2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,18.NOVEMBER
Meer eingereisten Migranten zu-
rück in die Türkei abschieben.
Vieles davon wurde nie Realität.
AAAthen schiebt kaum ab, die Men-then schiebt kaum ab, die Men-
schen hängen teils Jahre auf Les-
bos, Samos, Kos und Chios fest.
Und wenn der türkische Staats-
präsident Recep Tayyip Erdogan
gerade mal wieder mit den EU-
Staatenlenkern im Clinch liegt –
so wie aktuell wegen des Einmar-
sches in Syrien, dann droht er da-
mit, „die Schleusen“ zu öffnen,
wie er es nennt. Tatsächlich deu-
ten vertrauliche Dokumente der
EU-Kommission, die WELT vor-
liegen, darauf hin, dass die Türken
durchaus Abfahrten unterbinden
können. „Die türkische Küstenwa-
che setzt ihre aktiven Patrouillen
fffort“, heißt es in einem Berichtort“, heißt es in einem Bericht
von Anfang November. Allein Ok-
tober habe die türkische Küsten-
wache 11.856 Personen an der Ab-
fffahrt gehindert oder vor derahrt gehindert oder vor der
Grenzüberquerung abgefangen –
ein neuer Höchstwert. Bloß: Ge-
ben die Türken wirklich ihr Bes-
tes? Europäische Polizisten auf
Lesbos berichten, dass sie häufig
tagelang kein einziges Schiff der
türkischen Küstenwache sähen.
Die Lage in der Ägäis hängt so
nicht zuletzt von politischen
Spielchen ab – ausgetragen auf
dem Rücken der Menschen, die
fffliehen, weil zuhause Krieg ist,liehen, weil zuhause Krieg ist,
oder weil die wirtschaftlichen Aus-
sichten in Europa verlockend sind.
Die Biographien der Menschen,
die man in der Nacht von Don-
nerstag auf Freitag an Bord holt,
werden auf dem Frontex-Schiff
nicht näher erörtert. Aus Kabul kä-
men sie alle, mehr ist nicht zu er-
fffahren. Sie sind erschöpft, durstigahren. Sie sind erschöpft, durstig
und hungrig. Kurz bevor der Kapi-
tän den Hafen von Ska im Norden
der Insel ansteuert, fragt ein etwa
1 5 Jahre altes Mädchen: „Wo sind
wir?“ „Lesbos“, sagt ein Beamter.
Das Mädchen zuckt mit den Schul-
tern. Aber den Menschen ist klar,
dass sie es geschafft haben. Kurz
vor dem Andocken löst sich die
Anspannung, die Kinder winken.
Es ist kurz vor zwei Uhr, die
Nacht ist schwarz. Die Frontex-
Crew spritzt das Boot mit einem
Schlauch ab, ein Beamter zerhackt
das Schlauchboot, das sie hinter
sich hergezogen hatten. Dann ma-
chen sich die Portugiesen auf den
Weg zurück in die Einsatzzone,
die Schicht dauert bis zum Mor-
gengrauen. Sechs Boote entde-
cken sie. Die Migranten bleiben
im Hafen, Helfer wickeln sie in
Decken und drücken ihnen Kekse
in die Hand. Über Nacht bleiben
sie in einer Turnhalle, am Tag da-
nach geht es per Bus in den Süden
- nach Moria. Hier liegt das be-
kannteste Migrantenlager Euro-
pas. Bekannt, weil es schrecklich
ist, hier sein Dasein zu fristen.
