Handelsblatt - 11.11.2019

(Nandana) #1

Was bedeutet der Ausstieg aus der


Show für Ihre Investitionen? Bis-


lang wirkt Ihr Portfolio eher belie-


big: Sie haben in das Biosuppen-


Start-up Littlelunch und den


Gewürzhersteller Ankerkraut in-


vestiert, daneben in das Flugtaxi-


Unternehmen Lilium und die


Blockchain-Firma Neufund.


Diese Bandbreite hat auch die TV-


Show mit sich gebracht. Und klar, das


ist ein ziemlicher Spagat.


Welche Art von Unternehmen steht


für Sie künftig im Fokus?


Wir wollen vor allem in den wichtigs-


ten technologischen Zukunftsfeldern


investieren: Künstliche Intelligenz,


Blockchain, 3D-Druck, Quantencom-


puter, 5G, Energie und die Mobilität


der Zukunft. In diesen Feldern wer-


den neue, weltweit bedeutende Un-


ternehmen entstehen. Ich möchte


helfen, dass davon möglichst viele in


Europa aufgebaut werden. Wir bei


Freigeist konzentrieren uns daher auf


Start-ups, die das Potenzial haben, in


ein paar Jahren eine Milliardenbe-


wertung zu erreichen und eine globa-


le Rolle zu spielen. Deshalb entwi-


ckeln wir mit jedem unserer Portfo-


lio-Unternehmen einen Plan, wo es


in zehn Jahren stehen soll.


In wie viele Start-ups haben Sie


bislang investiert?


In unserem Freigeist-Portfolio sind


20 Unternehmen. Eine Reihe davon,


wie zum Beispiel die Food-Start-ups,


sind nicht mehr so betreuungsinten-


siv, viele davon sind auch schon


Cashflow-positiv. Auf der anderen


Seite haben wir Firmen wie das Mün-


chener KI-Start-up Smartlane, bei de-


nen wir vorübergehend operativ ein-


steigen ...


... was für Investoren untypisch ist.


Wir verstehen uns nicht als reiner In-


vestor, eher als eine Art Mitgründer.


Bei dem Münchener Team von Smart-


lane, das eine Plattform für die Logis-


tikbranche aufbaut, sind wir nicht nur
mit rund einer Million Euro investiert.
Wir helfen beim Programmieren, im
Marketing und bei der Suche nach
neuen Mitarbeitern. Bei dem Münche-
ner Flugtaxi-Hersteller Lilium war
mein Kollege Marc Sieberger sogar In-
terims-CFO.

Und doch kann es gehörig schief-
gehen, wie das Beispiel des Mode-
Start-ups Von Floerke gezeigt hat,
das mittlerweile pleite ist.
Richtig. Da ist so ziemlich alles schief-
gelaufen. Wir haben viel zu wenig da-
rauf geachtet, welche Werte der Grün-
der eigentlich hat.

Werte hin oder her: Auch das Ge-
schäftsmodell, für das Sie anfangs
laut getrommelt haben, hat nicht
funktioniert.
Ich habe mich selten so in einem Un-
ternehmer getäuscht, wir hätten ein-
fach genauer hinschauen müssen.
Auch die Unternehmen Spielzeugkiste
und Fittaste mussten wir abschreiben.
Aber das bringt so eine TV-Show eben
mit sich, in der so schnell Deals ge-
macht werden. Da passieren einfach
Fehler.

Aber Sie hatten auch sichtlich
Spaß an der Rolle des smarten,
schnellen Dealmakers.
Völlig richtig. Aber was auch stimmt:
Bei den Tech-Investments von Frei-
geist außerhalb der Sendung, bei de-
nen wir die Geschäftsmodelle in Ruhe
prüfen und die Gründer persönlich
kennen lernen, hat es bis heute nur ei-
ne Insolvenz gegeben.

Wie viel investieren Sie eigentlich
pro Unternehmen?
Aktuell ab 500 000 Euro pro Unter-
nehmen ...

