Handelsblatt - 11.11.2019

(Nandana) #1

Bulle & Bär


Angst ist ein


schlechter


Ratgeber


E


s ist ein extremes Szenario, das
Markus Krall entwirft. Und der
Buchautor, Risikomanager und
neue Chef des Goldhändlers Degussa
wählte bei seinem Vortrag am Freitag auf
der Münchener Edelmetallmesse extreme
Worte, um dieses Szenario zu beschrei-
ben. Schon für das kommende Jahr erwar-
tet er eine schwere Rezession, ausgelöst
durch eine Reihe von Bankpleiten. Diese
wiederum haben ihren Ursprung in einer
Welle von Insolvenzen bei „Zombieunter-
nehmen“, die jahrelang durch künstliche
niedrige Zinsen der EZB am Leben gehal-
ten wurden, so Krall. Ab 2021 werde eine
Deflation die Euro-Zone heimsuchen, die
ein bis zwei Jahre später in eine Hyper -
inflation umschlage. Das derzeitige Um-
feld negativer Zinsen bezeichnet Krall da-
her als „krankes System“. Er ist über-
zeugt, dass „die Geldpolitik der Maschi-
nenraum des Völkerselbstmordes ist“.
Ähnlich drastische Worte fielen kürzlich
auch an der Frankfurter Goethe-Universi-
tät bei einer Diskussion von Volkswirten
über die Auswirkungen der Geldpolitik.
Doch mit ihrer Wortwahl begehen Krall
und Co. jenen Fehler, den sie der EZB vor-
werfen: Sie verlieren Maß und Mitte.
Für Anleger hat es sich in den vergange-
nen Jahren nicht ausgezahlt, ihr Portfolio
für den Jahrhundert-Crash zu wappnen,
der dann doch nicht eingetreten ist. Angst
ist in der Vermögensverwaltung ein
schlechter Ratgeber. Zwar hat der Gold-
preis in diesem Jahr Börsenbarometer wie
den Dax oder den S&P 500 abgehängt.
Doch bereits auf Dreijahressicht liegt der
S&P 500 rund 45 Prozent im Plus, beim
Goldpreis sind es lediglich 15 Prozent.
Auch die Edelmetallbranche sollte da-
von absehen, Crash-Prophezeiungen als
Verkaufsförderung einzusetzen. Es gibt
gute Gründe, einen Teil eines breit ge-
streuten Portfolios in Gold zu investieren.
Angesichts hoher geopolitischer Risiken
lassen sich auch besonnene Argumente
dafür finden, den Goldanteil eines aktiv
gemangten Portfolios jetzt zu erhöhen.
Kampfbegriffe wie „Völkerselbstmord“ ge-
hören jedoch nicht dazu. Wer Angst vor
dem Crash schürt und das vermeintliche
Gegenmittel verkauft, setzt sich leicht
dem Vorwurf aus, mit den Warnungen die
Anleger in teure Goldprodukte treiben zu
wollen. Damit setzt die Branche ihre
Glaubwürdigkeit aufs Spiel.

Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert
die Entwicklung
an den Finanzmärkten.
Von Jakob Blume

QE oder nicht: Es ist wieder passiert.“ Er spricht
von einer „Parallele zwischen der jüngsten Bilanz-
erweiterung der Fed und dem Anstieg der Aktien-
kurse“. Seiner Meinung nach sind die Investoren
„stark darauf konditioniert“, auf die Veränderun-
gen der Liquidität zu reagieren.
Majoros von Carmignac stimmt zu. „Die Fed
führt dem Markt zusätzliche Dollar-Liquidität zu“,
sagt er. Dieser Effekt sollte im Prinzip bis ins nächs-
te Jahr hinein anhalten, denn so lange dauern die
Fed-Käufe an. Auf der anderen Seite kann es sein,
dass der größte Teil der Kursreaktionen schon un-
mittelbar nach der Ankündigung stattgefunden hat
und danach die Wirkung deutlich nachlässt.

