Jeremy Rifkin
Revolution durch Hinz und Kunz
Der Bestsellerautor aus Amerika setzt auf Pensionsfonds
und die „Generation Greta“. Sie sollen seinen Traum wahr machen:
eine bessere, saubere Welt.
D
ie Gretchenfrage dieser Tage ist die
Greta-Frage. Will man von Jeremy Rif-
kin wissen, was er Miss Thunberg aus
Schweden in einem Gespräch sagen würde,
bricht es aus dem großen Energie-Apostel he-
raus: „Great! Weiter so, das ist wirklich eine
willkommene Überraschung!“
„Great“, das sind die Kids da draußen auf
den Straßen, die von „Fridays for Future“
oder „Extinction Rebellion“. Sie sind so etwas
wie Rifkins Bataillone. Er braucht sie in sei-
nem Kampf für eine bessere Welt. Rifkin sieht
den ersten weltweiten Aufstand all jener vo-
raus, die unter dem Klimawandel leiden wer-
den. Er sieht Aber- und Abermillionen, ein
„großes Erwachen“, den „Beginn von Panik“,
eine Revolution.
Das gefällt Rifkin, der so etwas wie ein Pop-
star unter den US-Ökonomen ist. Der 74-Jähri-
ge war in seiner Jugend selbst Straßenaktivist.
Damals in den 1960er-Jahren demonstrierte er
gegen den Vietnamkrieg, ein paar Jahre später
gegen Big Oil.
„Hier wird eine neue Bewegung angestif-
tet“, erklärt Rifkin. Das Prinzip „power to the
people“ komme zurück. Auch eine der Paro-
len aus jener Zeit, als Angela Davis, Rudi
Dutschke, Daniel Cohn-Bendit jung waren.
An diesem Oktoberabend ist der Bestseller-
autor zur Europapremiere seines neuen Buchs
nach Berlin gekommen: „Der globale Green
New Deal“. Es ist seine Betriebsanleitung für
die Welt, dafür, wie alle zusammen es schaffen
können, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu
begrenzen. Auch wenn nur elf Jahre bleiben.
Eine kämpferische Schrift, in der Rifkin darauf
verweist, wie seine Beratungsfirma im Auftrag
von Regierungen lokale Projekte voranbringt,
in Nordfrankreich, Luxemburg und Den Haag.
Es sind Modelle dezentraler Energiewirtschaft
mit Sonnen- und Windkraft, die Rifkin preist.
Jetzt ende die Zeit, in der wir davon leben,
was die Erde uns hinterlassen hat, Kohle und
Öl. Das fossile System kollabiere 2028, prog-
nostiziert der Popökonom.
Noch mehr „Green New Deals“
Nun verändern Menschen die Dinge, sie pro-
duzieren mit Solarpanels selbst Energie und
speisen sie in Netze ein. Netze, die in Rifkins
Zukunft von privaten Serviceorganisationen
gemanagt werden, in Partnerschaft mit kom-
munaler Infrastruktur. Alles „peer communi-
ties“, vereinigt auf einer Internetplattform, die
Netze für Mobilität, Energie und Kommunika-
tion bündele. Keine „geeks“ aus dem Silicon
Valley steuerten den Fortschritt, sondern Hinz
und Kunz von nebenan.
Er habe sein ganzes Leben lang „gewisse As-
pekte des Marktkapitalismus“ kritisiert,
schreibt Rifkin in seinem neuen Buch, „dies-
mal jedoch erweist der Markt sich als Schutz-
engel, der über die Menschen wacht“. Das se-
hen zwei US-Autorinnen, die jüngst über
„Green New Deal“ publizierten, jedoch ganz
anders. So setzt Naomi Klein nicht auf Märkte,
sondern auf ein neues Bewusstsein des Ver-
zichts. Ann Pettifor wiederum will den freien
Flow des Kapitals begrenzen, Globalisierung
sei an allem schuld.
Rifkin ist da optimistischer, mehr „hands-
on“. Das Programm für die Zukunft wird in 23
Punkten abgehandelt. Der Campagnero hat
mehr als 20 Bücher geschrieben, manches
wiederholt sich. Für den Professor der Whar-
ton School der University of Pennsylvania ist
Dozieren wie Flanieren. Er ist einer, der bei
dieser Berliner Soiree im rekonstruierten
Preußen-Klassizismus des „Palais Populaire“
das Staunen der 150 Zuhörer erregt mit einem
Kompositum aus Fakten, Thesen, Prophezei-
ung. Die meisten sind Fans, die nach 60 Minu-
ten Vortrag noch Luft für eine Debatte haben.
Es wird klar, dass der New-Energy-Aktivist
neben Greta Thunbergs Pennälern vor allem
öffentliche Pensionsfonds, sei es aus Norwe-
gen oder Holland, als Helfer hat. Diese Fonds
wollen nicht mehr in schmutzige Energien in-
vestieren. Zum politischen Momentum gesellt
sich ein finanzkapitalistisches. Elf Billionen
Dollar haben die Fonds zwecks Dekarbonisie-
rung schon desinvestiert. Deshalb ist Rifkin
nicht bange vor einem US-Präsidenten Donald
Trump oder dessen Freunden aus der alten
Energieindustrie: „Ich verbringe nicht viel Zeit
damit, an den Präsidenten zu denken.“
Der „Palais Populaire“-Abend wie auch das
Buch sind Liebesbezeugungen an die Deut-
schen. Sie hätten den Anfang gemacht mit der
Energiewende. Der Anteil der Erneuerbaren
am Strom liege bei fast 40 Prozent, lobt der
Mann, der die Grünen früh beraten hat. Jetzt
aber habe Deutschland im Eifer nachgelassen
(„nicht aggressiv genug“), es müsse weiter die-
se Revolution anführen, am besten mit
Europa und mit China, die ja eine gemeinsa-
me Landmasse haben. Auf dass die Botschaft
in die USA dringe, wo sich etwa Texas, Kalifor-
nien, Hawaii, Washington oder New York öko-
bewusst verhielten: „Es ist höchste Zeit, die
Scheuklappen abzunehmen.“ Im Februar ha-
ben die amerikanischen Politiker Alexandria
Ocasio-Cortez und Ed Markey den „Green
New Deal“ beschworen.
