FOKUS → MEIERHOFER
„Die elektronische Patientenakte greift zu kurz“
Die elektronische Patientenakte (ePA) sorgt immer
wieder für heftige Diskussionen, unabhängig davon ob
es um die Themen Datenschutz, Rechteverwaltung oder
Umsetzbarkeit geht. Wie beurteilen Sie die aktuellen
Entwicklungen zur ePA?
Als Anbieter von Krankenhaussoftware begrüße ich
natürlich die digitale Patientenakte. Sie hat den Vorteil,
dass alle relevanten Informationen zu einem Patienten
überall verfügbar sind. Ob Behandlungen, Befunde oder
Medikation – der behandelnde Arzt muss die Daten nur
einmal erfassen und anschließend sind sie zentral einseh-
bar – sofern der Patient das wünscht. Die Umsetzbarkeit
oder der Datenschutz bereiten mir eher weniger Sorgen,
diese Themen sollten gut in den Grif zu bekommen sein.
Meine Kritikpunkte an der ePA liegen ganz woanders.
Nämlich?
Eine Digitalisierungsstrategie, die nur darauf abzielt, die
vorherige papierbezogene Dokumentation abzulösen,
greift zu kurz. Die ePA, so wie sie momentan von der
Politik vorgesehen ist, ist nur ein Instrument, über das die
Patienten ihre Akte digital ablegen können. Damit greift
die ePA zu kurz – sie bildet zwar einen wesentlichen
Grundstock für die Digitalisierung im Gesundheitswesen,
aber allein für sich gestellt, ist das noch kein Mehrwert.
Der entsteht erst dann, wenn sich diese Informationen
auch weiterverarbeiten lassen. Zum Beispiel, wie es bei
INTERVIEWPARTNER
MATTHIAS MEIERHOFER
IST GRÜNDER UND VORSTAND DER
MEIERHOFER AG, EHEMALIGER VORSTAND DES
BUNDESVERBANDS GESUNDHEITS-IT (BVITG)
UND DANISH HEALTH AMBASSADOR. ALS ANBIETER
VON KRANKENHAUSSOFTWARE IST ER EXPERTE
FÜR DIE DIGITALISIERUNG IM GESUNDHEITSWESEN.
IM INTERVIEW ERKLÄRT MATTHIAS MEIERHOFER,
WARUM DIE EINFÜHRUNG DER ELEKTRONISCHEN
PATIENTENAKTE (EPA) ALLEIN NOCH
KEINEN MEHRWERT BEDEUTET UND WIE
SOFTWARE DEN ARBEITSALLTAG VON
KLINIKÄRZTEN ERLEICHTERT.
Krankenhaussoftware der Fall ist, die nicht nur Patienten-
daten vorhält, sondern auch die aktuelle Medikation
übernehmen kann.
Welche weiteren Vorteile haben die Kliniken durch
die ePA und die Digitalisierung?
Dokumentiert werden müssen Patientendaten ja sowieso,
ob auf Papier oder über die Bedienoberläche der Software.
Der wesentliche Vorteil der elektronischen Dokumentation
liegt auf der Hand: Die digitale Patientenakte ist sofort
verfügbar, immer und überall – im Gegensatz zur Akte aus
Papier. Außerdem trägt die Digitalisierung zu einer Auto-
matisierung von Prozessen bei und unterstützt damit die
Ärzte im Arbeitsalltag. Nehmen wir das Beispiel Arzt-
briefschreibung: Die Klinikärzte haben dazu oft wenig
Kapazitäten frei. Mit der passenden Krankenhaussoft-
ware kann der Arztbrief nahezu automatisiert erstellt
werden: Während der Arzt die Anamnese durchführt, die
Befunde erfasst, eine Diagnose erstellt und die Medikation
dokumentiert, wird der Brief aus den vorhandenen Daten
generiert und wächst im Hintergrund sukzessive mit.
Der Arzt spart sich dadurch zeitaufwendiges, manuelles
Suchen und Zusammentragen von Informationen.
