Focus - 09.11.19

(singke) #1
Foto:

Ella Ling/BPI/Shutterstock

*Ganz großes Tennis

FOCUS 46/2019 123


Die besten Tennisspieler der Welt treffen sich zur WM in London –
und endlich ist mit

Daniil Medwedew


ein Jungstar dabei,


der die großen alten Herren tatsächlich das Fürchten lehren kann


A


ls Alexander Zverev im ver-
gangenen November stolz
seinen Siegerpokal in Lon-
dons O2-Arena emporreck-
te, da wirkte es, als sei die
große Geschichte für das

Tennisjahr 2019 schon erzählt. Zverev,
der neue, der 21 Jahre junge ATP-Welt-
meister würde der mächtige Herausfor-
derer des Clubs der außergewöhnlichen
Gentlemen werden – der „Big Three“
mit Novak Djokovic, Rafael Nadal und
Roger Federer. Zwei von ihnen hatte
Zverev an jenem WM-Wochenende
hintereinander besiegt, erst Federer
in einem dramatischen Halbfinalduell,
dann noch Djokovic souverän im End-
spiel. Die lange herbeigesehnte, oft ver-
tagte Wachablösung der alten Meister,
sie schien nun ein Fall für den hochge-
wachsenen Hamburger zu sein. Für den
Mann, über den auch Maestro Federer
einmal gesagt hatte: „Er wird sicher
eines Tages die Nummer eins sein.“
Mitte Oktober 2019, viele schwere
Monate und viele unerklärliche Rück-
schläge später, stand Zverev dann im
Endspiel des Masters-Turniers von
Shanghai. Von der Aura des strahlen-
den Champions, des starken Gegen-
spielers der etablierten Superstars war
wenig geblieben, Zverev hatte sich in
diesem Herbst zwar wieder aufgerap





pelt aus einer tiefen Krise – doch auf der
anderen Seite des Netzes stand plötz-
lich einer, der Zverevs Rolle als Unru-
hestifter in der Weltspitze scheinbar
mühelos eingenommen hatte: Daniil
Medwedew, ein 23-jähriger Moskowi-

ter mit unberechenbarem Spiel und
Charakter. Ein Akteur, der seine Geg-
ner mit mathematischer Präzision, mit
allen möglichen Finten und Finessen
und zermürbender Hartnäckigkeit aus-
manövrierte. Und der inzwischen in
dieser Saison mehr Siege im Arbeits-
zeugnis stehen hatte als die Altvorde-
ren, die Ü30-Fraktion auf dem Gipfel.
Auch gegen Zverev gewann Medwe-
dew, es war schon sein zweiter Mas-
ters-Turniertriumph. Shanghai mar-
kierte den bestaunenswerten Höhe-
punkt seiner neuen Konstanz, schließ-
lich hatte er dort das sechste Endspiel
hintereinander erreicht. „Eins ist klar“,
sagte Tennis-Legende John McEnroe,
„Medwedew ist eine Riesenbelebung.
Ein Typ, ein Charakter. Einer, der mehr
bietet als nur Tennis.“
Auch Zverev, der noch amtierende
ATP-Champion, adelte den Konkur-
renten: „Er ist der beste Spieler der
Welt momentan.“ Also noch besser als
Djokovic, besser als Nadal und Federer.
Kein Wunder, dass der Aufsteiger jetzt
auch beim großen Saisonabschluss der
acht Besten in London als Mitfavorit
gehandelt wird, als Nachfolger des
Deutschen Zverev.
Dabei hatte den schlaksigen, etwas
linkisch wirkenden 1,98-Meter-Rie-
sen vor dieser Saison niemand auf der
Rechnung, als über die Tennis-Thron-
folge spekuliert wurde. Wenn Med-
wedew in die Schlagzeilen geriet,

29


Sekunden und vier Asse in
Folge dauerte eines seiner
Aufschlagspiele im Juni in
Stuttgart. Es ist der
inoffizielle Weltrekord

ОЧЕНЬ БОЛЬШОЙ ТЕННИС





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