Das Camp bietet Platz für 2500
Menschen, aber 15.000 sind hier,
40 Prozent davon Minderjährige.
Am Freitag steht eine alleinrei-
sende Mutter vor dem Tor, auch
sie war am Tag zuvor aus dem
Meer gerettet worden. Mit ihren
sieben Kindern. Wenn es gut läuft,
wird man ihr ein Zelt geben, und
dann kann sie sich einen freien
Platz auf dem Berg neben dem La-
ger suchen, zwischen Olivenhai-
D
ie Nacht ist pech-
schwarz, links die
Lichter der Türkei,
rechts die der grie-
chischen Insel Lesbos, weniger
als zehn Kilometer voneinander
entfernt. Das Schnellboot der
Küstenwache brettert über das
Meer, 35 Knoten, Richtung Osten,
ohne Licht. Der Kapitän hält per
Infrarotkamera Ausschau nach ei-
nem „verdächtigen Objekt“, das
seine Leute auf dem Radar ent-
deckt hatten. Und dann taucht da
plötzlich ein Fleck im Wasser auf,
links vom Bug, 50 Meter entfernt.
Vollbremsung, Flutlicht.
VON TIM RÖHN
UND CHRISTOPH B. SCHILTZ
MYTILINI UND BRÜSSEL
Der Punkt in der Dunkelheit
wandelt sich zu einem mäßig auf-
gepumpten Schlauchboot, ein
winziger Motor schiebt es lang-
sam in Richtung griechische Küs-
te. An Bord: 40 Menschen, zehn
Frauen, acht Kinder, zwei Babys,
eines davon erst wenige Wochen
auf der Welt. Ein Ehepaar um die
- Der Rest Männer. Weit aufge-
rissene Augen. Erschrockene, ver-
ängstigte Mienen. Keine einzige
Schwimmweste. Ein Mädchen
mit nackten Füßen. „Motor aus!“,
brüllt ein Beamter: „Wir sind hier,
um euch zu helfen. Spricht je-
mand Englisch?“ Ein Mann
springt auf: „Wir wollen nach
Griechenland!“, ruft er. Seit fünf
Stunden sei man auf dem Meer.
Die Menschen haben Glück: Sie
wwwurden entdeckt, und die Küsten-urden entdeckt, und die Küsten-
wache nimmt sie an Bord. Es sind
Portugiesen, die im Auftrag der
europäischen Grenzschutzbehör-
de Frontex im Meer zwischen der
Türkei und Griechenland patrouil-
lieren. Einer von ihnen sagt: „Wir
haben schon so viele Menschen
gerettet, ich habe aufgehört, zu
zählen. Es ist Normalität.“ Entde-
cken seine Leute ein Boot in grie-
chischen Gewässern, rasen sie los,
um die Insassen aus dem Wasser
zu holen. Sichten sie eines in tür-
kischen Gewässern, alarmieren sie
die Beamten im Nachbarland.
AAAber diesen Anruf könne man sichber diesen Anruf könne man sich
oft auch sparen, sagen sie – weil
die Türkei selten reagiere. Seit
Monaten können Migrantenboote
an der türkischen Küste in der Os-
tägäis wieder ziemlich ungehin-
dert ablegen und Griechenland
ansteuern. Allein in den Monaten
Juli bis Oktober kamen 35.
Menschen über das Meer, so viele
wie im gesamten Jahr 2017. Nach
einem kurzen Einbruch der Zah-
len wurden in den vergangenen
Tagen und Wochen erneut deut-
lich mehr Ankünfte verzeichnet.
In der Hauptstadt Athen sprechen
sie von Zuständen, die an 2015 er-
innern, an das Jahr der großen Kri-
se. Der Unterschied zu damals:
Heute gibt es den EU-Türkei-Deal,
mit dem sich Ankara gegen die
Zahlung von sechs Milliarden Eu-
ro dazu verpflichtet hat, seine
Grenzen dichtzumachen und sich
selbst um die Migranten zu küm-
mern. Einzig Syrer sollten in die
EU gelassen werden, per sicherer
Einreise. Im Gegenzug wollte
Griechenland alle illegal übers
Migranten, die nach
Lesbos kommen,
landen im Elend.
Und niemand weiß,
für wie lange. Nun
droht dem Camp
ein kalter Winter
Die
Verlassenen
Eine Gruppe aus Afghanistan wird von Frontex-Grenz-
schützern gerettet (oben). Die Männer, Frauen und
KKKindern werden ins Camp Moria gebracht (unten)indern werden ins Camp Moria gebracht (unten)