(^) • TEXT DER REDAKTION
Forschung und Innovation sind bis heute die tragenden Säulen
des medizinischen Fortschrits. Das gilt nicht nur, wenn Antwor-
ten gesucht werden auf die Frage, warum Krankheiten entstehen,
sondern vor allem auch dann, wenn es darum geht, wie diese
Krankheiten behandelt und im Idealfall geheilt werden können.
Und hier stehen pharmakologische Verfahren nach wie vor an der
Spitze, sei es als direkte Behandlung, sei es unterstützend wie etwa
in der Schmerztherapie. Die Pharmabranche ist denn auch eine der
forschungsintensivsten überhaupt.
DEUTSCHE PHARMAFORSCHUNG
AN DRITTER STELLE
6,2 Milliarden Euro, so sagt der Verband der forschenden Pharma-
Unternehmen (vfa), wenden seine Mitgliedsunternehmen pro Jahr
für Forschung und Entwicklung auf. Rund ein Füntel der Beleg-
schat der Mitgliedsirmen ist laut vfa im Bereich Forschung und Ent-
wicklung tätig. Die 6,2 Milliarden mögen sich schwach ausmachen
neben den knapp 80 Milliarden Dollar, die die Branche in den usa
für Forschung und Entwicklung ausgibt, müssen aber im Verhältnis
zur Größe der jeweiligen Volkswirtschat gesehen werden. Im inter-
nationalen Vergleich steht Deutschland beim Forschungsvolumen
immer noch an vierter Stelle. Was die Anzahl der durchgeführten
klinischen Studien angeht – auch sie ein wichtiger Indikator –, steht
Deutschland laut vfa nach den usa und Großbritannien an driter
Stelle weltweit, war lange die Nummer zwei.
Angesichts des hohen Forschungsaufwandes ist klar, wie wich-
tig der Schutz geistigen Eigentums ist. Patente, etwa auf neue
medizinisch wirksame Moleküle, gelten für 20 Jahre. Doch nach der
Erteilung eines Patents wartet ein langwieriges Zulassungsverfah-
ren. Mehrere Jahre vergehen so, bevor ein neuer Wirkstof auf dem
Markt seine Entwicklungskosten einspielen kann. Länder, die es mit
dem Patentschutz nicht so genau nehmen, stellen ein zusätzliches
Problem dar. Für Pharmaunternehmen ist der Schutz des intellek-
tuellen Eigentums deshalb von zentraler Bedeutung.
NEUE PARADIGMEN
Geforscht wird in Deutschland wie überall in der Welt an Medika-
menten zur Krebstherapie, gegen Erkrankungen des Herz-Kreis-
lauf-Systems oder gegen Alzheimer. Eine wichtige Rolle spielt
die Biotechnologie im Dienste der Medizin: Die vfa zählt über
380 Unternehmen auf, die in diesem stark von der Gentechnik
geprägten Gebiet hierzulande tätig sind. So stammt das Patent
für ein gentechnikbasiertes Medikament zur Senkung des ldl-
Cholesterins aus Deutschland, aus der Bundesrepublik kommen auch
entscheidende Anstrengungen bei der Entwicklung personalisierter
Krebstherapien und zum Aufspüren von Biomarkern.
Forschung im medizinischen Bereich kann ganze Paradigmen
ändern und berührt immer auch ethische Belange. So wird seit
Jahrzehnten um den Umgang mit lebenserhaltenden Maßnahmen
gerungen. Und seit wenigen Jahren wirt eine Diskussion ganz neue
Fragen auf, die am Anfang einer Krankheit stehen. Die Rede ist von
Disease Interception. „Der Begrif wird vor allem im Zusammen-
hang von chronischen, degenerativen Erkrankungen benutzt, die
unbehandelt zum Tod führen oder die Lebensqualität stark ein-
schränken – wie etwa Krebs, Alzheimer oder rheumatoide Arthritis“,
erklärt Eva Winkler, Professorin für translationale Medizinethik am
Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen der Universitätsklinik
Heidelberg. Die Idee: Liegen bestimmte Biomarker vor, die darauf
hinweisen, dass eine Krankheit zwar schon begonnen hat, aber noch
nicht manifest ist, wird über die Einnahme eines Medikaments
gegengesteuert und der ansonsten sichere Ausbruch verhindert.
Noch existieren nur wenige solcher herapieansätze, sie könnten
aber das Bild der medizinischen Forschung nachhaltig verändern.
ETHISCHE FRAGEN
Und sie werfen zahlreiche Fragen auf. Ist jemand schon krank,
wenn die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist? Hat dieser
Mensch dann Anspruch auf eine teure medikamentöse herapie?
Es ist zudem bekannt, dass potenzielle Träger von Erbkrankheiten
gar nicht wissen wollen, ob sie das krank machende Gen in sich
tragen. Gerade weil in der Regel keine herapiemöglichkeit be-
steht. „Echte Disease Interception kann deshalb immer nur das
Vorliegen eines Biomarkers und die gleichzeitige Möglichkeit
bedeuten, in einem bestimmten Zeitfenster vorbeugend und
den Ausbruch verhindernd zu behandeln“, betont Winkler, die
deshalb auch lieber den Begrif einer „zielgerichteten Sekundär-
prävention“ verwendet.
Klar ist auch, dass Medikamente zur Disease Interception keine
Nebenwirkungen aufweisen dürfen, die schwerer wiegen als Mitel
zur Behandlung nach einem Ausbruch. Geklärt werden muss im
Sinne der Behandlungsgerechtigkeit zudem die Zugänglichkeit
für alle. Auch bei Vorliegen einer Alternative, etwa die Änderung
des Lebensstils. „Bekommt ein Raucher, der schon Vorstufen zum
Lungenkrebs aufweist, ein präventives Medikament bezahlt, ohne
zuvor an einer Raucherentwöhnung teilzunehmen?“, beschreibt
Winkler ein Problem.
Die Vision der Disease Interception zeigt besonders deutlich, dass
medizinische Forschung nicht einfach nur ein Fortschreiten des
Wissens ist. Im Extremfall verändert sie die Deinition von Diagnose,
Krankheit und Heilung. Sie berührt damit neben wissenschatlichen
auch rechtliche, wirtschatliche und ethische Belange. Und erweist
sich gerade deshalb als Motor der Medizin.
6,2 Milliarden Euro, so sagt
der Verband der forschenden
Pharma-Unternehmen (vfa),
wenden seine Mitgliedsunternehmen
pro Jahr für Forschung und
Entwicklung auf. Rund ein Fünftel
der Belegschaft der Mitgliedsirmen
ist laut vfa im Bereich Forschung
und Entwicklung tätig.
AUTOR
JOST BURGER
CHANCEN DER MEDIZIN 19
tina meador
(Tina Meador)
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