Die Welt Kompakt - 18.11.2019

(Tina Sui) #1
KOMMENTAR

DANIEL FRIEDRICH STURM

Trump ist


fest im Sattel


V


iele, viele Stunden wird der
Geheimdienstausschuss des
Repräsentantenhauses auch
in der kommenden Woche öffent-
lich Zeugen befragen. Wieder sind
wohlverdiente Regierungsbeamte in
den Kongress geladen, auch sie
werden über das Agieren des ame-
rikanischen Präsidenten und seines
Umfeldes berichten, dass man den
eigenen Ohren kaum trauen mag.
Und dann? Trotz einer professio-
nellen Führung der Ausschuss-
termine durch den Vorsitzenden
Adam Schiff, trotz des klugen Ver-
haltens Nancy Pelosis, trotz der
fffrappierenden Aussagen der Zeugenrappierenden Aussagen der Zeugen
haben die Demokraten bisher kei-
nen Honig aus den öffentlichen
AAAnhörungen saugen können.nhörungen saugen können.
AAAuch wenn im Volk die Zustim-uch wenn im Volk die Zustim-
mung zu einem möglichen Amts-
enthebungsverfahren gegen Donald
Trump steigt, so bleiben die Fron-
ten zwischen den beiden politi-
schen Lagern verhärtet, ja völlig
voneinander abgekapselt. Die De-
mokraten neigen zu einem Impe-
achment, das ja noch immer nicht
ffformal beschlossen ist. Die Republi-ormal beschlossen ist. Die Republi-
kaner sind strikt dagegen.
WWWenn es noch eines Beweisesenn es noch eines Beweises
bedurft hätte, wie der einstige Au-
ßenseiter Trump sich die republika-
nische Partei untertänig gemacht
hat, dann war es deren felsenfeste
VVVerteidigung des Präsidenten. Inerteidigung des Präsidenten. In
Demokratien aber werden Regie-
rungschefs meist von der eigenen
Partei gestürzt. Für einen schwin-
denden Rückhalt Trumps bei den
Republikanern aber gibt es, Stand
heute, keine Anzeichen. Der vor
einigen Wochen vernehmbare in-
terne Widerstand gegen seine Sy-
rien-Politik etwa ist wieder völlig in
sich zusammengebrochen.
Die Demokraten wiederum tun
sich trotz der Verfehlungen des
Präsidenten – und seiner neuerli-
chen Ausfälle – schwer, ihn zu pa-
cken. Trumps jüngste unmögliche
AAAttacken auf die staubtrockenen,ttacken auf die staubtrockenen,
hoch loyalen Regierungsbeamten
mögen Washington bewegen, Wyo-
ming indes wohl weniger. Der Rück-
halt für Trump ist stabil, auch wenn
die Wirtschaft an Dynamik verliert.
Die Demokraten hielten Trump
zunächst ein „quid pro quo“ im
Umgang mit dem ukrainischen
Präsidenten vor, jetzt sprechen sie
von Bestechung. Dieser Kampf um
WWWorte symbolisiert ihren Kampforte symbolisiert ihren Kampf
um Deutungshoheit, den sie noch
lange nicht gewonnen haben. Der-
weil wächst bei ihnen der Unmut
üüüber die eigenen Kandidaten, dieber die eigenen Kandidaten, die
Trump 2020 herausfordern wollen.
Selbst Barack Obama warnt vor
deren linkem Flügel. All das spielt
Trump in die Hände. Wladimir
Putin dürfte derzeit gut schlafen
können.
[email protected]

