National Geographic Germany - 11.2019

(Barry) #1

132 NATIONAL GEOGRAPHIC


sich unbeholfen im Halbkreis auf,


zupfen an ihrer langen Tunika,


fummeln an ihrem Schal. Statt der


traditionellen Shalwar tragen sie


Jeans. Das ist ein kleiner Akt der


Rebellion für diese Mädchen, die


in einem Slum im Südosten von


Delhi aufgewachsen sind. Als indi-


sche Journalistin hatte ich ihre


Fortschritte im Rahmen des Pro-


gramms „Gendering the Smart


Safe City“ verfolgt, das ein Be-


wusstsein für die Sicherheit von


Frauen in Indien schaffen soll. An-


fang 2019 sind ein paar auslän-


dische Kollegen und ich eingela-


den worden, um zu hören, was


sie als Teilnehmerinnen des Pro-


gramms zu sagen haben.


„Dürfen wir unseren Song sin-

gen?“, fragt eines der Mädchen.


Aber sicher, lautet die Antwort. Im


Nu verändert sich ihre Körperhal-


tung: Füße auseinander, Kinn


nach oben. Kein Lächeln mehr. Sie


erzeugen einen Hip-Hop-Beat,


indem sie schnippen und in die


Hände klatschen. Dann beginnen


sie zu rappen. Auf Hindi klingt ihr


Sprechgesang besonders hart.


Sag es laut, so wie ich:
Diese Stadt ist für dich und mich.
Diese Stadt gehört euch nicht!

Ob die Ausländer bemerken, wie
ich mich bemühe, nicht in Tränen
auszubrechen? Ich bin 42 Jahre alt.
Mein halbes Leben schon fahre ich
für meinen Job kreuz und quer
durch Indien, meistens allein. Die
Geschichten, die Frauen mir er-
zählen, und auch meine eigene
handeln von einer Gesellschaft, in
der öffentlicher Raum einzig und
allein Männern vorbehalten ist.
Ich weiß noch, dass ich als Teen-
ager weite Klamotten anzog, um
nicht aufzufallen. Sie sollten mich
vor den Hinterherpfeifern auf der
Straße schützen. Noch zwei Jahr-
zehnte später rutsche ich als er-
wachsene, beruflich erfolgreiche
Frau tief in den Fahrersitz meines
Autos, um den aufdringlichen Bli-
cken zu entkommen.
Die Sicherheitsstatistiken in
Indien zeigen ein düsteres Bild.
2011 meldete das National Crime
Records Bureau 228 650 Verbre-
chen gegen Frauen, darunter sexu-
elle Belästigung, Entführung, Ver-
gewaltigung und Mord. In diesem
Jahr erklärte eine Untersuchung
der Thomson-Reuters-Stiftung In-
dien zum weltweit viertgefährlichs-
ten Land für Frauen – nur noch
übertroffen von Afghanistan, der
Demokratischen Republik Kongo
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