Bild - 18.11.2019

(backadmin) #1
Fortsetzung von Seite 1

Von ANDREAS
THEWALT

Berlin – Die Angst vor Die Angst vor
Armut im Alter greift Armut im Alter greift
immer weiter um sich:
Was, wenn die Rente Was, wenn die Rente
nicht zum Leben reicht?
Und: Was kann ich tun, Und: Was kann ich tun,
damit es nicht so weit
kommt? Mehr als jeder kommt? Mehr als jeder
zweite Deutsche fragt zweite Deutsche fragt
sich das heute. Was Exsich das heute. Was Exsich das heute. Was Ex--
perten und Politiker troperten und Politiker tro-
cken „Versorgungslücke“ cken „Versorgungslücke“
nennen, ist das Schrecknennen, ist das Schrecknennen, ist das Schrecknennen, ist das Schreck--
gespenst der heutigen gespenst der heutigen
Gesellschaft.

18,25 Millionen
Männer und
Frauen haben
Ende 2018 in
Deutschland
Rente bezo-
gen. Und die
Zahl wächst.
Weil die Men-
schen immer äl-
ter werden, beziehen
sie immer länger Rente.
Das Geld wird knapp. Zu-
letzt lag die Durchschnitts-
Rente in Deutschland bei
906 Euro (Männer 1148 Eu-
ro, Frauen 711 Euro) – bei
deutlichen regionalen Un-
terschieden.
Nächstes Jahr steigen

die Renten zwar
wieder um gut
3 Prozent.
Aber wie lan-
ge noch? Und
wer soll heu-
te noch ange-
sichts massiv
steigender Miet-
und Energiepreise
mit 900 Euro im Monat
klarkommen? Miete zahlen


  • und dann bei der „Ta-
    fel“ für Lebensmittel anste-
    hen? Pfandflaschen sam-
    meln? Einfach nicht mehr
    vor die Tür gehen?
    Im ersten Teil der neu-
    en Renten-Serie klärt
    BILD auf: Was ist, wenn


meine Rente nicht reichen
wird?
„Alle ernst zu nehmen-
den Experten sind sich ei-
nig, dass die Altersarmut
in Deutschland zunehmen
wird“, sagt Markus M.
Grabka vom Deutschen
Institut für Wirtschafts-
forschung (DIW) zu BILD.
„Wer nicht konsequent ei-
ne ergänzende Altersvorne ergänzende Altersvorne ergänzende Altersvor--
sorge betreibt, wird im Ru-
hestand teils beachtliche
Versorgungslücken ha-
ben“, warnt Grabka.
Laut Studien von Ber-
telsmann-Stiftung und DIW
könnten in 20 Jahren 21,
Prozent der Rentner von
Altersarmut bedroht sein.
Jedem zweiten der heu-
te 55- bis 64-jährigen Er-
werbstätigen werden
nach Renteneintritt rund
700 Euro fehlen!
Wer z.B. für seine Arbeit
nur den gesetzlichen Min-
destlohn bekommt, hat
praktisch keine Chance,
auf eine Rente oberhalb
des Niveaus der Grund-
sicherung im Alter (2018:
814 Euro), wie die Sozial-
hilfe für Rentner heißt.
Dafür nötig wäre ein
Stundenlohn von 12,
Euro brutto über 45 Jah-
re Vollzeit-Beschäftigung
(38,5-Stunden-Woche),
sagt die Bundesregierung.
Jetzt liegt der Mindestlohn
bei 9,19 Euro.
Klar ist: Wer im Alter
nur über seine gesetzli-
che Rente verfügt, muss
seinen privaten Konsum

massiv einschränken.
Den Absturz in Armut
soll die Grundsicherung
im Alter verhindern. Sie
entspricht im Prinzip der
Sozialhilfe. Der Bedarf
wird von den Sozialäm-
tern geprüft. Einkommen
und Vermögen sind kom-
plett offenzulegen.
Wichtiger Unterschied
zur Sozialhilfe: Ein Kind
wird bei der Grundsiche-
rung im Alter zum Unterrung im Alter zum Unterrung im Alter zum Unter--
halt seiner Eltern nur herhalt seiner Eltern nur herhalt seiner Eltern nur her--
angezogen, wenn es über
ein jährliches Gesamtein-
kommen von mindestens
100 000 Euro verfügt.
Die Rentenversicherung
rät: Wer ein Einkommen
von weniger als 865 Eu-
ro hat, sollte vom Sozial-
amt prüfen lassen, ob er
Anspruch auf Grundsiche-
rung hat.
Die GroKo hat sich jetzt
auf die Grundrente geei-
nigt. Nur das Einkommen
soll geprüft werden, nicht
das Vermögen. Profitieren
sollen ab 2021 Menschen,
die 35 Jahre lang gearbei-
tet haben.
Trotzdem: Nur die we-
nigsten werden allein mit
der gesetzlichen Rente ih-
ren Lebensstandard hal-
ten können. Wer kein üp-
piges Erbe zu erwarten
hat, dem hilft nur Privat-
Vorsorge, also Sparen.
Die große Frage: Wie
spart man, wenn man
kaum was über hat –
und es praktisch keine
Zinsen gibt?

