Focus - 09.11.19

(singke) #1

FOCUS 46/2019 53


Der Slogan auf den Plakaten für „The
Social Network“ im Jahr 2010 lautete:
„Du kannst keine 500 Millionen Freun-
de haben, ohne dir ein paar Feinde zu
machen.“ Nur neun Jahre später hört
sich diese Zahl fast niedlich an, denn
inzwischen wird Ihre Website von einem
Drittel der gesamten Menschheit genutzt.
Und genau jetzt findet sich auf dieser
Website eine Anzeige, in der behauptet
wird, Joe Biden habe dem ukrainischen
Generalstaatsanwalt eine Milliarde Dol-
lar gegeben, damit er kein Verfahren
gegen seinen Sohn einleitet. Jeder Qua-
dratzentimeter davon ist gelogen, und
groß darüber steht Ihr Logo. Das ist kei-
ne Verteidigung der Meinungsfreiheit
mehr, Mark, das ist ein Angriff auf die
Wahrheit.


Verantwortlich für Fake News


Sie und ich wollen die freie Rede schüt-
zen, damit niemand ins Gefängnis
kommt, wenn er etwas Unbequemes sagt
oder schreibt. Aber wir wollen nicht, dass
Lügen ungehindert ans amerikanische
Wahlvolk gelangen.
Nachdem das Drehbuch für „The So-
cial Network“ die Prüfung in der Rechts-
abteilung von Sony überstanden hatte,
schickten wir es – wie zuvor per Hand-
schlag vereinbart – an eine Gruppe von
Spitzenkräften in Ihrem Unternehmen
und luden sie ein, es zu kommentieren
(unter anderem wurde ich gefragt, ob
ich den Namen der Harvard-Universität
ändern könne und ob Facebook unbe-
dingt Facebook heißen müsse).
Als der Film dann gedreht war, arran-
gierten wir die private Vorführung einer
frühen Fassung für Sheryl Sandberg, Ihre
Chief Operating Officer. Mitten im Film
stand sie auf, wandte sich an die Produ-
zenten, die hinten im Raum standen, und
sagte: „Wie nur könnt ihr das einem Kind
antun?“ (Sie waren damals 26 Jahre alt,
aber okay, ich verstehe, was sie meinte).
Ich hoffe, dass Ihre COO in Ihr Büro
kommt, sich zu Ihnen hinüberlehnt (wie
sie es in ihrem Bestseller-Buch empfiehlt)
und sagt: „Wie können wir das zig Millio-
nen Kindern nur antun? Wollen wir wirk-
lich eine Anzeige veröffentlichen, laut
der Kamala Harris im Keller einer Pizze-
ria Hundekämpfe veranstaltet, während
Elizabeth Warren Belege dafür vernich-
tet, dass der Klimawandel ein Schwin-
del ist, und ein bürokratischer Staat im
Staat Chrystal Meth an Rashida Tlaib und
Colin Kaepernick verkauft?“


Noch – ich sage: noch – gibt es kein
Gesetz, das die Anbieter nutzergene-
rierter Internet-Inhalte für diese auch so
verantwortlich macht wie Filmstudios,
TV-Sender sowie Buch-, Zeitungs- und
Zeitschriftenverlage. Fragen Sie ein-
fach Peter Thiel. Der hat eine Reihe
von Klagen gegen den Klatsch-Blog
„Gawker“ finanziert, darunter eine
wegen Störung der Privatsphäre, die
dazu führte, dass die Seite Insolvenz
anmelden musste und später geschlos-
sen wurde (Sie haben Thiels Nummer
sicher in Ihrem Telefon gespeichert,

denn er war ein früher Investor bei Face-
book).
Die meisten Menschen können es sich
nicht leisten, eine Armee von Fakten-
checkern loszuschicken. Doch als Sie
vor zwei Wochen vor einem Kongress-
ausschuss aussagten, fragte die Abge-
ordnete Alexandria Ocasio-Cortez Sie
Folgendes: „Sehen Sie ein potenziel-
les Problem in einem völligen Verzicht
auf Faktenchecks bei politischer Wer-
bung?“ Als sie dann weiter drängte
und wissen wollte, ob Facebook Lügen
löschen würde oder nicht, antworteten
Sie: „Frau Abgeordnete, ich denke, in
den meisten Fällen sollten Menschen
in einer Demokratie in der Lage sein,
selbst zu erkennen, was die Politiker,
die sie wählen wollen oder nicht, sagen
und wie ihr Charakter ist.“
Und das sagen Sie erst jetzt? Wenn ich
gewusst hätte, dass Sie so denken, wäre
mir lieber gewesen, die Winklevoss-Zwil-
linge hätten Facebook erfunden. n

Oscar-Autor
Aaron Sorkin bekam für
„The Social Network“
2011 den Drehbuchpreis.
Insgesamt gewann
David Finchers
Film drei Oscars

Schmutzkampagne
Ein Video des Trump-Lagers behauptet,
Konkurrent Joe Biden habe versucht, die
ukrainische Regierung zu bestechen

AUSLAND

Der Drehbuchautor Aaron Sorkin, 58,
ist spezialisiert auf gesellschaftspolitische Stoffe.
Er entwickelte auch die Serie „The West Wing“ über
den Regierungsalltag im Weißen Haus
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