National Geographic Germany - 11.2019

(Barry) #1

136 NATIONAL GEOGRAPHIC


Die Autorin Nilanjana
Bhowmick ist Journalis-
tin in Neu-Delhi. Sie hat
sich in ihrer Arbeit auf
die Teilhabe von Frauen
und auf Politik kon-
zentriert. Die Fotojour-
nalistin Saumya
Khandelwal arbeitet
ebenfalls in Neu-Delhi
und berichtet vor allem
über Geschlechter-
und Umweltthemen.

indischen Gesellschaft auf den


Angriff auf Nirbhaya: Tag für Tag


skandierten Frauen in den Stra-


ßen: „Freiheit ohne Furcht!“


VIELLEICHT WAREN DIESE Proteste


der Grundstein für anhaltende


Veränderungen. Lokale und natio-


nale Behörden bewilligten plötz-


lich Geld für neue Frauensicher-


heitsinitiativen. 2013 reservierte


die Staatsführung 130 Millionen


Euro im sogenannten Nirbhaya-


Fonds für Maßnahmen zur Verbes-


serung der Sicherheit von Frauen.


Die aktuelle Regierung verspricht


fast das Dreifache, um acht große


Städte, darunter auch Delhi, zu


sichereren Orten zu machen, etwa


durch bessere Straßenbeleuch-


tung.


In Delhi bietet die Polizei in-

zwischen kostenlose zehntägige


Selbstverteidigungskurse für


Frauen an und zieht durch die


Stadt, um größeren Gruppen die


Techniken direkt vor der Haustür


zu zeigen. Im Bundesstaat Kerala


wurden weibliche Polizeieinhei-


ten, die Pink Police, zusammenge-


stellt. Sie fahren Streife und küm-


mern sich um Notrufe von Frauen.


Pink ist auch die Farbe der meis-

ten Angebote für Frauen im öffent-


lichen Nahverkehr. Pinke Auto-


rikschas sind Frauen vorbehalten


und sollen von Frauen gefahren


werden. Weil es zu wenige Fahre-


rinnen gibt, dürfen auch Männer,


die von der Polizei ausgestellte Un-


bedenklichkeitsbescheinigungen


vorweisen können, die Rikschas


lenken. Delhis U-Bahnen verfügen


inzwischen über Frauenwaggons.


Aber staatliche Anordnungen

sind nicht die einzige Möglichkeit,


dafür zu sorgen, dass Bürgerinnen


sich in der Öffentlichkeit wohl-


fühlen. Die weltweite Bewegung


#TakeBackTheNight bringt auch


in Indien mutige Frauen zusam-


men, um nach Einbruch der


Dunkelheit durch die Straßen zu


laufen. Und unter dem Hashtag
#MeetToSleep fanden sich ver-
gangenes Jahr landesweit 600
Frauen zusammen, um eine Nacht
im Freien zu verbringen, wie es
auch indische Männer tun. Es ist
schwer, deren Einstellung zu ver-
ändern, diese Frauen seien Ein-
dringlinge in ihr Territorium. Aber
es ist möglich.
Den Song der Rapperinnen aus
Delhi findet man jetzt auch auf
YouTube. Man muss nur nach
„Khadar ki Ladkiyan“ („Mädchen
aus Khadar“) suchen. In dem
Video sieht man, wie die Frauen
untergehakt durch die Straßen
gehen und mit grimmigem Blick
direkt in die Kamera schauen.
Hört uns zu, wir sagen’s laut:
Wir sind mutig, ohne Angst.
„Dabei bin ich gar nicht immer
mutig“, sagt Ritu, eine der Rappe-
rinnen. „Manchmal habe ich auch
Angst. Aber häufiger bin ich wü-
tend und empört.“
Sie erzählt uns dazu folgende
Geschichte: Einige von ihnen hat-
ten zusammen in der U-Bahn ge-
standen. Sie erwischten einen
Mann, der sie von hinten mit dem
Handy filmte, obwohl sie einfach
nur eine unauffällige Gruppe jun-
ger Frauen waren. Andere Passa-
giere taten, als ob nichts wäre. Also
stellten die Khadar-Mädchen den
Mann. Sie nahmen ihm sein
Handy weg. Sie schlugen ihn mit
ihren Sandalen. Bevor die Frauen
die Polizei rufen konnten, sprang
der Mann am nächsten Bahnhof
aus dem Zug und rannte davon.
Ihre Reaktion sei vielleicht nicht
ideal gewesen, so Ritu im Nach-
hinein, aber die Angst um die ei-
gene Sicherheit habe überwogen.
„Was würden Sie tun, wenn Sie
wüssten, dass niemand sich darum
schert, was mit Ihnen passiert? Sie
tun, was sich in diesem Augenblick
richtig anfühlt.“ N
Aus dem Englischen von Susanne
Schmidt-Wussow

OBEN

Polizistinnen der Kerala
Pink Police Patrol
untersuchen einen Fall:
Ein Mann hat unerlaubt
ein Frauenhaus in
Thiruvananthapuram
betreten. Die weib-
lichen Einheiten, die
2016 in der Stadt ein-
gerichtet wurden und
aus 32 Polizistinnen
bestehen, reagieren
auf Meldungen, die
Frauen und Kinder
betreffen. Auf Fälle,
die Schlichtung
erfordern, sind sie
besonders spezialisiert.

UNTEN

Frauen beim monat-
lichen „Women Walk at
Midnight“ in Delhi. Die
Initiative entstand 2013,
als eine Frau entgegen
allen Sicherheitsbeden-
ken 24 Stunden lang
durch die Stadt lief, um
ihre Ausdauer zu testen.
Das Projekt will Frauen
ermöglichen, den öffent-
lichen Raum ihrer Städte
ohne Furcht auch nach
Einbruch der Dunkel-
heit zu erkunden.
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