Gabriela Sanner (62) kriegt mal 896,14 Euro Rente
Refik Gülcü (42) stehen 594,41 Euro zu

WAS IST...


So bessern


Sie Ihre


Rente auf


Sandra Raeven (47)


stehen nur


456,09 Euro Rente zu


Von LAURA ESSLINGER

Berlin –Wer im Ruhestand ein
solides Finanzpolster haben solides Finanzpolster haben
will, sollte privat vorsorgen. will, sollte privat vorsorgen.
Das raten Experten:Das raten Experten:
WENN SIE 25 JAHRE ALT SIND
Berufsstarter sollten zualler-
erst mögliche Ausbildungs-
schulden abzahlen. Die Ries-
ter- oder Rürup-Rente empfiehlt
Niels Nauhauser, AltersvorsorNiels Nauhauser, AltersvorsorNiels Nauhauser, Altersvorsor--
ge-Experte der Verbraucherge-Experte der Verbraucherge-Experte der Verbraucher--
zentrale Baden-Württemberg,
nicht. „Die Produkte sind teu-
er, und die Rendite ist beschei-
den.“
Demnach ebenfalls unren-
tabel – in jedem Alter: die
klassische private Renten-
oder Lebensversicherung.
„Oft verdient nur die Finanz-
industrie, nicht der Anleger.“
Besser: selbst in Aktien inves-
tieren (Indexfonds/ETFs, welt-
weit gestreut). Aber: nicht über
Bankberater (kostet Provision).
Auch interessant: die betriebli-
che Altersvorsorge, „aber nur,
wenn der Arbeitgeber mindes-
tens 30 Prozent zuschießt“.
WENN SIE 35 JAHRE ALT SIND
Es gilt: So wenig Schulden
machen wie nötig. Wer kann
und später eine ordentliche
Zusatzrente haben will, soll-
te jetzt weiter in Aktien inves-
tieren. Einen Immobilien-Kauf
als Kapitalanlage empfiehlt
Nauhauser nicht. „Das ist kei-
ne sichere und rentable Anla-
ge, Sie haben sehr viel Risiko!“
Die Preise sind extrem hoch.
WENN SIE 45
BIS 55 JAHRE ALT SIND
Aktien bleiben eine gute An-
lage. Zusätzlich sollten sich ArZusätzlich sollten sich ArZusätzlich sollten sich Ar--
beitnehmer überlegen, ob sie
nicht eine Zuzahlung in die ge-
setzliche Rente leisten – und
so unter Umständen eine ho-
he Rendite erwirtschaften. „Die
Details sollte man vorher noch
mal mit der Rentenversicherung
besprechen“, rät Nauhauser.
WENN SIE IN RENTE GEHEN
Für die Extra-Rendite weiter
Aktien kaufen! Wer noch eine
alte Lebensversicherung hat,
kann sie sich auszahlen lassen.
Auf jeden Fall sollte ein „grö-
ßerer Notgroschen“ zurückge-
legt werden (für Reparaturen,
Arzt- und Pflegekosten).

BILD-


Renten-
Serie
TEIL 1

Fragen Sie


HEUTE
unsere

Experten
Sie haben noch
ganz persönliche Fragenganz persönliche Fragen
zum Thema
„Was ist, wenn meine„Was ist, wenn meine
Rente nicht reichen wird?“
Folgende Experten
stehen Ihnen heute
von 11.00 bis 12.30 Uhr
an den BILD-
Telefonen* zur Verfügung:
bHeinz
Landwehr,
ChefredakChefredakChefredak--
teur „Finanz-
test“ von
der Stiftung
Warentest
01802468801
bVolker
Schmidtke
von
der Verder Verder Ver--
braucher-
zentrale
Berlin
01802468802
bKatja
Braubach
von der
Deutschen
RentenverRentenverRentenver--
sicherung
Bund
01802468803

*Preise für Anrufer:
Deutsches Festnetz:
6 Cent/Anruf,
deutscher Mobilfunk:
maximal 42 Cent/Minute

