TITEL
Fotos:
dpa (6), Markus C. Hurek für FOCUS-Magazin, ullstein bild
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- April 2005
Der Entertainer und
Ur-Berliner Harald
Juhnke stirbt. Seine
Vorstellung von Glück:
„Keine Termine und
leicht einen sitzen“
Mai 2005
Die renommiertesten
Berliner Galerien laden
erstmals am Gallery
Weekend zum
kostenlosen
Rundgang
- Dezember 2004
Es ist das Branden-
burger Tor der Techno-
Szene: Das „Berghain“
eröffnet und wird
zum kulturellen
Wahrzeichen - September 2004
Die Musikmesse
Popkomm findet
zum ersten Mal in
Berlin statt und
erlangt weltweite
Bedeutung
Sommer 2004
Der Berliner Techno
kommt ans Tageslicht:
Die „Bar 25“ am
Holzmarkt-Spree-
ufer ist die neue
Party-Location
- April 2004
Easyjet fliegt zum
ersten Mal den
Flughafen Schönefeld
an – gewissermaßen
eine Luftbrücke für
junge Feierwillige - Januar 2004
Das Beisheim Center
am Potsdamer Platz
ist fertiggestellt.
Es beherbergt unter
anderem das
„Ritz-Carlton“-Hotel
Gebäudespange für die Arbeit der Regie-
renden und der Parlamentarier. So ent-
stand in unserer neuen gesamtdeutschen
Bundeshauptstadt eine signifikante und
moderne Regierungsarchitektur, die in
Europas Hauptstädten ohne Beispiel ist.
Jürgen Leibfried: Die Spekulation war gren-
zenlos. Aber ich erinnere mich an ein Pro-
jekt in der Potsdamer Straße. Wir haben
damals 22 Millionen D-Mark dafür gebo-
ten, dann kaufte es ein Mitbewerber für
48 Millionen D-Mark und verkaufte es
zwei Wochen später für 75 Millionen. Und
dann ging’s aber 1994 steil nach unten.
Die Träume zerplatzten. Die Mietnach-
frage erlosch, die Leute haben die Stadt
verlassen, es gab einen Nettowegzug von
180 000 Einwohnern. Berlin schrumpfte.
Klaus Wowereit: Bis 1993 überwog noch die
Euphorie der Einheit, und dann begann
eine lange Phase der Ernüchterung.
Carsten Perka, 54,
Direktor des
Centrums für
Muskuloskeletale
Chirurgie an
der Charité Uni-
versitätsmedizin
Berlin. Er ist Arzt
Carsten Perka: Ich wuchs in Lübbenau im
Spreewald auf und kam 1991 als Assis-
tenzarzt an die Charité. Das war zuvor die
Vorzeigeklinik der DDR gewesen, aber zu
diesem Zeitpunkt, knapp nach der Wende,
spürte man Verunsicherung. Außerdem
war die Substanz teilweise angegriffen,
wie ja auch die Stadt noch viel zu viele
Brachflächen aufwies. Blickte man damals
aus dem Fenster des Bettenhochhauses
in Mitte, sah man zum Beispiel keinen
Hauptbahnhof, sondern einen S-Bahnhof
inmitten von Gestrüpp.
Andreas Murkudis, ewig
jung, erfand mit seinem
Concept Store
erst Mitte, dann die
Potsdamer Straße.
Verhandelt die
Regeln des guten
Geschmacks
Andreas Murkudis: Ich bin dann viel in den
Osten gefahren und habe erkundet, was
da so passiert. Das war auch der einzi-
ge Ort, wo man hingehen wollte, weil
da was Neues passierte. Es war alles
verfallen. Man konnte sich gar nicht
vorstellen, dass Leute so gelebt haben.
Das Ding war ja, die Leute hatten in der
DDR viel Zeit. Man hat immer gesagt,
sie waschen sieben Tage die Woche ihr
Auto, um einmal zu fahren. Aber warum
haben die nicht diese Häuser in Ord-
nung gebracht?