Große Hoffnung setzt Rifkin auf EU-Vorfrau
Ursula von der Leyen, die den „Green New
Deal“ ebenfalls adressiert hat. „Es begann in
Deutschland, es ist eure Verantwortung“, sagt
er. Und dann hat der Marketender der dritten
industriellen Revolution doch noch einen
Tipp für die Generation Greta: Es reiche nicht
zu protestieren, man müsse sich lokal engagie-
ren. „Rollt die Ärmel auf!“, das sagt er oft an
diesem Abend. „Glokalisierung“ statt Globali-
sierung, predigt Rifkin, der zuweilen wie der
Großtheoretiker einer globalen Graswurzelbe-
wegung wirkt, dem man sofort glaubt, dass
aus dem Flügelschlag eines Schmetterlings ein
Tor nado entsteht.
Die Schlussfrage, ob er Visionär oder Missio-
nar sei, gefällt ihm weniger: „Wir sind Men-
schen, nicht Visionäre oder Missionare“, ant-
wortet er. „Wir müssen diesem Sturm wider-
stehen.“ Hans-Jürgen Jakobs
Jeremy Rifkin:
Der globale
Green New Deal
Campus 2019,
319 Seiten,
26,95 Euro
te angesetzt werden, die ihnen viel Verantwortung
abverlangen, würden sie früh mit einer Realität
konfrontiert, die ihnen beim Gründen eines Unter-
nehmens weiterhelfe. Aber die strikte Wehrpflicht
bringe auch „Herausforderungen“ mit sich, wie es
im Gründerjargon gerne heißt, wenn irgendwo
Probleme lauern.
IQ- und Sprachchecks für Bewerber
Um zu beurteilen, ob die jungen Menschen für die
anspruchsvolle Eliteeinheit 8 200 wirklich geeignet
sind, könne man nicht allein auf die bisherigen Er-
fahrungen schauen – „schließlich kamen die meis-
ten direkt von der Schule“, so Arieli. Israels Armee
habe im Laufe der Jahre deshalb eine Methode ent-
wickelt, um die Fähigkeit von Menschen zu beur-
teilen, die weder Referenzschreiben von bisheri-
gen Arbeitgebern vorweisen können noch über
Berufserfahrung oder ein Hochschulstudium ver-
fügen. Dabei seien etwa IQ-Tests wichtig, aber
nicht allein ausschlaggebend. „Um die spezifische
Veranlagung eines Kandidaten zu testen, prüft das
Militär, wie sich jemand in einer Situation verhält,
die für ihn vollkommen unbekannt ist.“
Falls jemand bei 8 200 etwa für eine Sprachein-
heit vorgesehen sei, müsse der Kandidat bereits
nach einem Crashkurs den Offizieren zeigen, wie
er mit der neu erworbenen Sprache umgehe. Da
sich der Personalbestand der Armee-Einheiten alle
drei Jahre zu hundert Prozent erneuere, sei effi-
zientes Recruiting entscheidend, sagt Arieli, die bei
8 200 als Nachrichtenoffizierin gedient hat und ih-
re Erkenntnisse aus Militärzeiten heute in der eige-
nen Firma umsetzt.
Apropos Talentförderung, eine Forderung an die
nächste Regierung habe sie dann doch noch: „Sie
müsste etwas gegen den heutigen Mangel an Soft-
wareingenieuren unternehmen“, sagt Arieli. Dafür
müsse sich der Sektor endlich öffnen gegenüber
Frauen, über 45-Jährigen, israelischen Arabern
und Ultraorthodoxen. Sonst drohe in den nächsten
Jahren im Hochtechnologieland Israel echtes Cha-
os. Nur wäre es diesmal kein gutes.
Literatur
WOCHENENDE 1./2./3. NOVEMBER 2019, NR. 211^53
Jeremy Rifkin:
beschäftigt sich viel mit
Innovationen und wie sie die
Wirtschaft verändern.
Marc-Steffen Unger
Es begann
in Deutsch -
land,
es ist eure
Verant -
wortung.
Jeremy Rifkin
Wirtschaftsprofessor
Die Unternehmerin
Bis 1997 diente Arieli
als Leutnant in einer
Eliteeinheit Israels.
Danach beriet sie
mehrere Start-ups in
Israel und baute den
ersten Accelerator
des Landes auf. Der
bekannte US-Hedge-
fondsmanager Paul
Singer war dabei mit
im Boot. Heute lebt
Arieli in Tel Aviv und
ist Co-Chefin von
Synthesis, einer
Talent- und Kader-
schmiede für junge
Unternehmen.
Das Buch Die 44-Jäh-
rige fasst ihre Erfah-
rung in „Chutzpah“
zusammen, konzen-
triert sich dabei auf
die Kultur Israels, die
einen Gründerboom
in dem Land antreibt.
Vita
Inbal Arieli