Handelsblatt - 18.11.2019

(Tina Meador) #1
Katrin Terpitz, Michael Brächer
Düsseldorf, Lausanne

H


ans-Peter Kastner reichte es: Mitte
Juni postete der Getränkehändler
aus Stuttgart auf Facebook ein Foto
von 10 000 Einweg-Plastikflaschen
in 50 riesigen Müllsäcken. Die hat-
ten Kunden bei ihm in nur zwölf Wochen abgege-
ben. „Umweltschutz? Unterstützung der Nahver-
sorgung? Nachhaltiges Denken? Nein, es geht um
Bequemlichkeit, Geiz ist geil und nach mir die Sint-
flut“, prangerte er den Plastikwahn an. Sein Post
wurde millionenfach geteilt.
Kastner hat seitdem Einweg-Plastikflaschen ver-
bannt und fast komplett auf Mehrweg-Glas umge-
stellt – der befürchtete Umsatzeinbruch blieb weit-
gehend aus. Anfang November schrieb Kastner ei-
nen offenen Brief an Bundesumweltministerin
Svenja Schulze (SPD). Darin forderte er eine ver-
pflichtende Mehrwegquote von 70 Prozent. „So
können jährlich 8,3 Milliarden Einweg-Plastikfla-
schen eingespart werden.“
Der Getränkehändler trifft mit seinem Boykott von
Plastikflaschen den Nerv der Zeit. Nicht zuletzt die
Fridays-for-Future-Bewegung von Greta Thunberg
hat die Menschen sensibilisiert für Plastikverpackun-
gen jeder Art. Immer mehr Verbraucher hierzulande
steigen deshalb beim Kauf von Mineralwasser von
Plastik- auf Glasflaschen um – oder trinken gleich ver-
packungsfreies Leitungswasser. Die Geschäfte mit Mi-
neralwasser sind rückläufig. Die Mineralwasserbran-
che ist alarmiert und versucht gegenzusteuern.
Der Absatz von Mineralwasser in PET-Einwegfla-
schen in Deutschland ist in den zwölf Monaten bis
Ende September 2019 zum Vorjahreszeitraum um
mehr als zehn Prozent eingebrochen. Das zeigen
Daten des Marktforschers Nielsen. Selbst
PET-Mehrwegflaschen wurden um
mehr als acht Prozent weniger ver-
kauft. Einzig Mineralwasser in
Mehrweg-Glasflaschen konnte um
fast sechs Prozent zulegen. Insge-
samt ist der Absatz von Mineral-
wasser um rund acht Prozent
gesunken.
„Es gibt einen ‚Greta-Effekt‘
und das ist gut so“, heißt es bei
Danone Waters (Volvic, Evian).
„Die gesamte Industrie muss in ih-
rem Umgang mit CO 2 und Plastik
radikal umdenken.“ Der Absatz von
Mineralwasser des französischen Kon-
zerns sank weltweit im dritten Quartal um 2,
Prozent. Mit der Geschäftsentwicklung in Deutsch-
land ist der Konzern „zufrieden“, landesspezifische
Zahlen werden nicht kommuniziert. Danone ist mit
Volvic deutscher Marktführer für stilles Markenmi-
neralwasser. Die Abkehr von Plastikflaschen dürfte
Danone langfristig besonders betreffen, da Volvic
nur in PET-Einwegflaschen vertrieben wird.
Mehr als 150 Liter Mineralwasser trinkt jeder
Deutsche laut Verband Deutscher Mineralbrunnen
(VDM) im Jahr, der Hitzesommer 2018 brachte ei-
nen Rekord. Im Jahr 2000 waren es erst 100 Liter
pro Kopf. Der Weltwassermarkt ist gigantisch ge-
wachsen. Marktforscher Euromonitor schätzt ihn
2018 auf 130 Milliarden Dollar. Wurde Mineralwas-
ser früher hauptsächlich regional getrunken, ha-
ben Konzerne von Nestlé (Vittel, Perrier, San Pelle-
grino) über Danone (Volvic, Evian) bis Coca-Cola
(Apollinaris, Vio) durch viel Marketing globale Was-
sermarken etabliert.

