Handelsblatt - 01.11.2019

(Brent) #1
Konjunkturtief in Deutschland
WOCHENENDE 1./2./3. NOVEMBER 2019, NR. 211^49

G


abriel Felbermayr ist Präsident
des Kieler Instituts für Weltwirt-
schaftsforschung und erklärter
Feind von Handelsschranken. In-
zwischen ist er aber überzeugt, dass US-Prä-
sident Donald Trump vor Weihnachten ge-
gen Europa keine Autozölle mehr verhän-
gen wird.

Herr Felbermayr, wie schlimm ist der Ab-
schwung?
Es ist relativ wahrscheinlich, dass die Wirt-
schaft auch im dritten Quartal gegenüber
dem zweiten geschrumpft ist. Wir sind also
in einer technischen Rezession. Aber das ist
keine Rezession, die uns in Angst und
Schrecken versetzen müsste. Ich würde da-
her das R-Wort nicht überstrapazieren.

Sie rechnen jetzt mit Besserung?
Das Bild bleibt gespalten. Die Industrie ist
weiter schwach, aber es gibt Anzeichen da-
für, dass sie die Talsohle erreicht hat. Dass
laut Ifo-Umfrage wieder mehr Firmen opti-
mistischer werden, ist ein Zeichen der Hoff-
nung, bisher allerdings ein kleines: Womög-
lich war es ja nur ein Messfehler. Die Dienst-
leistungen und der Bau aber werden die
Wirtschaft weiter stützen.

Wie sehr sind die Schwäche des Welthan-
dels und die Handelskonflikte Ursache für
den Abschwung?
Es ist immer schwierig zu trennen, welcher
Faktor am stärksten wirkt. Ob es nun die
Handelspolitik des Herrn Trump, die wirt-
schaftliche Abschwächung Chinas oder die
Unsicherheit durch die deutsche Klima -
politik ist, die die Wirtschaft bremst. Den
Trump-Faktor würde ich mal mit 25 Prozent
veranschlagen. Bei der Autoindustrie müs-
sen wir sehen, dass der Absatz überall
schwächelt, nicht nur in den USA. Da ist viel
technologische Unsicherheit im Spiel, und
da wird es darauf ankommen, wie schnell
der Autoindustrie ein Umsteuern gelingt.

Die Handelskonflikte gibt es ja bereits seit
drei Jahren. Werden sie heftiger?
Nein, da sehe ich eigentlich eher positivere
Entwicklungen als noch vor wenigen Mona-
ten. Das Brexit-Gespenst ist zwar nicht kom-
plett verschwunden, aber die Wahrschein-
lichkeit eines ungeregelten EU-Austritts
Großbritanniens ist doch deutlich kleiner
geworden. Und der Troublemaker aus dem
Weißen Haus hält sich in letzter Zeit merk-
lich zurück. Er hat den Airbus-Boeing-Kon-
flikt nicht maximal angeheizt. Ich glaube
auch nicht, dass es vor Weihnachten zu Au-
tozöllen kommen wird: Einen Zwei-Fronten-
Handelskrieg gegen China und die EU kann
Trump nicht wollen. All das stimmt mich
optimistisch, dass Deutschland im vierten
Quartal nicht tiefer in die Rezession abrut-
schen wird.

Wenn es auch hausgemachte Ursachen für
den Abschwung gibt, welche wären das?
Belastend wirken mehrere Quellen erhebli-
cher Unsicherheit, deren Effekte nur schwer
zu quantifizieren sind. In Deutschland ist das
vor allem die Energiepolitik. Können wir den
Ausbau der Erneuerbaren schnell genug
stemmen? Gelingt der Stromnetzausbau?
Welche neuen Energien werden zugelassen?
Was wird Strom kosten? Diese Unsicherhei-
ten belasten die Wirtschaft. Und dann haben
wir das Problem, dass das Trendwachstum
stetig zurückgeht, von etwa anderthalb auf et-
was unter einem Prozent. Wirtschaftliche
Schwächephasen werden damit häufiger.

Muss man das einfach akzeptieren?
Jein. Die Ursache ist die Demografie, und die
kann man nur sehr langfristig ändern. Zu-
wanderung würde helfen. Aber dafür müsste
sich Deutschland dann wirklich in den „War
for Talents“ begeben und gezielt hochqualifi-
zierte Menschen weltweit anwerben. Flücht-
lingseinwanderung hilft dabei eher nicht.