... ein eher kleiner Betrag. Bei den
richtig spannenden Start-ups wer-
den Sie damit bald kaum noch
zum Zug kommen.
Wir werden diese Summen schrittwei-
se in Richtung ein bis zwei Millionen
Euro anheben.

Sie investieren mit Ihren Partnern
Marc Sieberger und Alex Koch aus-
schließlich eigenes Geld. Das
Fondsvolumen dürfte irgendwo im
hohen zweistelligen Millionenbe-
reich liegen.
Weil es unser eigenes Geld ist, sagen
wir dazu nichts.

Aber klar ist: Der Betrag ist klein, ver-
glichen mit anderen Fonds. Nehmen
Sie künftig auch weitere Geldgeber
ins Boot?
Ja. Wir wollen uns für weitere Partner
öffnen. Aber mehr als drei bis vier
werden es nicht sein. Und sie müssen
Unternehmer sein, die bereit sind, mit
uns kalkulierte Risiken einzugehen.
Zudem müssen sie ein ähnliches Ver-
ständnis von den Zukunftstechnolo-
gien haben wie wir.

In welchen Technologiefeldern hat
Deutschland noch echte Chancen
im Vergleich zum Rest der Welt,
vielleicht sogar einen USP?
Erst einmal müssen wir uns klarma-
chen, in welchen Bereichen wir keine
Chance mehr haben. Das gilt für alle
etablierten Technologien: Social Me-
dia, 5G, Suchmaschinen, Cloud-Com-
puting, in all diesen Bereichen ist der
Zug abgefahren.

Das heißt, Sie glauben nicht an
Gaia-X, das Cloud-Projekt von Wirt-
schaftsminister Peter Altmaier?
Ich kenne das Projekt nicht im Detail,
bin aber zumindest skeptisch. Außer-

dem müssen wir viel stärker auf die
kommenden Technologien schauen,
auf 3D-Druck, Quantencomputer,
Blockchain, 6G ...

... die neue Mobilfunktechnik, an
der Forscher gerade beginnen zu
arbeiten ...
... das sind Felder, die noch nicht von
milliardenschweren amerikanischen
oder chinesischen Konzernen domi-
niert werden. Wir müssen verstehen
lernen, was die nächsten Technologie-
wellen sind. Darin sind wir in
Deutschland bislang schlecht. Wir ha-
ben zu viel Zeit damit verschwendet,
die Vergangenheit zu optimieren.
Auch die Mobilität ist so ein Feld. Die
superschnellen Hyperloop-Züge wä-
ren ein Thema, das wir besetzen
könnten.

Sie haben gerade in das niederlän-
dische Hyperloop-Start-up Hardt
investiert. Aber kein Mensch weiß,
ob diese Technik jemals außerhalb
der bestehenden Teströhren wirt-
schaftlich funktioniert – noch un-
klarer ist, ob solche Röhren in
Europa je gebaut werden.
Es ist eine riskante Wette. Aber auch
eine riesige Chance. Oder stellen Sie
sich vor, wir würden jetzt Milliarden
in die 6G-Forschung stecken, um bei
der nächsten Mobilfunkgeneration
führend zu sein – das ist die langfristi-
ge Denke, die wir brauchen. Da ist uns
China weit voraus.

Sie beraten die Bundesregierung, ha-
ben viel Kontakt mit Politikern. Trau-
en Sie das der jetzigen Generation zu?
Wir haben Digital-Natives wie Doro
Bär, Christian Lindner und Thomas
Jarzombek. Aber das sind Ausnah-
men. Ansonstenerlebe ich in Berlin
einen digitalen Stillstand. Unser Pro-
blem ist doch, dass wir noch nicht
einmal die ersten Phasen der Digitali-
sierung abgeschlossen haben. Schau-
en Sie sich nur an, wie viele Prozesse
in Behörden und Unternehmen noch
auf Papier laufen.

Andere Länder kommen bei der
Digitalisierung des Alltags schnel-
ler voran. Woran liegt’s?
Ich glaube, es ging uns viele Jahre zu
gut. Dadurch war der Druck, etwas zu
verändern, nicht groß genug.

