Handelsblatt - 11.11.2019

(Nandana) #1

eine Gehaltserhöhung bekommen und verdienen


netto nun 1400 Euro im Monat. Ihre Ehemänner,


die in der Investmentabteilung Huafas arbeiten,


kommen auf noch höhere Nettoeinkommen.


„Uns ist es von Jahr zu Jahr besser gegangen“,


sagt CJ. Auf ihrem Kontoauszug der Bezahlplatt-


form Alipay lässt sich ablesen, dass sie im Oktober


2018 zusammen mit ihrem Mann für knapp 300


Euro für Restaurantbesuche und 800 Euro für


„tägliche Einkäufe“ wie Lebensmittel, Haushaltsge-


räte und Ähnliches ausgegeben hat; ein Jahr später


liegen die Zahlen bei 400 und 1100 Euro.


Trump, die Strafzölle und deren Belastungen für


die chinesische Wirtschaft spielen im Alltag der


jungen Frauen kaum eine Rolle. „Wer nicht in di-


rekt betroffenen Branchen wie dem Export arbei-


tet, spürt die Auswirkungen des Handelskrieges so


gut wie gar nicht“, sagt Michael McCool, Senior Ma-


nager für China bei Alix Partners. Richtig bemerk-


bar mache sich so etwas für die meisten erst, wenn


Menschen in ihrem Umfeld oder gar sie selbst ih-


ren Job verlieren würden.


Expansion der Mittelschicht


In den vergangenen vier Jahren stieg das durch-


schnittlich verfügbare Einkommen der Bewohner


in Zhuhai um knapp 30 Prozent. Mit ihren 1,5 Mil-


lionen Einwohnern ist sie eine kleinere, aber dyna-


mische Großstadt in China. Diese Städte sind die


treibende Kraft für die Urbanisierung und Expansi-


on der chinesischen Mittelschicht. „Für E-Commer-


ce-Gigant Alibaba sind die Bewohner dieser Städte


eines der interessantesten Wachstumssegmente“,


meint McCool. „Er hofft, dort den Kundenstamm


der Zukunft aufbauen zu können.“


Mit ihrem neuen Wohlstand konsumieren die


Freundinnen nun auch bewusster. „Ich achte mehr


auf Qualität“, sagte CJ. Inzwischen wird der Plastik-


becher für die Zahnbürste durch einen Glasbecher


ersetzt, statt Eier aus Massentierhaltung kaufen sie


nun welche aus artgerechter Haltung. In China wird


dieses Verhalten „Consumption Upgrade“ genannt.


Konsumenten befriedigen nicht nur ihre Grundbe-


dürfnisse, sondern sehen den Konsum als eine Art


Bereicherung und achten zunehmend auf Qualität.


Es ist dieser gestiegene Konsumanspruch, wes-


wegen Premium-Automarken wie BMW und Mer-


cedes weiterhin erfolgreich sind, obwohl der chi-


nesische Autoabsatz in den ersten drei Quartalen


insgesamt um 10,3 Prozent gefallen ist. „Chinesi-
sche Konsumenten wollen ihren Lebensstandard
verbessern“, sagt Auto-Analyst Tao Gao von der
Marktforschungsfirma IHS Markit. „Vor einigen Jah-
ren konnten sie sich nur Massenware oder eine
preiswerte chinesische Marke leisten. Nun können
sie zu Premiummarken wechseln.” So hat Yang -
yang gerade ihren drei Jahre alten Wagen durch ei-
nen Audi A3 ersetzt. „Es ist ein kleines Auto“, ver-
sucht sie bescheiden abzuwiegeln.
Doch nicht überall herrscht Optimismus. Tang -
shan, 140 Kilometer östlich von Peking und rund
2500 Kilometer von den vier Freundinnen ent-
fernt, ist ein Zentrum der Stahlproduktion in Chi-
na. In den vergangenen Jahren mussten hier Stahl-
werke und Kohleminen schließen, weitere werden
folgen. Tangshans Bruttosozialprodukt sank von 91
Milliarden Euro in 2017 auf 88 Milliarden in 2018;
auch für 2019 wird ein Minus erwartet.
Li Gen arbeitet hier seit elf Jahren bei SAIC-Volks-
wagen. Dieses Jahr, so schätzt er, werden „15 bis 20
Prozent“ weniger Autos als im Vorjahr verkauft.