Die Mineralbrunnen wehren sich gegen die Verteu-
felung von Plastikflaschen. „Mineralwasser in Glasfla-
schen liegt aktuell im Trend und vielen erscheint es
auf den ersten Blick als nachhaltigste Verpackungsva-
riante“, heißt es bei Danone Waters. „PET ist jedoch
25-mal leichter als Glas und hat daher in unserem
Fall einen geringeren CO 2 -Fußabdruck.“ Schließlich
werden Volvic-Flaschen in rund 60 Länder expor-
tiert. Danone hat sich das Ziel gesetzt, bis 2020 alle
Volvic-Flaschen zu 100 Prozent aus recyceltem PET
herzustellen. Evian soll zudem Danones erste klima-
neutrale Marke in Deutschland werden.
„Jede Verpackungsform hat ihre Vorzüge – auch
bezogen auf die Umweltwerte“, gibt Gerolsteiner
Brunnen zu bedenken, der führende Anbieter von
Markenmineralwasser in Deutschland. Glas sei in
der Herstellung sehr energieintensiv, profitiere in
der Ökobilanz aber von der hohen Zahl der Wie-
derbefüllungen. Bis zu 50-mal kann eine Glasfla-
sche genutzt werden, eine leichtere PET-Flasche
bis zu 20-mal. Mehrwegflaschen haben bei Gerol-
steiner einen Anteil von 65 Prozent am Absatz, auf
Glas-Mehrweg entfallen dabei 27 Prozent, sie wach-
sen aber am stärksten. Gerolsteiner wird zu 80 Pro-
zent regional im Umkreis von 250 Kilometern ver-
trieben. 2019 startete der Brunnen Tests mit kom-
binierten Lkw-Bahn-Transporten. Das spare ein
Drittel CO 2 im Vergleich zu reinen Lasterfahrten.
Auch Nestlé Waters spürt den Wandel. Bei seiner
Flaggschiff-Marke Vittel bestätigt der Konzern ei-
nen zehnprozentigen Umsatzrückgang in Europa,
auch wenn bestimmte Größen gegen den Markt-
trend wachsen. „Wir bewegen uns aktuell in einem
zunehmend wettbewerbsintensiven Umfeld und ei-
nem sich rasch verändernden Wassermarkt“, sagt
eine Sprecherin.
Die PET-Flaschen von Vittel zeichnete die Deut-
sche Umwelthilfe (DUH) in diesem Jahr mit dem
Negativpreis „Goldener Geier“ aus. „Wenig Wasser
in viel Verpackung, der Achter-Pack noch mal mit
Schrumpffolie umwickelt und dazu lange Trans-
portwege von Frankreich nach Deutschland. Das
ist ökologischer Wahnsinn“, wettert die DUH.

Nestlé steuert um
Umweltschützer kritisierten das Geschäft der
Schweizer seit Jahren. Kritik zieht Nestlé Waters be-
sonders dort auf sich, wo das Wasser knapp zu wer-
den droht – etwa in Afrika oder im französischen
Städtchen Vittel, in dem das gleichnamige Wasser
millionenfach in Flaschen abgefüllt wird. Zwischen-
zeitlich war dort gar eine Pipeline im Gespräch, um
in Zukunft die Trinkwasserversorgung der Bevölke-
rung sicherzustellen. Zudem gilt der Konzern als ei-
ner der größten Plastikverschmutzer weltweit.
„Das Wassergeschäft muss eine Reihe von Nach-
haltigkeitsthemen bewältigen, die zunehmend
wichtiger werden“, räumte Nestlé-Chef Mark
Schneider bei der Präsentation der jüngsten Quar-
talszahlen denn auch ein, der die Sparte radikal
umbaut. Und er versicherte: „Wir machen unsere
Hausaufgaben, wenn es um Innovationen im Was-
sergeschäft geht.“ In einem ersten Schritt will der
Konzern mehr Wasser in wiederverwertete PET-
Flaschen abfüllen. Zudem will Nestlé im neuen
Lausanner Forschungszentrum alternative Verpa-
ckungsmaterialen entwickeln.
Dort lässt sich bereits erkennen, wie die Zukunft
des Wassergeschäfts bei Nestlé aussehen könnte:
ein eigener Wassersprudler, der Sodastream Kon-
kurrenz machen will. Die Maschine namens Refill+
sieht zunächst wie ein normaler Getränkeautomat
aus. Doch aus dem Metallkoloss purzeln keine PET-

Mineralbrunnen spüren


den „Greta-Effekt“


Der Absatz mit Wasser in


PET-Flaschen bricht ein, seit


umweltbewusste Verbraucher


Plastik links liegen lassen.


Getränkekonzerne investieren


jetzt Milliarden in Wasser sprudler.


Die kleinen deutschen Brunnen


können da nicht mitziehen.


Getty Images

Wir machen unsere


Hausaufgaben, wenn es um


Innovationen im


Wassergeschäft geht.


Mark Schneider
Nestlé-Chef

Unternehmen

& Märkte

MONTAG, 18. NOVEMBER 2019, NR. 222
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