Handelsblatt - 18.11.2019

(Tina Meador) #1
Hans-Jürgen Jakobs München

A


uch in digitalen Zeiten ist ein Zei-
tungshaus ein besonderes Unterneh-
men; irgendetwas zwischen Wirt-
schafts- und Kulturgut mit gesell-
schaftlicher Ausstrahlung. Und so
schien sich Silke Friedrich, 47, wie im Himmel zu
fühlen, als ihr IT-versierter Mann Holger, 53, nach
einem Vortrag bei der DuMont-Gruppe immer en-
ger in Kontakt mit der Verlegerdynastie kam. Am
Ende übernahm er tatsächlich aus dem Regional-
presse-Besitz der Kölner für kleines Geld den Ber-
liner Verlag, mit dem Flaggschiff „Berliner Zeitung“
und vielen anderen Aktivitäten. „Andere Männer
kommen mit einem Ring“, sagte Silke Friedrich,
„meiner bringt einen Verlag an.“
Jüngst, kurz vor dem 30. Jahrestag des Mauerfalls
und nach der kartellrechtlichen Genehmigung des
Deals, legte das Paar mit einem langen Manifest im
eigenen Stammblatt los. Es liest sich wie eine leicht
überdrehte Begründung, warum die Republik „Ost-
Stolz“ braucht und warum Familie Friedrich – ge-
stählt in den Wirrnissen der Wendezeit – genau die
Richtigen sind für einen neuen Kick, für eine Dosis
„Ost-Punk“ im museal erstarrten Betrieb Deutsch-
land AG. Der Aufsatz gipfelt in einem Lob für den
einstigen DDR-Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz,
weil er im Unruheherbst 1989 nicht schießen ließ.
Er habe, so die ambitionierten Autoren, mit dieser
„persönlichen Entscheidung Millionen Menschen
selbstbestimmte, positive Lebenswege ermöglicht,
die uns unter anderem diesen Text in dieser Zei-
tung veröffentlichen lasen“.

Doch der Honeymoon der Zeitungs-Newcomer,
die wie im Debattenrausch Interview auf Interview
gaben, scheint nun nach kurzer Zeit vorbei. In die
Partystimmung Ost schlug zunächst die Entzaube-
rung einer „ostdeutschen Erfolgsstory in der Medi-
zin“ ein, die die „Berliner Zeitung“ über die Firma
Centogene aus Rostock präsentierte Dabei ver-
schwieg das Blatt, dass just der eigene Verleger
dort beteiligt ist und im Aufsichtsrat sitzt.
Am Wochenende dann detonierte eine Enthül-
lung der „Welt am Sonntag“ aus dem Hause Axel
Springer: Danach war Holger Friedrich in der DDR
als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) „Bernstein“ dem
System dienlich, mit überlieferten zwölf Spitzelre-
ports zwischen Dezember 1987 und Februar 1989.
Er sei zu einer „Wiedergutmachung“ gezwungen
worden, nachdem er von der Stasi wegen Ver-
dachts der Republikflucht verhaftet worden war,
verteidigte sich Friedrich, damals Mitglied der SED
und für drei Jahre freiwillig der Armee als Unterof-
fizier verpflichtet. In seinem eigenen Ost-Essay hat-
te er die „Bernstein“-Tage nicht öffentlich gemacht.
Diese Geschichte ist umso fataler, als sich die
„Berliner Zeitung“ selbst in den 1990er-Jahren um
Aufklärung rund um ehemalige Stasi-Zuträger in
den eigenen Reihen mühte. Damals gehörte das
Blatt zum Bertelsmann-Verlag Gruner + Jahr, Chef-
redakteur war Michael Maier, studierter Jurist und
Kirchenmusiker aus Österreich – den die Neuverle-
ger Friedrich nun zum Herausgeber und Vorsitzen-
den der Geschäftsführung gekürt haben. Maier, 61,
schreibt von der „verstörenden Geschichte des Hol-

