Handelsblatt - 18.11.2019

(Tina Meador) #1
„Die Migrationspolitik ist das
zentrale innenpolitische
Thema der Europäischen
Union. Wir brauchen einen
Neuanfang für die
Migrationspolitik in Europa.“
Horst Seehofer, Bundesinnenminister

„Wir werden keine Deals mit
irgendjemandem machen.
Wir werden keine
Koalitionsregierung
eingehen.“
Jeremy Corbyn, Labour-Chef, schließt eine
Koalitionsregierung nach der Parlamentswahl im
Dezember aus.

Stimmen weltweit


Die Londoner Sonntagszeitung „The Observer“
kommentiert den Rücktritt des bolivianischen
Präsidenten Evo Morales:

D


as alte Sprichwort, wonach alle politi-
schen Karrieren, so brillant sie auch sein
mögen, zum Scheitern verurteilt sind,
ist ein Klischee. Doch in Morales’ Fall ist es be-
dauerlicherweise zutreffend. Diese Implosion
hätte vermieden werden können, wenn er bei
seiner früheren Überzeugung geblieben wäre,
dass Präsidenten Begrenzungen ihrer Amtszei-
ten zu akzeptieren haben. Es ist wahr, dass er
längst nicht mehr so populär war wie einst. Es
ist auch wahr, dass seine Herrschaft in letzter
Zeit autoritäre Züge annahm. Es gab Anzeichen
für einen Demokratieverlust und für einen un-
schönen, an Castro erinnernden Personenkult.
Vor allem aber waren es Morales’ Entschlossen-
heit, sich eine vierte Amtszeit in Folge zu si-
chern, und die mutmaßlich dafür gefälschten
Wahlen, die seinen Untergang herbeigeführt ha-
ben. Wenn er im Januar zum Ende seiner Amts-
zeit zurückgetreten wäre, hätte man ihn weithin
für seine Erfolge geehrt und als Vorkämpfer ord-
nungsgemäßer demokratischer Praktiken in ei-
nem Teil der Welt gepriesen, der eher für das
Gegenteil davon berüchtigt ist.

Die Londoner „Financial Times“ kommentiert
die vom US-Unternehmer Elon Musk geplante
Tesla-Fabrik bei Berlin.

E


inige waren überrascht, dass Elon Musk
Brandenburg als Standort für die Anlage
ausgewählt hat, dieses Bundesland ohne
Tradition im Autobau. (...) Doch der Symbolge-
halt des Standorts nahe Berlin – einer der hipps-
ten Städte Europas mit einem großen Pool an
technischen Talenten – ist bedeutend. In den 30
Jahren seit dem Fall der Berliner Mauer und dem
Ende der Teilung zwischen dem sowjetisch kon-
trollierten Osten und der westlich orientierten
Bundesrepublik ist die Stadt, die ein früherer
Bürgermeister als „arm, aber sexy“ beschrieb,
zum Magneten für Technologieunternehmer und
dpa, via REUTERS, dpaSoftwareentwickler geworden.

Die „Neue Zürcher Zeitung am Sonntag“
kommentiert den Zustand der Großen Koalition
in Deutschland:

B


ei den Wählern hat sie keine Mehrheit
mehr. Auch vielen Abgeordneten und
Funktionären der Regierungsparteien,
die nicht das Privileg haben, ein Ministeramt zu
führen, ist längst die Lust an dieser aus der Not
geborenen Koalition vergangen. Beim Fußball
weiß man: Die Halbzeit ist ein kritischer Mo-
ment. In der Kabine kann der Trainer eine
schwächelnde Mannschaft noch zum Sieg in der
zweiten Spielhälfte motivieren. Wer erwartet das
von Angela Merkel? Die Bundeskanzlerin sieht ih-
re Macht mit jedem Tag schwinden. Große Würfe
gelingen dieser Regierung nicht mehr, wie sich
zuletzt am allseits kritisierten Klimaschutzgesetz
zeigte. Jetzt Beratungen über ein Programm für
die zweite Halbzeit zu beginnen heißt, Zeit zu
schinden. Was der Großen Koalition fehlt, ist der
Mut zum Aufhören. Die Deutschen brauchen ei-
ne neue Regierung. Weiterwursteln bis zu den
Bundestagswahlen im Herbst 2021 wäre eine Zu-
mutung für Deutschland und für Europa.

