Handelsblatt - 18.11.2019

(Tina Meador) #1

D


er zweite Dienstsitz des Heimatminis-
teriums in Nürnberg ist für Markus Sö-
der sehr praktisch. Schon als Finanz-
und Heimatminister nahm der gebür-
tige Nürnberger hier gern Termine
wahr. Als Ministerpräsident geht das nicht mehr so
häufig. Am Freitag war der Fan des 1. FC Nürnberg
aber mal wieder in der Nürnberger Außenstelle, wie
er sie nennt, und empfing das Handelsblatt dort zum
Interview. Der CSU-Chef hatte einiges loszuwerden:
eine Mahnung für Finanzminister Olaf Scholz (SPD)
und einen Appell zur Geschlossenheit für die CDU.

Herr Ministerpräsident, Olaf Scholz hat ein eu-
ropäisches Einlagensicherungssystem vorge-
schlagen. Das sei kein kleiner Schritt für einen
deutschen Finanzminister, sagte er. Geht der
CSU-Chef diesen Schritt mit?
Da sind wir grundlegend skeptisch. Zunächst müssen
die Risiken im Bankensektor in etlichen Ländern ab-
gebaut werden. Da sich hier aber kaum etwas be-
wegt, ist eine europäische Einlagensicherung nicht
sinnvoll. Das Risiko für die deutschen Sparer ist ein-
fach zu hoch.

Droht da der nächste Koalitionsstreit?
Das ist keine Fundamentalkritik am Finanzminister.
Aber Fakt ist, dass wir in vielen Euro-Ländern eine
unterschiedliche Ausgangslage haben. Dort sitzen die
Banken nach wie vor auf faulen Krediten. Diese Risi-
ken können wir nicht per Blankoscheck überneh-
men. Wenn es ums Geld geht, dürfen wir keine Feh-
ler machen, sonst droht die nächste Finanz- und
Euro-Krise.

Aber Scholz stellt doch Vorbedingungen: Er for-
dert etwa den Abbau von faulen Krediten und
die Sicherheitspuffer für Staatsanleihen in den
Bilanzen. Das sind für Länder wie Italien ziem-
liche Zumutungen. Was spricht gegen einen
Deal: mehr Solidität für mehr Solidarität?

Es wäre ein Fehler, die solide Verhandlungslinie zu
räumen. Das reduziert die Bereitschaft in den betrof-
fenen Ländern, Risiken abzubauen. Zudem gilt: Die
deutschen Sparer leiden schon genug unter den
Niedrigzinsen. Dass sie jetzt noch zusätzlich mit Risi-
ken aus anderen Ländern belastet werden sollen,
halte ich für unvertretbar. Das würde das Vertrauen
der Deutschen in ihre Sparkassen und Genossen-
schaftsbanken weiter erodieren lassen.

In der Finanzkrise sind auch deutsche Institute
ins Straucheln geraten. Die Deutsche Bank und
die Commerzbank kämpfen derzeit mit großen
Problemen. Wer sagt denn, dass
Deutschland nicht in einigen Jah-
ren Profiteur einer EU-Einla-
gensicherung sein könnte?
Dass wir auch Problemfälle
haben, kann kein Argument
sein, einen grundsätzlich fal-
schen Weg einzuschlagen.
Die Lösung muss sein, unse-
re Finanzinstitute stärker zu
machen, damit sie im inter-
nationalen Wettbewerb beste-
hen können. Banken halten
sich nicht durch Mitleid am
Markt.

Kanzlerin Angela Merkel hat gesagt, der
Vorschlag von Scholz gehe in die richtige Rich-
tung. Wie wollen Sie verhindern, dass die Bun-
desregierung das Projekt weiter vorantreibt?
Solch grundlegende Beschlüsse müssen in der Koali-
tion gemeinsam getroffen werden. Für die Union ist
die Stabilität der Währung und des europäischen Fi-
nanzsystems eine Kernforderung. Das ist nicht nur
ökonomisch wichtig, sondern auch politisch und de-
mokratisch. Vergessen wir nicht, dass die Euro-Krise
ein Entstehungsgrund der AfD war. Wir haben zu
viele Menschen, die von der Niedrigzinspolitik der

EZB belastet werden.

Viele Deutsche sehen die Geldpolitik der Euro-
päischen Zentralbank (EZB) sehr skeptisch.
Kann die neue Chefin, Christine Lagarde, das
Verhältnis wieder verbessern?
Neues Amt, neues Glück! Man wird sehen, wie Chris-
tine Lagarde die EZB steuert. Bei der letzten Ent-
scheidung unter Vorgänger Mario Draghi, die Zinsen
weiter zu senken und wieder Anleihen zu kaufen,
gab es in der EZB ja eine mittlere Revolte. Viele Rats-
mitglieder haben hinterher öffentlich gemacht, dass
sie dagegen waren. Die Stimmungslage in der EZB
hat sich geändert. Es wird immer deutlicher,
dass mit der Zinspolitik das Ende der
geldpolitischen Fahnenstange er-
reicht ist.

Beim Wirtschaftswachstum
liegt Deutschland unter den
Euro-Staaten auf dem vor-
letzten Platz. Wollen Sie in
dieser Lage höhere Zinsen?
Jeder weiß, dass ein sprunghaf-
ter Anstieg der Zinsen für die
Konjunktur schädlich wäre. Das
will niemand. Aber wir müssen
überlegen, wie die langfristige Strategie
in Europa aussehen soll. Draghis Politik
hat letztlich auch dazu geführt, dass angesichts
von Niedrigzinsen in Ländern wie Italien der Re-
formeifer erkennbar nachgelassen hat.

Um die EZB zu entlasten, müsste die Finanzpoli-
tik mehr tun, also Schulden machen und inves-
tieren. Das fordern Ökonomen seit Jahren. Wa-
rum hört die deutsche Politik nicht darauf?
Es nützt nichts, blind Geld auszugeben. Es braucht
die richtige Strategie, sonst verpuffen Investitionen.
Es fehlt derzeit an Speed und Spirit. Die Prozesse
sind zu langsam, und alles läuft zu zaghaft im Bund.

„Das


Risiko ist


zu hoch“


Bayerns Ministerpräsident wendet sich


gegen die Pläne für eine europäische


Einlagensicherung und höhere Beiträge


für den EU-Haushalt. Vor dem


CDU-Parteitag kritisiert der CSU-Chef


zudem Friedrich Merz und fordert die


Union zur Geschlossenheit auf.


Markus Söder


Herr Musk will nicht


Deutschland helfen,


sondern Tesla. Ich sehe das


weniger als freundliche


Geste, sondern mehr


als Weckruf.


Ausgangslage Seit
Jahren wird über eine
Einlagensicherung
gesprochen. Doch
Verhandlungen auf
Ministerebene gab es
bisher nicht. Die Bun-
desregierung hatte
stets gefordert, dass
zuerst die Risiken im
Bankensektor abge-
baut werden müssen.

Vorstoß Finanzminis-
ter Olaf Scholz
schlägt ein „europäi-
sches Rückversiche-
rungssystem“ vor. Es
soll im Bedarfsfall den
nationalen Einlagensi-
cherungen „Liquidität
über rückzahlbare
Darlehen zur Verfü-
gung“ stellen. Auch
Scholz will als Bedin-
gung den Abbau von
Risiken. Er ist aber
bereit, beides parallel
zu verhandeln.

Einlagen-
sicherung

Thomas Dashuber für Handelsblatt

Wirtschaft

& Politik

MONTAG, 18. NOVEMBER 2019, NR. 222
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