ger Friedrich“, die Entwicklung zeige, „dass der
Neuanfang immer noch nicht abgeschlossen ist“.
Gelitten hat schon jetzt die Idee, ein wirtschaft-
lich erfolgreicher Unternehmer könne quasi aus
dem Stand einen Zeitungsverlag aufmöbeln – so
wie es Amazon-Gründer Jeff Bezos mit der traditi-
onsreichen „Washington Post“ vorexerziert. In
Deutschland blieb nach 1945 aus gutem Grund der
Besitz von Medien und Wirtschaftsunternehmen
getrennt. Das Beispiel des Großindustriellen Alfred
Hugenberg, der den Nazis zur Macht verhalf, wirk-
te abschreckend. Im Westen bekamen nur politisch
nicht vorbelastete Bürger von den Alliierten eine
Lizenz; in der DDR übernahmen Parteien die Zei-
tungen.
Mit Holger Friedrich brach das alte Trennungsge-
bot auf. Hier begann einer zu wirbeln, der mit dem
Verkauf eines Softwareunternehmens an SAP reich
geworden war, der über die Technologiefirma Core
SE im lukrativen IT-Beratungsgeschäft mitmischt
und seine Geschäftsaktivitäten in der Holding CCG
Commercial Coordination Germany bündelt. Silke
Friedrich wiederum leitet die Berlin Metropolitan
School im Bezirk Mitte der Hauptstadt, eine inter-
nationale Privatschule, die von dem Ehepaar aufge-
baut worden ist. Zum Königreich Friedrich gehört
auch das E-Werk in Berlin-Mitte, eine bekannte Ver-
anstaltungslocation.

Striktes Kostenmanagement
Mit dem Berliner Verlag aber haben sich die beiden
Umtriebigen eine besondere Herausforderung auf-
geschultert. Der Umsatz soll 2018 knapp 60 Millio-
nen Euro betragen haben, der Gewinn 750 000
Euro. Die Auflage der „Berliner Zeitung“ lag zuletzt
noch bei knapp 85 000 Exemplaren. Insbesondere
die mitgekaufte Druckerei sorgt für Kosten. Selbst
beim Verkäufer DuMont in Köln war man über-
rascht, dass Friedrich auch hier zuschlug.
Hatte die PR-Präsenz der Neuverleger anfangs ei-
ne gewisse Euphorie noch verstärkt, so gibt es nun
allerhand investigative Nachforschungen. Etwa zu
der Frage, wie es Holger Friedrich als Co-Geschäfts-
führer der Internetfirma Verimi (zuständig für
Technik) mit Auftragsvergaben gehalten hat. An
dem Log-in-Bündnis Verimi sind neben Friedrichs
Firma Core SE auch Lufthansa, Allianz, Volkswa-
gen, Deutsche Bank und Axel Springer beteiligt.
Auf die wachsende Zahl der Probleme reagiert
man unter Friedrichs Führung im Berliner Verlag
mit Solidaritätsbekundungen und mit einem strik-
ten Kostenmanagement, wie aus Verlagskreisen zu
hören ist. Geschäftsführer Holger Friedrich ist nun
sozusagen auch Controller und setzt auf technische
Innovationen wie ein neues Redaktionssystem. Ei-
ne neue Website bringt Texte auf Englisch und Rus-
sisch. Er habe verstanden, dass die eigene techni-
sche Kompetenz im Zeitungsverlegerverband
BDZV nicht willkommen sei, sagt Friedrich. Des-
halb wolle er einen Aufnahmeantrag für den Tech-
nologieverband Bitkom stellen.
Zu einem klassischen Verleger und den Usancen
der Presse passt freilich auch nicht, dass Holger
Friedrich vorige Woche die schriftlich gestellten
„Bernstein“-Fragen der „Welt“-Journalisten nicht
persönlich beantwortete, sondern online im eige-
nen Medium Stellung bezog. In der „Neuen Zür-
cher Zeitung“ waren die Friedrichs auskunftsfreu-
diger: Sie lobten die Plattform „Berlin Online“ als
den „eigentlichen Schatz unseres Deals“ aus. Zu-
sammen mit der Stadt Berlin soll hierüber E-Go-
vernment für die Hauptstadt aufgebaut werden –
Behörden-Dienstleistungen über eine App. „Berlin
ist nicht austrainiert“, befand Silke Friedrich. Die
Hauptstadt habe viel technologisches Potenzial.
Wenn da nur nicht wieder eine „Bernstein“-Affäre
dazwischenkommt.

Holger Friedrich


Die „Bernstein“-Affäre


Mit viel Schwung und „Ost-Stolz“ startete der IT-Unternehmer bei der „Berliner Zeitung“ ins


Pressegeschäft. Eine Enthüllung über seine Tätigkeit als Stasi-IM wirft ihn zurück.


Silke und Holger
Friedrich: Die
Euphorie um die
Presse-Newcomer
ist verflogen.

Berliner Zeitung

84 519


EXEMPLARE
betrug die verkaufte
Auflage der
„Berliner Zeitung“ im
dritten Quartal.

Quelle: IVW

Familienunternehmen


des Tages


MONTAG, 18. NOVEMBER 2019, NR. 222
44

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