Handelsblatt - 01.11.2019

(Brent) #1

Mathias Brüggmann Riad


T


he Zone“ heißt das
brandneue Restaurant-
zentrum in der saudi-
schen Hauptstadt Riad.
In einem großen Patio
tanzen die Fontänen des Springbrun-
nens im Takt der laut hämmernden
Musik. Familien belagern die franzö-
sischen, indischen und italienischen
Restaurants. Hinter ihnen flimmert
auf einer großen Leinwand ein Film,
in dem leicht bekleidete Frauen in ei-
nem Fitnessstudio turnen und ra-
deln. Noch vor zwei Jahren wäre ein
solcher Film in dem erzkonservati-
ven Königreich undenkbar gewesen.
Saudi-Arabien ist im Umbruch.
Frauen dürfen seit eineinhalb Jahren
selbst Auto fahren, arbeiten und in
Kürze ohne Zustimmung eines männ-
lichen Verwandten reisen. Der mäch-
tige Kronprinz Mohammed bin Sal-
man will sein Land mit der „Vision
2030“ in die Moderne führen. Sein
Land habe in den vergangenen bei-
den Jahren „bedeutende Strukturre-
formen durchgebracht“, die die Wirt-
schaft „widerstandsfähig“ machten,
verkündet Finanzminister Mohamed
Al-Jadaan auf der Investorenkonfe-
renz „Future Investment Initiative“.
Auch andere spüren diesen Wan-
del. „Ich komme seit 20 Jahren nach
Saudi-Arabien, und was ich hier sehe,
ist gewaltiger Wandel“, sagt Mukesh
Ambani, Gründer des indischen
Mischkonzerns Reliance Industries.
Indiens reichster Mann vergleicht die
Situation derzeit in Saudi-Arabien mit

Chinas Aufbruch der 1980er- und In-
diens Öffnung der 1990er-Jahre. Der
Umbau hat begonnen, die Pläne sind
ambitioniert. Doch die Wirtschafts-
flaute im Land erschwert den Traum
des „MbS“ genannten Königssohns.
Der Internationale Währungsfonds
sagt dem wichtigsten Petrostaat der
Welt für dieses Jahr gerade noch ei-
nen Zuwachs seines Bruttoinlands-
produkts von 0,2 Prozent voraus. Das
Haushaltsdefizit wird laut der Rating-
agentur Fitch von 5,9 Prozent im ver-
gangenen auf 6,7 Prozent in diesem
Jahr steigen.
Hohe Risiken
Hauptgrund ist der seit Jahresbeginn
um ein Fünftel gesunkene Ölpreis.
Der Kronprinz will die Wirtschaft di-
versifizieren. Noch aber ist sie abhän-
gig vom Ölmarkt. Zudem ist das Land
„anfällig für eskalierende geopoliti-
sche Spannungen“, wie Fitch warnt –
wegen seiner Feindschaft zum Iran
und seiner anhaltenden Beteiligung
am Jemenkrieg. Die Drohnenatta-
cken am 14. September auf die welt-
größte Ölaufbereitungsanlage Abqaiq
und das Ölfeld Khurais zeigten dies.
Der Staatsölkonzern Saudi Aramco
verlor vorübergehend 60 Prozent sei-
ner Produktionskapazität.
Die zerstörten Anlagen wurden
schnell wieder repariert. Doch der
Schock sitzt tief: „Wir können uns die
Dollar-Milliarden, die wir im Jemen
verballern, nicht mehr leisten“, klagt
ein saudischer Banker am Rande des

Saudi-Arabien


Flaute im Ölreich


Der bedeutendste Petrostaat der Welt steht vor dem wichtigsten Umbau seiner Geschichte. Doch
eine stagnierende Wirtschaft und wachsende Haushaltsdefizite erschweren das Projekt.

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Bloomberg


Investorenforums in Riad. Diese
Summen fehlten für wichtige Wirt-
schaftsvorhaben im eigenen
Land. Die vielen Ankündigungen
müssten jetzt „endlich in Beton ge-
gossen werden“. Die Vision 2030
steht an einem Wendepunkt.

Megaprojekte in Planung
Der Kronprinz denkt groß: ob bei der
500 Milliarden Dollar teuren neuen
Megastadt Neom von der Größe
Mecklenburg-Vorpommerns, dem
Red-Sea-Luxustourismusprojekt auf
einer Fläche größer als Belgien oder
der Unterhaltungsmetropole Qid-
diya, einer Art Dubai in Klein. 1,5 Bil-
lionen Dollar sollen bis 2030 in gi-
gantische Vorhaben, neue Indus-
trien, Häfen und Hunderttausende
neue Häuser fließen.
Yusuff Ali, Chairman des asiati-
schen Einzelhandelskonzerns LuLu
Group, schwärmt von den enormen
Chancen für ausländische Konzerne.
In Neom hat etwa der Dortmunder
Wilo-Konzern Pumpen geliefert.
„Deutsche Firmen sind so starke
Technikanbieter, dass sie bei uns
zum Zuge kommen sollten“, sagt
John Pagano, CEO der saudischen
Red Sea Development Company. Und
deutsche Hoteliers könnten am Ro-
ten Meer mit Managementverträgen
für Hotels zum Zuge kommen.
Doch Geschäftemachen in Saudi-
Arabien ist kein Selbstläufer mehr.
Das bekommen auch die deutschen
Autokonzerne zu spüren, deren Ex-

Saudi-Arabien
BIP, Veränderung zum
Vorjahresquartal in Prozent

Direktinvestitionen
in Mrd. US-Dollar

Brentöl
Preis in US-Dollar je Barrel

Ölfördermenge
in Mio. Barrel pro Tag

HANDELSBLATT
Quellen: General Authority for Statistics
Saudi Arabia, Oxford Economics, BP, Bloomberg

BIP: Bruttoinlandsprodukt, real,
nicht saisonbereinigt


  1. Q. ’14 2. Q. ’


+0,5 %


60 ,07 US$ 12,
Mio.

















±






Saudi-Arabien
Ausland
20,6 Mrd. US$

Ausland
Saudi-Arabien
6,1 Mrd. US$

2012 2019


Prognose


25


20


5


0


1.10.’14 31.10.’


80


60


40


20
2014 2018

5


0


12 Wirtschaft & Politik WOCHENENDE 1./2./3. NOVEMBER 2019, NR. 211

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