Udo Walz, 75,
ist der Promi-Friseur
Westberlins.
Mit Kundinnen
wie Marlene Dietrich,
Romy Schneider
und auch
der Kanzlerin
Udo Walz: Ich erinnere mich noch genau an
meinen ersten Besuch im „Borchardt“ im
Jahr 1992. Es war eines der ersten Loka-
le, die im Osten aufgemacht haben und
uns aus dem Westen anlockten. Wir waren
begeistert, sprachlos. Ich war einer der ers-
ten Gäste, hab damals meinen Geburtstag
dort gefeiert. Spektakulär.
Holger Friedrich: Das „Borchardt“ war die
Ausweitung der Westzone.
Cynthia Barcomi, 56,
Amerikanerin,
servierte in kulinari-
schem Brachland
Anfang der
Neunziger erstmals
Cheesecake und
guten Kaffee
Cynthia Barcomi: Der Kaffee in Berlin
schmeckte schrecklich. Es gab Kaffee in
Schüsseln, groß wie Eimer, mit einem hal-
ben Liter Milch drin, und der Cappuccino
wurde mit Sprühsahne und Schokostreu-
seln angerichtet. Und ich dachte nur: Hier
läuft was falsch, ich mache es jetzt anders,
und so eröffnete ich in der Bergmannstra-
ße in Kreuzberg 1994 die erste Barcomi’s
Kaffeerösterei.
Andreas Murkudis: Fast ein Jahr lang bin
ich in Mitte rumgelaufen und habe nach
einem passenden Laden gesucht. So bin
ich auf den Hof in der Münzstraße gekom-
men. Ich wollte mit dem Geschäft gar nicht
an der Straße sein. Es war viel besser, dass
die Leute mich entdecken und über diesen
kaputten Hof laufen mussten.
Leyla Piedayesh: Ich habe meinen ersten
eigenen Laden in Mitte gefunden. Sogar
relativ einfach. Man konnte sich das noch
leisten. Damals kostete der Quadratmeter
acht Euro, heute sind es zwischen 30 und
100 Euro. Die Eigentümer waren damals
noch nicht so gierig.
Andreas Murkudis: Dann kamen die Künst-
ler.
Jonas Burgert: Sehr viele interessante Leute
waren in der Stadt. Sie füllten das Vaku-
um mit ihren Ideen. Man kann sich das
heute nicht mehr vorstellen, aber in Mit-
te standen viele Wohnungen leer – und
abends flackerten in den Höfen die Feuer,
weil die Leute die alten Möbel aus dem
Fenster warfen und unten verbrannten.
Es wurde buchstäblich Platz geschaffen
für Neues. An diesen Feuern saßen Leute
aus der ganzen Welt. In diesen Nächten
ist die Kunstszene entstanden, die heute
so bedeutend ist für Berlin. Kunst braucht
Platz und Freiheit. Und beides war nach
dem Mauerfall im Überfluss vorhanden.
Stephan Landwehr: Da alle meine Freunde
ohnehin irgendwas mit Kunst machten,
lag es nahe, dass ich auch was mit Kunst
mache. Erst habe ich in den Ateliers von
Karl Horst Hödicke und Helmut Midden-
dorf gearbeitet, war Mädchen für alles,
dann kam die Sache mit den Rahmen dazu:
Anfangs fuhr man zu Leisten-Beyer, um
dort abgerundete Fußleisten zu holen, die
wurden an die Bilder rangenagelt, schwarz
gestrichen, fertig war die Künstlerrah-
mung. Dass daraus irgendwann eine Fir-
ma werden würde, hätte ich nie gedacht –
damals musste man ja nicht groß Geld
haben, um in Berlin glücklich zu sein.
Norbert Bisky, 49, saß
während des Mauerfalls
in einem Bunker der
NVA und wurde trotz-
dem einer der wichtigs-
ten deutschen Maler
Easyjet Harald Juhnke