Was könnte die Regierung kurzfristig tun?
Wir brauchen eine neue Form der Angebots-
politik. Wir haben durchaus ein Gulliver-Pro-
blem: viele kleine Fäden, die den Riesen am
Boden halten. Bisher hat die Große Koalition
vor allem Wohltaten verteilt. Zugegeben: Das
hilft der Konjunktur zwar im Abschwung.
Aber die Regierung sollte jetzt auch den Soli-
daritätszuschlag für die Unternehmen weg-
nehmen und Bürokratie abbauen.

Brauchen wir mehr Investitionen?
Ja. Es weiß inzwischen jeder, dass es da einen
ganz großen Nachholbedarf gibt. Besonders
im digitalen Bereich, aber regional auch bei
Straßen. Und wenn wir die Dekarbonisierung
wirklich wollen, dann müssen wir Alternati-
ven sehr gezielt aufbauen, damit die CO 2 - Be-
preisung nicht zur Belastung für die Wirt-
schaft und die Konsumenten wird: erneuer-
bare Energien, Schiene, Nahverkehr. Und
wenn wir auf die Steuerschätzung schauen:
Der Bundesfinanzminister hat auch deshalb
mehr Geld in der Kasse als erwartet, weil In-
vestitionsmittel nicht abfließen. Die Regie-
rung muss also die Planverfahren beschleuni-
gen und jahrelange Umweltverträglichkeits-
prüfungen abkürzen.

Angesichts der Demografie befürchten man-
che eine Japanisierung Deutschlands ...
Das halte ich für eine ziemlich unsinnige De-
batte. Deutschland ist fest in den europäi-
schen Binnenmarkt eingeschraubt, und die-
ser ist sehr viel diverser als Japan. In vielen
europäischen Ländern gibt es noch wirt-
schaftlichen Nachholbedarf, von dem wir
profitieren. Wir haben zwar eine ähnliche De-
mografie, aber Deutschland ist seit Jahrzehn-
ten Einwanderungsland, was Japan bis heute
noch immer nicht ist. Überlegen sollte aller-

dings die EZB, ob sie weiterhin eine Rezessi-
on um jeden Preis verhindern will wie die
Bank of Japan. Damit verhindert sie Verände-
rungen und senkt das langfristige Wachstum.

Wie ist es denn in Deutschland um die Inno-
vationsfähigkeit bestellt?
Da mache ich mir ernste Sorgen. Die Verhal-
tensökonomie zeigt eindeutig, dass ältere
Menschen Risiken stärker scheuen. Ein Land
wie Israel, das im Schnitt 20 Jahre jünger ist,
wird deshalb immer mehr Unternehmens-
gründer haben als Deutschland.

Man könnte aber doch auch Ältere besser
weiterbilden ...
Die Risikoaversion wird bleiben. Auch des-
halb entfachen große Infrastrukturprojekte
hierzulande keine Begeisterung. Verständli-
cherweise befürchten ältere Leute Belastun-
gen wie Baulärm, ziehen aber aus den neuen
Möglichkeiten nur wenig konkreten persönli-
chen Nutzen. Aber natürlich sollte der Staat
mehr in Weiterbildung investieren. Die Ange-
bote sind noch viel zu schlecht.

Wenn die Zahl an Arbeitskräften zurück-
geht: Könnte es da nicht helfen, die Produk-
tivität der wenigen zu stärken?
Da hilft vor allem Bildung. Ich halte es für ein
riesiges Versäumnis, dass in den vergangenen
Jahren die Tatsache kleinerer Schülerjahrgän-
ge vor allem zum Kostensparen und nicht für
die Verbesserung der Schulen genutzt wor-
den ist. Wichtig wäre auch mehr internatio-
nale Arbeitsteilung. Deutschland müsste sich
noch viel stärker für mehr Freihandelsab-
kommen weltweit einsetzen.

Aber es gibt auch in Deutschland Globalisie-
rungsangst ...
Sie scheint mir nicht mehr so stark wie wäh-
rend der Anti-TTIP-Proteste. Es ist aber wich-
tig, den Menschen diese Angst zu nehmen,
etwa durch eine Arbeitslosenversicherung,
die nicht nach einem Jahr den Absturz in die
Armut bedeutet, sondern mehr Zeit und Un-
terstützung gibt für Phasen der beruflichen
Neuorientierung.

Die Fragen stellte Donata Riedel.


Gabriel Felbermayr


„Nicht in Angst


und Schrecken


versetzen“


Der IfW-Präsident erwartet keine tiefe Rezession,
aber aufgrund der ungünstigen Demografie
Deutschlands geringere Wachstumsraten.

Den Trump-
Faktor würde
ich mal mit
25 Prozent
veranschlagen.

Gabriel Felbermayr:
Der Ökonom sieht
eine positive
Entwicklung bei den
Handelskonflikten.

Thomas Dashuber / Agentur Focus

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