V
or ungefähr einem Jahr
tauschte der Heidenhei-
mer Maschinen- und
Anlagenbauer Voith bin-
nen kurzer Zeit sein ge-
samtes Spitzenpersonal aus. Auf-
sichtsratschef Hans-Peter Keitel wur-
de durch den früheren Siemens-Vor-
stand Siegfried Russwurm ersetzt.
Und auch CEO Stephan Schaller
musste nach nur sieben Monaten ge-
hen. Für den früheren BMW-Mana-
ger übernahm Toralf Haag den ope-
rativen Führungsposten des Famili-
enkonzerns. Jetzt hat der neue Voith-
Chef in einem Stuttgarter Hotel sein
erstes ausführliches Interview gege-
ben und erklärt, warum sich seine
Strategie zwar konservativ anhört,
sie es aber nicht ist.
Herr Haag, Voith gehört mit seiner
152-jährigen Geschichte zu den
klangvollsten Namen im industriell
geprägten deutschen Mittelstand.
Zuletzt war indes ein bisschen von
Krise die Rede, weil Voith deutlich an
Umsatz verloren hatte. Muss sich die
Firma neu erfinden?
Nein, Voith ist mit seinen Technolo-
gien sehr gut in seinen Märkten posi-
tioniert. Das ist eine gute Basis. Jetzt
geht es darum, unser Portfolio wei-
terzuentwickeln. Die beiden D, also
Dekarbonisierung und Digitalisie-
rung, bieten hier große Chancen: Wir
haben seit einigen Jahren jährlich 50
Millionen Euro in digitale Produkte
investiert und die Elektrifizierung vo-
rangetrieben. Das zeigt nun erste
Wirkung, bei Umsatz und Gewinn.
Mit Verlaub: Das klingt nach Mana-
gerlyrik. Ihr Unternehmen hat in
den vergangenen zehn Jahren ein
Viertel des Umsatzes auf aktuell 4,2
Milliarden Euro eingebüßt und die
Zahl der Mitarbeiter auf 19 000 hal-
biert. Wie soll die Wende gelingen?
Wir haben im Herbst 2016 unsere In-
dustriedienstleistungssparte Voith In-
dustrial Services an Triton verkauft.
Der Löwenanteil der Differenz beim
Umsatz entfällt darauf. Wir sind im
gerade abgelaufenen Geschäftsjahr
gewachsen. Das ist auch für unsere
Mitarbeiter wichtig. Die spüren, dass
es vorangeht. Aber wir müssen bei
der Rentabilität zulegen.
Wie soll das bei der sich abschwä-
chenden Konjunktur gelingen?
Unsere oberste Priorität liegt auf dem
Kerngeschäft. Es geht um internes
und externes Wachstum. Wir haben
gerade erst die Übernahme von BTG,
einem Anbieter von hochspezialisier-
ten Prozesslösungen für die globale
Zellstoff- und Papierindustrie, für 319
Millionen Euro angekündigt. Der Zu-
kauf ergänzt unser Papiergeschäft
perfekt. Und wir hoffen, in den
nächsten Monaten noch die eine
oder andere Akquisition vermelden
zu können.
Haben Sie die Kraft dafür?
Voith ist bilanziell kerngesund. Wir
haben unter anderem durch den Ver-
kauf unserer Anteile am Roboterher-
steller Kuka eine komfortable Liqui-
ditätsposition. Und wir haben den
Verschuldungsgrad in den letzten
Jahren zurückgefahren. Die Liquidität
werden wir für Investitionen und Zu-
käufe nutzen.
Wo werden Sie einkaufen?
Wir werden vor allem den Papier-
und den Turbobereich stärken. Beim
Papier geht es tendenziell in Rich-
tung Ersatzteilgeschäft. Bei Turbo
werden die Zukäufe vor allem unsere
Fähigkeiten im Bereich E-Mobilität
stärken. Hier vollzieht sich bei unse-
ren Kunden ein gewaltiger technolo-
gischer Umbruch, den wir durch zu-
sätzliche Investitionen mitgestalten
wollen. Bei der Wasserkraft planen
wir kleinere Zukäufe im Servicebe-
reich.
Wann ist mit den Übernahmen zu
rechnen?
Im laufenden Geschäftsjahr – wobei
das bei uns am 1. Oktober gerade erst
begonnen hat.
Ihnen wird Interesse an der VW-
Tochter Renk nachgesagt. Stimmt
das?
Wir äußern uns in der Öffentlichkeit
grundsätzlich nicht dazu, ob wir an
einem Unternehmen interessiert sind
oder nicht. Klar ist aber auch: Wir
greifen nur dann zu, wenn das jewei-
lige Unternehmen in jeder Hinsicht
wirklich sehr gut zu uns passt.
Renk hat auch einen militärischen
Teil. Das kollidiert doch mit Ihrem
nachhaltigen Image?
Ich kann Sie nicht daran hindern, Ih-
re eigenen Schlüsse zu ziehen ...
Die Beteiligung an Kuka hat Ihnen ja
mit einer Milliarde Euro die Kassen
gefüllt. Aber Sie mussten den gro-
ßen Einstieg in die Robotik aufge-
ben. War das eine verpasste Chance?