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,18.NOVEMBER2019 FORUM 15


G


egen das Wetter, das in der
letzten Woche Venedig drei
verheerende Hochfluten
bescherte, ist die Politik
natürlich machtlos. Doch in
das Entsetzen der Italiener über eines der
schlimmsten Hochwasser der Geschichte
mischte sich Wut auf die politische Klasse.
Schließlich ist es auch politischer Korrup-
tion und Untätigkeit zu verdanken, dass
der lange geplante und mit gut sechs
Millionen Euro finanzierte „Mose“-Deich
gegen das „acqua alta“ nicht funktions-
fffähig war.ähig war.
Nun hat die Wut auf die herkömm-
lichen Politiker in Italien seit zwei Jahren
die Protestpartei Movimento 5 Stelle
(Fünf-Sterne-Bewegung) an die Macht
gebracht. Doch die Newcomer mit einem
knappen Drittel der Stimmen bei den
letzten Wahlen sind in den Umfragen
aaauch nach ihrem Koalitionswechsel rapideuch nach ihrem Koalitionswechsel rapide
aaabgesunken. Ob die 5 Stelle mit dem zu-bgesunken. Ob die 5 Stelle mit dem zu-
wanderungskritischen Legisten Matteo
Salvini regierten oder wie jetzt mit ihren
alten Erzfeinden, den linksliberalen Polit-
profis vom Partito democratico – sie wir-
ken auch unter ihrem ausgleichenden
Premier Giuseppe Conte nicht mehr son-
derlich populär.
Der hatte dem leidenden Venedig die
baldige Fertigstellung des Mobildeiches
versprochen; dabei hatten sich die anar-
chischen 5 Stelle traditionell gegen staatli-
che Großprojekte – wie etwa auch die
umstrittene Bahnlinie Lyon-Turin – po-
sitioniert. Kann mit einer Regierungs-
partei, die auch die Renovierung der spä-
ter eingestürzten Autobahnbrücke von
Genua vehement abgelehnt hatte, wirklich
die logistische Erneuerung Italiens gelin-
gen? Der Streit in der Notregierung zwi-
schen den europhilen Linken und den
euroskeptischen Graswurzlern zieht sich
jedenfalls durchs Tagesgeschäft, ob es um
einen Haushalt in den Normen der EU
geht oder um ein riesiges Stahlwerk im
apulischen Taranto, das zwischen massi-
ver Umweltverschmutzung und Schlie-
ßung oszilliert.
Kann eine aus der Not geborene Re-
gierung die Not Italiens mildern? Die
Sklerose der gemäßigten, europafreundli-
chen Linken sowie das Abschmelzen der
aaaufsässigen Fünf-Sterne-Systemverände-ufsässigen Fünf-Sterne-Systemverände-
rer unter ihrem oft überforderten Par-
teichef Luigi Di Maio – scheint bis heute
der einzige Daseinsgrund für diese merk-
wwwürdige Koalition. Beide Partner habenürdige Koalition. Beide Partner haben
gigantische Angst vor Neuwahlen, die
derzeit mit großer Wahrscheinlichkeit
eine rechte Allianz unter einem Trium-
phator Salvini an die Macht brächten.
Zuletzt endeten die Regionalwahlen in
Umbrien, bei denen die beiden nationalen
Koalitionäre mit einem Bündnis angetre-
ten waren, in einem Desaster, und die
Rechten lagen in einem tiefroten Stamm-
land bei knapp 60 Prozent.
In den Augen vieler Italiener bedeutet
das einen Erdrutsch, als hätte in Bremen
die AfD eine Mehrheit errungen. Ist es da
ein Wunder, wenn sich nun sogar konser-


vative Kardinäle offen dem obersten Salvi-
ni-Kritiker, Papst Franziskus, entgegen-
stellen und meinen, man müsse mit die-
sem Mann in Zukunft rechnen? Anstatt
nun wenigstens in Rom mit neuen Ini-
tiativen Vertrauen aufzubauen, stolpert
Italiens Notkoalition von einer Verlegen-
heit in die nächste. Wenig überraschend,
dass Premier Giuseppe Conte beim gro-
ßen Manöver nicht vorankommt, einen
aaausgeglichenen Haushalt aufzustellen.usgeglichenen Haushalt aufzustellen.
Wie es mit wichtigen Infrastruktur-
projekten, etwa der Schnellzugverbindung
LLLyon-Turin, weitergeht, weiß auch nie-yon-Turin, weitergeht, weiß auch nie-
mand so recht, denn die Fünf-Sterne-
Bewegung war einst gegen diese Presti-
geprojekte auf die Straße gegangen. Schon
tönte Parteichef Di Maio, dass es nie wie-
der zu einem Wahlbündnis mit der Linken
kommen werde. Wahrscheinlich benötigt
er ohnehin kein Bündnis mehr, um bei
den nächsten Wahlen die Macht grandios
zu verlieren. Während ausgerechnet die
linke Tageszeitung „La Repubblica“ in
Rom eine „Regierung ohne Seele“ am
WWWerk sieht und viele Beobachter vonerk sieht und viele Beobachter von
Neuwahlen im Februar munkeln, kann der
aaausgebootete Salvini die Selbstzerlegungusgebootete Salvini die Selbstzerlegung
der Regierung mit spöttischen Worten
begleiten. Er weiß, dass nicht einmal die
von den Wählern abgestraften Links-
demokraten einig in einen Wahlkampf
ziehen würden. Der von den eigenen Leu-
ten abservierte Expremier Matteo Renzi
von der PD fällt seinem Parteichef Nicola
Zingaretti immer wieder in den Rücken.
Der letzte linke Premier, Paolo Gentiloni,
hat sich auf den Posten eines EU-Kom-
missars nach Brüssel gerettet.
Und keiner der prominenten PD-Mi-
nister, die in Rom amtieren, hat sich in
dieser Konstellation den Wählern stellen
müssen. Wenn der medial allgegenwärtige
Matteo Salvini die gegenwärtige Koalition
als undemokratisch bezeichnet und „Ver-
rat am Wähler“ wittert und twittert, ge-
ben ihm viele Landsleute recht. Salvini
tingelt im Vorfeld diverser Regionalwah-