Risikobereitschaft steht im Fokus
Von den Käufen der Fed profitieren nach Meinung
von Majoros vor allem die Schwellenländer: „De-
ren Finanzierungsbedingungen hängen stark vom
Dollar ab.“ Eine ähnliche These vertritt Nikolaos
Panigirtzoglou von JP Morgan. Der Analyst, der Ka-
pitalflüsse unter einem kurzfristigen Aspekt be-
leuchtet, liest aus den Daten ab, dass der Einbruch
der weltweiten Industrieproduktion „seinen Boden
findet“. Daher empfiehlt er Aktien und Währungen
von Schwellenländern, weil deren Kurse erfah-
rungsgemäß stärker als in den entwickelten Län-
dern in Abhängigkeit von der Industriekonjunktur
schwanken. Weil die Investoren relativ wenig in
Schwellenländerwährungen investiert seien, hält
er einen deutlichen Schub in diesem Sektor für
möglich, wenn sich die Einstellung der Investoren
ändert. Außerdem weist er darauf hin, dass sich
die Schwellenländer bei der Marktschwäche vor ei-
nem Jahr relativ gut gehalten hätten. Ein stärkeres
Engagement dort sei daher nicht unbedingt de-
ckungsgleich mit einem „Risk-on-Modus“, also ei-
nem Hochfahren von Risiken.
In den kommenden Wochen und Monaten wird
die Frage, wie risikobereit die Investoren sind, eine
entscheidende Rolle spielen. Und so paradox es zu-
nächst klingt: Mehr Risikobereitschaft kann in eini-
gen Marktbereichen auch gefährlich für die Kurse
werden. Laut Majoros sind „viele Anleger derzeit ex-
trem in Richtung ‚Qualität‘“ investiert. „Sie bevorzu-
gen Anleihen gegenüber Aktien, fokussieren sich
auf die besten Emittenten bei Anleihen und auf de-
fensives Wachstum bei Aktien.“ Defensives Wachs-
tum bezieht sich meist auf Aktien von Unterneh-
men, deren Geschäfte bei jeder Konjunktur laufen.
Ein bekanntes Beispiel ist die Lebensmittelbranche,
ein häufig genannter Wert die Aktie des Schweizer
Nestlé-Konzerns. Majoros warnt: Sollte die Unsi-
cherheit nachlassen und sich die Wirtschaft etwas
erholen, könnte es zu massiven Umschichtungen
aus defensiven in risikoreichere Werte kommen.
Obwohl die Daten vereinzelt schon etwas besser
aussehen, erwartet er aber nicht, dass Anleger sehr
kurzfristig ihre Portfolios neu ausrichten werden.
Schaut man noch einmal weiter nach vorn und
auf Sloks Liste, dann fallen gleich mehrere Risiken
auf, die nicht mit der Geldpolitik, sondern mit der
US-Finanzpolitik zu tun haben. Gefährlich wäre
zum Beispiel, wenn die „Anleger nach der US-Wahl
den Appetit auf Kreditrisiken in den USA und US-
Staatsanleihen verlieren“. Getrennt davon führt
der Ökonom noch einmal das Risiko auf: „Das
Schuldenniveau der US-Regierung beginnt, sich auf
die langfristigen Zinsen auszuwirken.“ Es geht also
in beiden Fällen um die Gefahr, dass sich die jetzt
schon sehr expansive Ausgabenpolitik der Regie-
rung fortsetzt und die Anleger allmählich kalte Fü-
ße bekommen und fürchten, dass diese Entwick-
lung nicht mehr lange tragbar ist.
Wenn es um US-Kreditrisiken in Zusammenhang
mit der Wahl geht, kommt aber noch eine andere
Möglichkeit ins Spiel, die Slok allerdings nicht di-
rekt anspricht: ein möglicher Wahlsieg der demo-
kratischen Politikerin Elizabeth Warren. Die streit-
bare Senatorin hat hohe Steuern und ausgaben -
intensive Pläne etwa für den Gesundheitssektor in
ihr Programm geschrieben. Die Folge könnte sein,
dass die Unternehmen stark belastet werden oder
Investoren sich noch mehr zurückhalten als bisher.
An der Wall Street geht dabei eine gewisse Angst
vor Warren um – auch bei Leuten, die Donald
Trump überhaupt nicht mögen.

Heiß umkämpfte


Wahl in den USA


Wer wird nächster US-Präsident? Das entscheidet


sich im Herbst 2020 – das Ergebnis wird die Fi-


nanzmärkte beeinflussen. Sicher ist nur eines: Der


Wahlkampf wird hart. Das kann die politische Un-


sicherheit noch verstärken.


Brexit oder doch


kein Brexit


Die Briten wählen erst einmal ein neues Parlament,


bevor es weitergeht mit der Frage, wie – oder sogar


ob – sie aus der EU aussteigen. Aber: Nach der


Wahl ist vielleicht alles so unklar wie zuvor.


The Washington Post/Getty Images, imago images / Rupert Oberhäuser, MSUnger, Bloomberg

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MONTAG, 11. NOVEMBER 2019, NR. 217


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