Tatsächlich sind wir aus strategi-
schen Erwägungen in die Robotik
eingestiegen. Aber am Ende stand
ein hohes Übernahmeangebot für
Kuka im Raum. Damit war für uns
ein weiteres Engagement als Minder-
heitsaktionär nicht sinnvoll. Deshalb
war es auch richtig, die Kuka-Anteile
wieder abzugeben. Wir haben unse-
ren Anteil gut verkauft. Jetzt haben
wir erhebliche Mittel für die Weiter-
entwicklung unseres Portfolios. Und
inzwischen sind wir ja – wenn auch
mit einem kleineren Schritt – wieder
in die Robotik eingestiegen.
Wie entwickeln sich Ihre kollabora-
tiven Roboter?
Die Technologie ist gut, die Heraus-
forderung, sie in die Prozesse unse-
rer Industrie-Kunden einzubinden,
ist aber groß.
Wann wird sich das richtig auch in
der Bilanz zeigen?
In zwei bis drei Jahren.
Wie viel Käufe für die digitale Zu-
kunft haben Sie bereits gemacht?
Bislang acht. Alle gehören zu unserer
Sparte Digital Ventures. Diese Unter-
nehmen sollen sich unter diesem
Dach erst einmal mit ihrer eigenen
Dynamik entwickeln. Wenn sie eine
gewisse Größe erreicht haben, wer-
den sie dann in die Divisionen unse-
res Kerngeschäfts integriert.
Wie hoch ist Ihr Digitalumsatz?
Der Anteil ist bereits bei einem mitt-
leren einstelligen Prozentbetrag des
Konzernumsatzes. Aber wir wollen
hier noch deutlich zulegen.
Wo wird der Umsatz mit digitalen
Produkten in fünf Jahren liegen?
Bei einem dreistelligen Millionenbetrag.
Ihr Digitalchef ist gerade gegangen.
Warum eigentlich?
Roland Münch war 17 Jahre bei Voith
und hat zuletzt einen großen Beitrag
zum Aufbau unserer neuen Digital -
sparte geleistet, in der heute bereits
rund 2 000 Mitarbeiter ausschließlich
an der Digitalisierung unseres Tech-
nologieportfolios arbeiten.
Wir haben gehört, dass es erhebli-
che Unterschiede gab, wie Voith die
Digitalisierung weiterbetreiben soll?
Herr Münch hat das Unternehmen
auf eigenen Wunsch verlassen.
Da haben wir nicht widersprochen.
Stimmt, und ich verstehe, dass Sie
nachhaken. Im Grundsatz bleibt die
digitale Agenda von Voith weiterhin,
wie sie ist.
Das würde bedeuten, dass Sie grund-
sätzlich an der Strategie nichts än-
dern werden. Voith hat ja nach einer
Umorganisation die gesamte Digita-
lisierungskompetenz in einer Sparte
zusammengefasst?
Es gibt lediglich eine Anpassung,
aber keine Richtungsänderung. Die
digitalen Aktivitäten haben wir wie-
der näher an die Kernbereiche he-
rangerückt.
Klingt eher rückwärtsgewandt?
Überhaupt nicht. Die Digitalisie-
rungsstrategie bleibt ja weiter unver-
ändert. Am Anfang war es richtig,
die komplette Verantwortung für die
digitalen Produkte – von der Ent-
wicklung bis zum Kundenvertrieb –
in die neue Sparte auszulagern, um
eine gewisse Dynamik im ganzen
Konzern zu entfachen. Jetzt, im wei-
ter fortgeschrittenen Stadium, ist es
wichtig, dass die Kernsparten wieder
in die unternehmerische Verantwor-
tung für diese Produkte genommen
werden. Die Technologie-Entwick-
lung kommt aber auch weiterhin für
alle Divisionen aus unserer Digitals-
parte. Es ist immer eine Frage, in
welcher Entwicklungsphase sie sich
befinden.
Sie sind erst seit drei Jahren bei
Voith. Wie wichtig ist die Sicht von
außen?
Ich denke, beides ist wichtig: Men-
schen, die das Unternehmen im De-
tail kennen, und auch Input von au-
ßen. Wir haben jetzt eine gute Mi-
schung. Von sechs Konzerngeschäfts-
führern kamen zwei von außen.
Dann wird ja der Nachfolger von
Herrn Münch aus dem eigenen Haus
kommen ...
Sebastian Berger für Handelsblat
Der Manager Der pro-
movierte Kaufmann
wechselte nach dem
Berufseinstieg bei der
Thyssen Handelsunion
2005 als Finanzchef
zum Schweizer Che-
mie- und Pharmakon-
zern Lonza. Von dort
ging er 2016 als CFO
zu Voith. Ende 2018
stieg der 53-Jährige
zum Konzernchef auf.
Das Unternehmen
Vor 152 Jahren von
Friedrich Voith
gegründet, stellt das
Heidenheimer Unter-
nehmen heute Papier-
maschinen, techni-
sche Ausrüstungen
für Wasserkraftwerke,
Antriebs- und Brems-
systeme sowie Digi-
tallösungen her. Voith
wird seit 48 Jahren
von familienfremden
Managern geführt.
Vita Toralf Haag
Toralf Haag
„Hinreichend
wetterfest“
Der neue Voith-Chef spricht über
die Rückkehr zum Wachstumskurs,
geplante Zukäufe und die großen
Chancen der Digitalisierung.
Der deutsche Mittelstand
MONTAG, 18. NOVEMBER 2019, NR. 222
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