Schmerzhafte


Realität


Gesundheits- und


Bildungssystem
dysfunktional, Justiz

ineffizient, horrende


Steuern: Italien muss sein
politisches System

grundlegend reformieren,


wie die Flut in Venedig
zeigt. Die dringend

nötigen Reformen stehen


jedoch bei keiner Partei
auf dem Programm

DIRK SCHÜMER

LEITARTIKEL


len mit der Idealbotschaft des National-
konservativen durch die Lande, natürlich
aaauch zum überschwemmten Markusplatz.uch zum überschwemmten Markusplatz.
Das Establishment, allen voran die Eu-
ropäische Union, habe ihn und die Seinen
aaaus der Regierung verdrängt. Und so in-us der Regierung verdrängt. Und so in-
szeniert sich der rabiate Mailänder als
Hoffnungsträger gegen eine überforderte
Krisenregierung.
Doch tief im Innern dürfte Salvini froh
sein, dass er nicht als Innenminister
WWWahlkampf machen muss. Denn auch erahlkampf machen muss. Denn auch er
kann Italiens Wirtschaft im Korsett der
starken Eurowährung ohne Kompromisse
mit Brüssel und der Frankfurter Zentral-
bank nicht beleben. An den Bootsmigran-
ten im Mittelmeer erweist sich zudem die
ganze Heuchelei der gegenwärtigen Poli-
tik. Einerseits versucht auch Salvinis
Nachfolgerin, Innenministerin Luciana
Lamorgese, einen dubiosen Pakt mit den
Machthabern in Libyen zu verlängern, der
die Migranten vom Meer fern-, dafür aber
oft in libyschen Lagern festhält. Die Linke
kann die Bilder mit Booten voller junger
AAAfrikaner, die Salvini immer neue Wählerfrikaner, die Salvini immer neue Wähler
zutreiben, nicht gebrauchen. Andererseits
weiß auch Salvini, dass nicht alle „Illega-
len“ in Bettelei, Drogenhandel und Pros-
titution landen, sondern längst eine wich-
tige Funktion als billige Arbeitskräfte in
Italiens Wirtschaft einnehmen – von den
miserabel bezahlten Erntehelfern im Sü-
den bis zu den oft schwarz beschäftigten
Handlangern in den Kleinfabriken des
Nordens. Einmal an der Regierung, muss
Salvini politische Lösungen und Allianzen
fffinden und wird dabei ähnliche Problemeinden und wird dabei ähnliche Probleme
bekommen wie die jetzige Regierung.
WWWas in Rom derzeit an Politik gemachtas in Rom derzeit an Politik gemacht
wird, erinnert daher an ein Schattenboxen
zzzwischen rechts und links. In Wahrheitwischen rechts und links. In Wahrheit
müssten alle Parteien zugeben, dass nicht
nur das politische System mit überteuer-
ten Abgeordneten und einer grotesk auf-
geblasenen Verwaltung dringend refor-
miert gehört, sondern dass alle Bürger zu
einer Erneuerung ihres Staatswesens
beitragen müssen. Die Misere von Venedig
ist da nur das aktuellste, wenn auch
schlimmste Indiz. Dringender Reformbe-
darf besteht beim dysfunktionalen Ge-
sundheitssystem, bei der Bildung, beim
ineffizienten Justizapparat und vor allem
bei den Abgaben, welche die ehrlichen
Steuerzahler schröpfen und die Schwarz-
geldwirtschaft blühen lassen. Oder wie am
Samstag eine Delegation die Fußball-
nationalmannschaft in Gummistiefeln als
Zeichen der Solidarität auf den Markus-
platz zu schicken.
AAAlle Parteien ahnen, dass die Italienerlle Parteien ahnen, dass die Italiener
sich diesen schmerzhaften Mammut-
aaaufgaben nicht stellen wollen. Da ist esufgaben nicht stellen wollen. Da ist es
viel leichter, auf Migranten zu schimpfen


  • oder sie einfach planlos ins Land zu
    lassen. Da kann ein Salvini Wahlen gewin-
    nen mit nationalen Schimpfkanonaden auf
    Brüssel oder Paris oder Berlin – und seine
    Widersacher hoffen, sich von Brüssel aus
    der Patsche helfen zu lassen. Große,
    schmerzliche Umbauarbeiten des Landes
    stehen jedoch bei keiner Partei auf dem
    Programm. Derweil geht die Wirtschafts-
    krise Italiens ins zehnte Jahr. Und bei
    vielen Bürgern wächst die Erkenntnis,
    dass alle Parteien – ob links, ob rechts, ob
    antipolitisch – von einer Wirklichkeit
    üüüberfordert sind, die sie selbst mit ge-berfordert sind, die sie selbst mit ge-
    schaffen haben. In einem Land, dessen
    schönste Stadt immer noch unter Wasser
    steht, wirken selbst politische Erdbeben
    und Sensationen zunehmend einerlei.
    [email protected]

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