Und nun?
Stecken wir in der Krise. Wir erleben
einen digitalen Notstand. Die Regulie-
rung ist zu starr, unser Bildungssys-
tem ist komplett veraltet, und es gibt
zu wenig Geld für Techfirmen. Wenn
wir so weitermachen, wird Deutsch-
land von der digitalen Landkarte ver-
schwinden.

Das lässt sich in Zahlen nicht bele-
gen: 2019 fließt eine Rekordsumme
in deutsche Start-ups.

Aber in China und den USA fließt
noch viel mehr.

Aber durch Geld allein entstehen
noch keine guten Ideen.
So ganz stimmt das nicht. Sie brau-
chen Geld für moderne Hochschulen,
auf denen die brillanten Köpfe von
morgen ausgebildet werden. Dann
brauchen Sie Geld für Forschung. Und
Geld für Technologien, die noch weit
von der Marktreife entfernt sind.

Wo läuft es aus Ihrer Sicht besser?
Wie es gehen könnte, zeigt ja der Fran-
zösische Präsident Emmanuel Ma-
cron, der gerade einen Fünf-Milliar-
den-Fonds für Start-ups aufgelegt hat.
Er hat die klare Vision, Frankreich
zum Start-up-Zentrum Europas zu ma-
chen. So ein klares Bekenntnis sehe
ich von der Bundesregierung nicht.
Merkel eröffnet die sterbende Cebit,
aber nicht die größte Start-up-Konfe-
renz Bits & Pretzels in München.
Deutschland hat komplett verlernt, ei-
ne Vision für die Zukunft zu entwi-
ckeln. Das sieht man jetzt auch beim
Thema Klimaschutz. Die GroKo ist
mut- und kraftlos.

Sie könnten sich als Investor ja enga-
gieren.
Klimawandel und Energiewende sind
für uns tatsächlich ein riesiges Thema.
Wir sind zum Beispiel bei dem Saar-
brücker Start-up Kraftblock investiert,
das Energie in Wärme speichern kann.
Und neulich habe ich ein Unterneh-
men kennen gelernt, das Treibstoff
aus CO herstellt. Wir werden unser
Portfolio sicher mit solchen und ähnli-
chen Technologien erweitern.

Wer ist eigentlich Ihr unternehme-
risches Vorbild?
Ganz klar Elon Musk. Er ist eben nicht
der feine Business-School-Absolvent,
sondern eher ein verrückter Außensei-
ter mit einer klaren Vision, und er hat
den Mut, Dinge einfach zu machen.

Und mit einem merkwürdigen Ver-
ständnis von Kommunikation. Sie-
mens-Chef Joe Kaeser hat ihn gerade
als „kiffenden Kollegen“ bezeichnet.
Es zählt, was am Ende dabei heraus-
kommt.

Bislang sind es vor allem Schulden.
Lassen Sie uns in ein paar Jahren noch
einmal draufschauen. Ich glaube, die
Kombination aus eigener Batteriepro-
duktion, Daten, Chips und KI wird Tes-
la bald so wertvoll machen wie Ama-
zon oder Google. Vielleicht sollten wir
öfter darüber reden und nicht über
Tweets von Elon Musk.

Herr Thelen, vielen Dank für dieses
Interview.

Die Fragen stellte Sebastian
Matthes.

Beim Start-up


Von Floerke


haben wir


viel zu wenig


darauf


geachtet,


welche Werte


der Gründer


eigentlich


hat.


Frank Thelen
Investor

DHDL-Jury: Die Gründer-Show muss ohne Frank Thelen auskommen.


Bernd-Michael Maur, TVNOW

Große Unterschiede


Risikokapital*
Volumen in Mrd. US-Dollar


USA Europa


HANDELSBLATT


*Venture Capital
Quelle: PitchBook


20,520,


11,411,


132,


71 ,


2014 2018


140


120


100


80



40

20

0

Unternehmen & Märkte
MONTAG, 11. NOVEMBER 2019, NR. 217


19

Free download pdf