WISSEN
Fotos:
Turpin/Le Figaro Magazine/laif, Frank Peter, J. Kuhl/Motta/Wissler/MPI for Brain Research
80 FOCUS 46/2019
Hilfe für das Gedächtnis, Abwehr böser Träume: Die Medizin entdeckt
das therapeutische Potenzial der Nachtruhe
Der Schlaf, dein Freund und Trainer
D
as Bett ist breit, die Wäsche
kuschelig, und doch befin-
det sich der Schläfer in
einem Krankenhaus. Außer-
dem haften Elektroden an
seinem Kopf, und leise Töne
begleiten ihn durch die Nacht. Kann
der Mensch unter diesen Bedingungen
normal schlafen? „Ja“, versichert Anja
Hansen, Doktorandin am Zentrum für
Integrative Psychiatrie am Universitäts-
klinikum Schleswig-Holstein in Kiel.
„Unsere Versuchspersonen schlafen
eine Nacht mit der gesamten Technik
zur Probe.“ Danach hätten sich die meis-
ten an Kabel und Kopfhörer gewöhnt.
Hansen, 33, leitet einen Versuch,
der das Gedächtnis psychisch kran-
ker Menschen verbessern soll. Ausge-
prägte Gedächtnisschwäche zählt zu
den Symptomen verschiedener Leiden,
darunter der Schizophrenie. Indem
sie den Schlaf ihrer Probanden beein-
flussen, hoffen die Ärzte auf einen
Behandlungseffekt. Dass die Metho-
de gleichzeitig neue Möglichkeiten
des Hirndopings für Gesunde eröffnet,
sagen sie eher hinter vorgehaltener
Hand – das Internet sei ohnedies voll
von übertriebenen Erfolgsberichten.
Den Tiefschlaf vertiefen
Schlafmodulation zu therapeutischen
Zwecken ist eines der zentralen The-
men auf der an diesem Wochenende in
Hamburg stattfindenden Jahrestagung
der Schlafmediziner. Zu
den Debattenthemen
zählt der Test in Kiel.
Anja Hansen und ihre Kolle-
gen erproben „Auditory Closed
Loops“, geschlossene Hörkreisläufe.
Zunächst verfolgen die Wissenschaft-
ler im Labor die Hirnströme des Schlä-
fers. Elektroden registrieren die Regun-
gen der Nerven, Monitore machen sie
sichtbar. Bei den meisten Menschen
dauert es eineinhalb Stunden, bis die
Ströme die Frequenz von Deltawellen
erreichen, die den traumlosen Tiefschlaf
charakterisieren. Nun wird ein speziel-
les Audioprogramm ge-
startet. Es leitet etwa
zwei Sekunden dau-
ernde brummende Tö-
ne, maximal 55 Dezi-
bel laut, in regelmä-
ßigen Abständen in
die Gehörgänge des
Schläfers.
„Der Impuls erhöht
die Amplitude der Delta-
wellen“, beschreibt Han-
sen die Wirkung. Dadurch wird
der Tiefschlaf vertieft. Das fördert die
Merkfähigkeit, denn, so Hansens Chef,
der Psychiater Robert Göder: „Diese
Art von Schwingungen sind entschei-
dend für die Gedächtnisbildung.“
Ähnliche Ziele verfolgen die Kie-
ler Forscher mit der transkraniellen
Gleichstromstimulation. Dabei lei-
ten sie schwache Stromimpulse über
Elektroden durch den Schädelknochen
Stimmungsmacher
Robert Göder, Oberarzt an
der Universitätsklinik für
Psychiatrie und Psycho-
therapie in Kiel, setzt
helles Licht gegen Win-
terdepression ein