahren könnte
der Konzern vielleicht sogar nur noch Vierzylin-
der bauen. Darüber hinaus werden die mannig-
faltigen Plattformen, auf denen die Sternenmo-
delle stehen, eine Konsolidierung erfahren, be-
stätigt ein Manager. „Wir sind in einer Phase
absoluter Priorisierung.“

Ola Källenius: Der
Daimler-Chef will am


  1. November seine
    Sparpläne verkünden.


Jan Huebner

Daimler AG

Unternehmen & Märkte


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MONTAG, 11. NOVEMBER 2019, NR. 217


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