Die Gründe sind vielfältig. Neben Tangshans wirt-
schaftlicher Misere hat sich auch das Verbraucher-
verhalten verändert. Einst generöse Großkunden
wechseln ihre Flotte nicht mehr alle drei, sondern
eher alle sechs Jahre, beobachtet Li. Auch die Pri-
vatkunden seien wählerischer geworden. „Vor
zehn Jahren kamen Leute mit Geldkoffern ins Ge-
schäft und fragten nur, wann sie losfahren kön-
nen“, erzählt er. Heute fällen sie Entscheidungen
erst nach zwei, drei Besuchen und Testfahrten. Je-
der Kostenpunkt müsse aufgedröselt, erklärt und
dann verhandelt werden.
Laut Visitenkarte ist der 33-jährige Chen Peng
„Senior Manager“ bei einem Staatsunternehmen
und verkauft Finanzprodukte. Seitdem Chinas
Wirtschaftswachstum abnimmt, verdient er weni-
ger Kommission. Nahm er vor vier Jahren noch
monatlich 2500 Euro mit nach Hause, sind es heu-
te nur noch 1200 Euro. Doch Chen bleibt zuver-
sichtlich. Ein Blick auf seine WeChat-Momente, den
Newsfeed für Chinas beliebtestes soziales Netz-
werk, zeigt, wo er 2019 überall war: Israel im Feb-
ruar, Island im August, England im Oktober – und
im Dezember will er Japan besuchen. Zwischen-
durch, so erzählt er, macht er Wochenendtrips in
China. Für sich, seine Ehefrau und seine sechsjäh-
rige Tochter, so schätzt Chen, hat er dieses Jahr
knapp 25 000 Euro fürs Reisen ausgegeben – so viel
wie seine Frau im Jahr netto verdient.

Gelassenheit dank Immobilienbesitz


Der Tourismus in China boomt. In 2018 gaben chi-
nesische Touristen im Ausland 275 Milliarden Dol-
lar aus. 2020 sollen es 315 Milliarden Dollar wer-
den, so schätzt die Beratungsfirma McKinsey. Chen
profitiert davon zusätzlich: Denn in seiner Reise-
Leidenschaft hat er auch eine Geschäftsidee er-
kannt. Im Nebenjob vermittelt er seit einem Jahr
Flugtickets, die er für einen Aufpreis weiterver-
kauft. Jeden Monat kommen so noch einmal 1500
Euro dazu. „Meinen Job absolviere ich aus Pflicht.
Aber der Tourismus macht mir Spaß“, meint er.
Ein Grund für die Gelassenheit vieler Verbrau-
cher wie Chen oder die Freundinnen ist die Tatsa-
che, dass sie wie 90 Prozent aller Chinesen Eigen-
tum besitzen. Zum Beispiel in Zhuhai, wo auch im
November eine laue Brise weht. Die Stadt gilt als
Ort, „wo Leute hinkommen, um alt zu werden“,
sagt Liuliu. Das sieht man vor allem an der Küsten-
linie, wo sich Neubauten an Prachtbauten reihen.
Viele stehen leer, weil sie als Investmentanlagen ge-
kauft worden sind. Allein von 2015 auf 2016 stieg in
Zhuhai der Verkaufspreis für Wohnfläche pro Qua-
dratmeter von 1985 Euro auf 2715 Euro.
Auch die Freundinnen und Chen haben bei den
Spekulationen mitgemacht. Fast alle besitzen min-
destens drei Wohnungen: eine für die eigene Fami-
lie, eine für die Großeltern und eine als Invest-
ment. Weil sie alle schon vor einigen Jahren gekauft
haben, waren die Ratenzahlungen und Preise noch
relativ niedrig. Chen zum Beispiel nennt die mo-
natliche Rate von 800 Euro „überschaubar“, ein
Teil wird durch Mieter beglichen. „Klar gibt es hier
eine Immobilienblase“, sagt Chen. Aber er glaubt
nicht, dass sie zum Platzen kommt. Das werde die
Regierung schon verhindern.
Beim Singles‘ Day will Chen in diesem Jahr nicht
mitmachen. „Ich habe alles, was ich brauche“, sagt
er. Mit dieser Einstellung ist er nicht allein. Wäh-
rend 2018 nur ein Prozent der Befragten angaben,
am Singles‘ Day nicht teilnehmen zu wollen, sind
es in diesem Jahr acht Prozent, so die Studie der
Beratungsfirma Alix Partners. Dass trotzdem Ver-
kaufsrekorde erzielt werden, liege vor allem daran,
dass Teilnehmer im Durchschnitt 54 Prozent mehr
als im Vorjahr ausgeben wollen.
„Die Veranstaltung ist nichts Neues mehr, der
Sensationseffekt von früher ist einer Erwartungs-
haltung gewichen, dass es auch dieses Jahr Rabatte
geben wird“, sagt McCool, der Senior Manager bei
Alix Partners. Früher hätten viele den Rabatten
nicht widerstehen können. Inzwischen schieben
viele ihre Kaufentscheidungen auf, um am Singles‘
Day von Preisnachlässen zu profitieren. „Die chine-
sischen Verbraucher kaufen heutzutage das, was
sie wollen und brauchen, anstatt das, was gerade
im Angebot ist“, beschreibt er die Veränderung.

Weniger Umsatz
im Autohandel:
Verkäufer Li Gen
in Tangshan bei
, Sha Hua / Handelsblatt SAIC-Volkswagen

Internationale Marken
sind gefragt: In der
Super Brand Mall in
Schanghai drängen
sich die Kunden.

Wer nicht


im Export


arbeitet,


spürt die


Auswirkungen


des Handels -


kriegs so gut


wie gar nicht.


Michael McCool
Senior Manager bei
Alix Partners

Sorge um China


MONTAG, 11. NOVEMBER 2019, NR. 217


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