National Geographic Germany - 11.2019

(Barry) #1

22 NATIONAL GEOGRAPHIC


Michele Norrisarbei-


tete zehn Jahre lang


als Moderatorin beim


Sender National Pub-


lic Radio. Sie ist Grün-


dungsdirektorin des


Race Card Project, das


sich mit kultureller


Identität beschäftigt.


und was wir gerade tun, ist doch eines
ganz klar: Wir sitzen unwiderruflich
im selben Boot.“
Die Gruppe hat innerhalb eines
Jahres fast 20 Millionen Dollar für
einen Fonds für Rechtsbeihilfe gesam-
melt. Aus ihm sollen alle Frauen un-
terstützt werden, ungeachtet dessen,
ob sie als Zimmermädchen oder Pfle-
gekräfte, einfache Arbeiterinnen oder
Sicherheitskräfte, Akademikerinnen
oder Künstlerinnen tätig sind. Nämlich
Frauen, die nicht nur den gleichen
Lohn, sondern sichere Arbeitsbedin-
gungen sowie Schutz vor sexueller
Belästigung verlangen.
Die TV-Produzentin Shonda Rhimes
konnte sich selbst den Arbeitsplatz
schaffen, den sie immer gewollt hatte,
aber sie weiß, dass die meisten Frauen
diesen Luxus nicht haben. In den
Monaten, in denen sich die Frauen in
Hollywood mindestens einmal täglich
trafen, war sie es, die die Gruppe zu
kühnen Gedankengängen antrieb: Sie
sollten sich nicht nur vorstellen, wie
sie das System reparieren konnten –
sondern wie das System von Anfang
an hätte funktionieren sollen, frei vom
Kräftespiel der in der Regel von Män-
nern ausgehenden Macht, das Frauen
automatisch eine untergeordnete Posi-
tion zuweist.

flüstert ihnen zu, wie sie sich verhal-
ten sollten oder eben nicht. Doch wer
sich von der Standspur in den fließen-
den Verkehr einfädeln will, muss auch
mal drängeln – wir müssen laut sein,
uns empören und dafür gerüstet sein,
als Schreckschraube, Xanthippe, Un-
ruhestifterin oder Zicke wahrgenom-
men zu werden. Pfeift drauf. Lasst uns
kräftig auf die Hupe drücken.
Viele Frauen, sagt Rhimes, hätten
Probleme mit der Vorstellung, die
Gleichstellung einzufordern. „Es ging
immer nur darum, wie wir es schaffen
können, dass die Männer sich wegen
des kleinen Stücks vom Kuchen, das
wir fordern, nicht unwohl fühlen“, sagt
sie. „Das ist doch wirklich eine lächer-
liche Position – um ein winziges Stück
von etwas zu bitten, was einem längst
gehören sollte.“

WIE ÄNDERT MAN ALSO EIN SYSTEM,
DAS DARAUF AUSGELEGT IST,Frauen
stets den geringeren Anteil zuzuge-
stehen, wenn es um persönliche Si-
cherheit, Respekt, Einkommen, Pres-
tige oder Auszeichnungen geht? Wie
verweigert man seine Zustimmung,
wenn das System einen in eine Schub-
lade stecken will, auf der steht: „Du
bist unterlegen“?
Erinnern Sie sich noch an das Zitat,
das Eleanor Roosevelt zugeschrieben
wird? Offenbar hat sie diese Worte gar
nicht so gesagt. Auf eine Frage, die sich
auf eine angebliche Beleidigung bezog,
sagte sie jedoch Folgendes: „Mit einer
Beleidigung will eine Person, die sich
überlegen fühlt, jemand anderen dazu
bringen, sich unterlegen zu fühlen.
Um das zu tun, muss sie aber jemanden
finden, der sich dazu bringen lässt,
sich unterlegen zu fühlen.“
Menschen, die ein Interesse daran
haben, den Status quo zu erhalten,
werden immer nach anderen suchen,
die sich dazu bringen lassen, sich un-
terlegen zu fühlen. Das ist das dünne
Eis, auf dem sie stehen. Deshalb soll-
ten wir dafür sorgen, dass es schwer
wird, Frauen und Mädchen zu finden,
die man dazu bringen kann, sich un-
terlegen zu fühlen. Wir sollten dafür
sorgen, dass Frauen um ihre Macht
wissen – als Gleiche unter Gleichen.
Die Aussichten standen noch nie so
gut wie jetzt.j
Aus dem Englischen von Susanne
Schmidt-Wussow

in einem kollektiven Wutschrei zu-
sammenfanden, machten die Ge-
schlechterstereotype noch immer
ihren schädlichen Einfluss geltend
und sorgten für reflexhafte Zurück-
haltung. „Es macht mich weiterhin
traurig, dass die Leute Angst davor
haben, Gleichbehandlung zu fordern“,
sagt Rhimes. „Frauen scheinen be-
sonders große Angst davor zu haben.“
Sie selber habe das immer wieder
beobachtet – „an der Art, wie Frauen
sich entschuldigen und wie sie ver-
suchen, ihre Verträge zu verhandeln,
an der Art, wie Frauen für sich selber
einstehen.“
Frauen, die die Welt verändern oder
einfach Karriere machen wollen, müs-
sen sich manchmal gegen die leise
Stimme in ihrem Innern durchsetzen.
Diese Stimme schürt Unsicherheit und

Doch auch in diesem


Moment, als Frauen


SHONDA RHIMES,
TV-Produzentin


Es ging immer nur
darum, wie wir es
schaffen können,
dass die Männer sich
wegen eines kleinen
Stücks vom Kuchen.
das wir fordern,
nicht unwohl fühlen.
Das ist doch wirklich
eine lächerliche
Position – um ein
winziges Stück
von etwas zu bitten,
das einem längst
gehören sollte.

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