Kleve – Sandra Raeven (47) aus
Emmerich (NRW) hatte sich mit
27 Jahren für die Familie und
gegen die Karriere entschieden.
Sie war damals schwanger mit
den Zwillingssöhnen Franz und
Peter. Trotz abgeschlossener Aus-
bildung in Betriebswirtschaft und
einigen Jahren Berufserfahrung
blieb sie zu Hause.
„Ich wusste aber, worauf ich
mich einlasse“, sagt Raeven, die
sich kurz nach der Zwillingsge-
burt von ihrem Mann trennte und
neu heiratete.
„Mein Ex hat immer gezahlt
und sich um die Kinder geküm-
mert. Mein zweiter Mann sieht
den Hausfrauen-Job als vollwer-
tig an“, so Raeven.
Jetzt sind die Söhne ausge-
zogen, das Haus ist abgezahlt.
Aber Sandra Raeven stehen nur
456,09 Euro Rente zu. Sie sagt:
„Ich habe aber immer sparsam
gelebt und auch was beiseite-
gelegt. Zum Beispiel als mei-
ne Oma starb.“ Trotzdem: Oh-
ne ihren Mann wäre bei Sandra
Raeven das Geld im Alter knapp,
sagt sie. lmg

Ohne ihren Mann
wäre das Geld im Alter
knapp: Sandra Raeven (47)
hat sich für ihre Kinder statt
für die Karriere entschieden

Koblenz – In den 70er-
Jahren war Gabrie-
la Sanner (damals 19)
die jüngste Leiterin einer
Aldi-Filiale in Deutsch-
land. Heute bangt die
62-Jährige aus der Nä-
he von Koblenz (Rhein-
land-Pfalz) um ihr Ren-
tendasein.
Die Einzelhandelskauf-
frau hat immer voll ge-
arbeitet, ihren Sohn al-
lein aufgezogen. Heute

weiß sie nicht, wie sie
in vier Jahren mit ihrer
Rente von 896,14 Euro
auskommen soll.
Für ihre Wohnung
(60 qm) zahlt sie 360 Eu-
ro Miete kalt. Dazu kom-
men Heizung, Strom, Te-
lefon – und die Kosten
für ihren 16 Jahre alten
Smart.
„Jetzt komme ich ins
Grübeln, ob weniger ar-
beiten sinnvoller gewe-

sen wäre. Dann hätte
ich Anspruch auf Grund-
rente.“
Privat-Vorsorge sei ihr
nicht möglich gewesen.
Die Konsequenz: „Ich
werde auch in der Rente
weiterarbeiten“, so San-
ner, die im Büro eines
Luftfahrtunternehmens
beschäftigt ist. „Wenn
ich mal Enkel habe, will
ich denen auch was bie-
ten.“ lmg

Gabriela Sanner (62)
hat immer Vollzeit
gearbeitet und hat
nun Angst vor
Geldnot im Alter

Bochum – Seit seinem 16. Le-
bensjahr hat Refik Gülcü (42)
immer gearbeitet.
Nach dem Hauptschulab-
schluss machte er eine Kauf-
mannslehre. Danach fand er
nur noch Jobs im Niedriglohn-
Sektor, meistens in der Gast-
ronomie. Seit 2,5 Jahren ist er
Inhaber des Kiosks „Lindener
Büdchen“ in Bochum.
Wenn der 42-Jährige heute auf
seinen Rentenbescheid schaut,

wird ihm „ganz flau im Magen“.
594,41 Euro monatlich stehen
ihm ab dem 1. Oktober 2044 zu.
„Wenn mich also keine unbe-
kannte Erbschaft erreicht oder
ich im Lotto gewinne, bin ich auf
staatliche Hilfe angewiesen, so
ungern ich mir das auch einge-
stehe.“ Allein für seine Mietwoh-
nung zahlt er monatlich 535 Euro.
Private Vorsorge? Gülcü: „Kam
für mich wegen meines niedrigen
Einkommens nie infrage.“ lmg

Refik Gülcü (42) aus Bochum
könnte allein von seiner
Rente später nicht leben

Die nächsten Folgen


der Renten-Serie
DIENSTAG Was ist, wenn ich meine
Rente VERSTEUERNmuss?

MITTWOCH Was ist, wenn ich NICHT
in Rente gehen will?

DONNERSTAG Was ist, wenn ich FRÜHER
in Rente gehen will?

Fotos: DRV BUND, THORSTEN GREB, STIFTUNG WARENTEST, MARCO STEPNIAK, THOMAS FREY, JUERGEN MAENNEL

...wenn meine Rente


nicht reichen wird?


SEITE 6 BILD DEUTSCHLAND • 18. NOVEMBER 2019

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