Weitere Informationen inden Sie unter:
→ http://www.meierhofer.com
FOTO:
MEIERHOFER AG
Arzt ersetzen – aber auf eine Weise unterstützen, die mehr Menschen
als je zuvor hilt, gesund zu bleiben und zu werden. Deshalb ist es
wichtig, dass schon angehende Mediziner an der Universität lernen,
wie sie KI optimal einsetzen können.
Zweitens ist es wichtig, die sichere Nutzung der vorhandenen
Patientendaten, die im Laufe der Jahre von medizinischen Einrich-
tungen, Ärzten und Krankenkassen gesammelt wurden und küntig
gesammelt werden, in einem Rechtsrahmen verbindlich zu regeln.
Und dritens muss der Austausch von Gesundheits- und Pharma-
unternehmen mit Sotware- und Big-Data-Anbietern forciert
werden, um das Potenzial von KI für den Gesundheitssektor maxi-
mal auszuschöpfen. Die Politik sollte ein Klima schafen, in dem es
medizinischen Start-ups leicht gemacht wird, ihre Ideen zu verwirk-
lichen und in die Praxis umzusetzen. Nur wenn wir in Deutschland
Rahmenbedingungen haben, die die Integration von Künstlicher
Intelligenz und Big Data in den Gesundheitssektor fördern, werden
diese Technologien ihr Potenzial voll entfalten können. Zum Wohle
der Gesellschat, zum Wohle der Patienten.
Rund 1,3 Milliarden US-Dollar ist der globale Markt für Künstliche
Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen im Jahr 2019 schwer. Auf
zehn Milliarden US-Dollar wird er bis zum Jahr 2024 ansteigen, wie
die Investmentbank Morgan Stanley jüngst prognostizierte. Und
dann noch diese Zahl: 100.000. Mit so vielen Fotos hat ein Team
aus Spezialisten der Universität Heidelberg ein künstliches neuro-
nales Netzwerk trainiert, um den gefährlichen schwarzen Hautkrebs,
das maligne Melanom, vom harmlosen Mutermal zu unterscheiden.
Mit Erfolg: Die KI konnte danach häuiger die richtige Diagnose
stellen als 58 Dermatologen aus 17 Ländern.
Wir sehen: Die Bedeutung und das Potenzial von Künstlicher
Intelligenz und Big Data im Gesundheitssektor sind riesig. Diese
Technologie hat einen großen Einluss darauf, wie medizinische
Behandlung in den kommenden Dekaden aussehen wird. Dabei geht
es nicht nur um Diagnoseverfahren, sondern auch um Forschung
und Entwicklung, um Behandlung und Heilung. KI kann die Daten
von Hundertausenden Patienten auswerten und dadurch Vorher-
sagen trefen – etwa über das Risiko einer Herzerkrankung oder von
Krebs. KI kann eine unbegrenzte Zahl von Röntgen- oder CT-Bildern
verarbeiten und so lernen, Tumore in einem frühen Stadium zu
erkennen. KI kann, wie das Beispiel der Heidelberger Spezialisten
mit ihrem Algorithmus zeigt, in Zukunt Leben reten.
UMGANG MIT KI IM STUDIUM VERANKERN
Es gilt jetzt, diese Technologie in der Welt, in Europa und in Deutsch-
land mit all ihren Chancen für die Gesellschat voranzubringen. Und
dafür sind im Bereich der Gesundheit mehrere Dinge wichtig.
Erstens: Ofenheit von Medizinern und Gesundheitsexperten. Sie
sollten die digitalen Innovationen nicht als Konkurrenz begreifen,
sondern als wertvolle Hilfe. Klar ist: Keine KI der Welt kann den
REDAKTIONELLER
GASTBEITRAG
AUTOR
ACHIM BERG
BITKOM-PRÄSIDENT
Mit Künstlicher
Intelligenz
gelingt Forschern
bei der Krebs-
früherkennung
ein Durchbruch.
Jetzt müssen
die Weichen
gestellt werden,
damit bald
alle Patienten
von der neuen
Technologie
proitieren
können.
Wenn die KI den Arzt unterstützt
FOTO:
BITKOM
CHANCEN DER MEDIZIN 11