V


iele Demonstranten in Hongkong haben Angst
vor einem bestimmten Szenario. Sie fürchten,
dass sie eines Tages für ihren Widerstand gegen
den wachsenden Einfluss Pekings das gleiche Schicksal
erleiden müssen wie jetzt bereits viele Uiguren in der
autonomen Region Xinjiang in Nordwestchina. Dort sit-
zen bis zu einer Million Menschen in Masseninhaftie-
rungslagern, weil Peking glaubt, so Extremismus und
Separatismus am besten bekämpfen zu können.
Die von der „New York Times“ veröffentlichten Xinji-
ang-Papiere speisen diese Angst. In ihnen weist Chinas
Staats- und Parteichef seine Kader an, „ohne Gnade“ in
Xinjiang vorzugehen. Und tatsächlich ist es möglich,
dass auch Hongkong ähnlich mit den mehr als 4 000
bei den Demonstrationen Festgenommenen umgehen
wird. Auch diese werden ja von der chinesischen Regie-
rung des Separatismus und der „terrorismusnahen
Handlungen“ bezichtigt.
Ob es aber wirklich so kommen wird, ist noch nicht
entschieden. Denn es regt sich immer größerer Wider-
stand gegen Pekings menschenverachtende Methoden.

Erst im Oktober sanktionierten die USA acht chinesi-
sche Firmen und schränkten die Einreise von mehreren
chinesischen Kadern ins Land ein, weil sie maßgeblich
an der Unterdrückung der Uiguren beteiligt sind.
In den Enthüllungen der Xinjiang-Papiere der „New
York Times“ werden nun auch die Risse innerhalb Pe-
kings deutlich. Im Jahr 2017 wurde gegen mehr als
12 000 Parteimitglieder intern ermittelt, weil sie im
„Kampf gegen den Separatismus“ Fehler begangen hat-
ten. Das war 20-mal häufiger als in den Jahren zuvor.
Hinter diesen Statistiken verbirgt sich die Tatsache,
dass viele Beamte die derzeitige Vorgehensweise in Xin-
jiang kritisch sehen. Viele hängen einer Doktrin an, die
bis 2014 praktiziert wurde: wirtschaftliche Entwicklung
und soziale Integration sind langfristig der beste Weg,
um ethnische Spannungen zu lösen. Selbst heute rau-
nen chinesische Kader hinter vorgehaltener Hand, dass
die Masseninhaftierungslager nur das Feuer der ethni-
schen Ressentiments weiter schüren.
Auch die Enthüllungen selbst sind ein Riss in der Ein-
heitsfassade der Kommunistischen Partei Chinas. Denn
normalerweise dringt das, was hinter den Türen der
Macht in Peking diskutiert wird, so gut wie nie nach
draußen. Die Unzufriedenheit im Gefolge des chinesi-
schen Staats- und Parteichefs Xi Jinping muss groß sein,
wenn jemand aus dem Zentrum der Macht ein derarti-
ges Wagnis eingeht, um geheime Dokumente an auslän-
dische Journalisten weiterzureichen.
Dieser Schritt selbst zeigt, dass die Debatte innerhalb
Chinas, wie man mit Dissens, unzufriedenen Regionen
und Sonderwirtschaftszonen und den dortigen Einwoh-
nern umgehen soll, noch längst nicht ausgefochten ist.

China


Risse in der Einheitsfassade


Der Kampf innerhalb der
Kommunistischen Partei Chinas,
wie man mit Dissens umgeht, ist
noch längst nicht ausgefochten,
argumentiert Sha Hua.

Die Autorin ist Korrespondentin in Peking. Sie
erreichen sie unter: [email protected]

Wirtschaft & Politik


MONTAG, 18. NOVEMBER 2019, NR. 222
15

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