Handelsblatt - 18.11.2019

(Tina Meador) #1
Parteipolitik Der
gebürtige Nürnberger
trat 1983 als Schüler
in die CSU ein. Nach
einem Volontariat
beim Bayerischen
Rundfunk zog er 1994
in den Landtag ein.
Von 2003 bis 2007
war Söder CSU-Gene-
ralsekretär, seit
Januar ist er Partei-
vorsitzender.

Regierungschef Der
52-jährige Franke
stieg 2007 ins bayeri-
sche Kabinett auf.
Dort war er Minister
für Bundes- und Euro-
paangelegenheiten,
für Umwelt und
Gesundheit und für
Finanzen. Im März
2018 wurde er Minis-
terpräsident.

Vita
Markus Söder

Wir investieren dagegen in Bayern mit unserer
Hightech-Agenda bis 2023 zwei Milliarden Euro in
Künstliche Intelligenz und Supertech. Wir richten al-
lein 100 Lehrstühle für KI ein, das ist ungefähr so viel
wie der Bund insgesamt fördert. Das ist Techpower.
Anderes Beispiel: Der Bund will bis 2025 eine Batte-
rieforschung in Münster aufbauen lassen. Das ist ja
eine schöne Stadt, aber 2025 ist der Zug bei diesem
Thema doch längst abgefahren. Statt in Münster soll-
te Batterieforschung lieber in einem Autoland sein.

Derzeit wird auf EU-Ebene der nächste Finanz-
rahmen für die Jahre 2021 bis 2027 verhandelt.
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat
Deutschland aufgefordert, mehr Geld zuzusa-
gen. Sind Sie dazu bereit?
Warum soll Deutschland jetzt plötzlich noch mehr
zahlen?

Weil mit Großbritannien ein großer Zahler weg-
fällt und die EU neue Aufgaben stemmen soll.
Wir sind ja bereit, mehr zu schultern. Aber warum
muss vor allem Deutschland über Gebühr draufle-
gen? Statt wie vom Parlament zusätzlich 22 Milliar-
den von Deutschland zu fordern, könnte man im EU-
Haushalt Anpassungen vornehmen. Deutschland
braucht selbst mehr Geld für Technologie, Steuer-
senkungen und Verteidigung. Das Argument der
Rückführung sticht nicht, da es effizienter ist, Projek-
te direkt in Deutschland zu fördern. Denn hier ent-
scheiden wir selbst.

Aber es gibt doch viele Projekte, welche die EU
gemeinsam viel effizienter stemmen kann. Oder
von denen alle Länder profitieren wie dem ge-
meinsamen Schutz der Außengrenzen.
Bei solchen Aufgaben hat die EU unsere volle Unter-
stützung. Aber es gibt auch andere, da muss nicht al-
les komplett über die EU organisiert und finanziert
werden. Meine Sorge ist, dass wir unabgestimmte
Doppelstrukturen aufbauen, zum Beispiel beim Kli-

maschutz und der Forschung. Das kostet doppelt
Geld in Europa und in Deutschland und führt zu kei-
ner Effizienz. Andersherum wäre es logischer: erst
die Programme verzahnen und dann die Mittel ein-
fordern.

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD zu-
gesagt, dass man mehr Geld für Europa ausge-
ben will. Gilt das nicht mehr?
Doch, aber alles hat seine Grenze. Deutschland ist
bereit, bis zu einem Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts mehr zu zahlen. Damit steigt der Beitrag in ab-
soluten Zahlen deutlich an. Aber manche Vorschläge
aus Brüssel würden bedeuten, dass Deutschland 22
Milliarden Euro mehr zahlen müsste. Wie soll das ge-
hen? Dann können wir die Grundrente nicht finan-
zieren, kommen beim Klimaschutz nicht voran oder
können im Falle eines Abschwungs kein Konjunktur-
paket schnüren.

Im dritten Quartal ist die Wirtschaft um 0,1 Pro-
zent gewachsen, damit ist Deutschland knapp
an einer Rezession vorbeigeschrammt. Wie
schlecht steht es um die Konjunktur?
Wer die Daten genau anschaut, sieht eine Zweitei-
lung: Der Konsum läuft noch gut, die Industrie steckt
aber bereits in einer Rezession. Und jeder weiß: Der
Konsum folgt der Industrie. Angesichts der Lage im
Automobil- und Maschinenbau wird es nur eine Fra-
ge der Zeit sein, bis auch das Konsumklima schlech-
ter wird, weil Arbeitsplätze abgebaut werden. Ich be-
fürchte, dass ab Januar viele Unternehmen auf Kurz-
arbeit umstellen werden.

Muss die Bundesregierung mit einem Konjunk-
turpaket gegensteuern?
Wir müssen Deutschland als Standort wettbe-
werbsfähig halten. Dazu müssen die Ener-
giekosten gesenkt werden. Wir sollten
die im Klimapaket geplante Reduk-
tion der EEG-Umlage vorziehen.
Das wäre ein wichtiges Signal.
Und natürlich brauchen wir ei-
ne Entlastung bei den Unter-
nehmensteuern. Der Körper-
schaftsteuersatz muss ge-
senkt werden, und für Perso-
nengesellschaften braucht es
ebenfalls entsprechende Ent-
lastungen.

Bisher lehnt der Finanzminister
Scholz, der ja SPD-Chef werden will,
eine Steuersenkung ab. Wie wollen Sie
ihn überzeugen?
Not kennt kein Gebot. Wenn sich die Konjunktur
weiter verschlechtert, wird es nicht ausreichen, nur
Kurzarbeitergeld zu finanzieren. Das ist nur ein Me-
dikament in einer Krise, um die Schmerzen zu lin-
dern. Es verschafft Zeit, löst aber kein Problem. Die
notwendige Therapie heißt niedrigere Steuern, ge-
ringere Energiekosten und gezielte strategische In-
vestitionen.

Finanzminister Scholz sagt, dass der gerade be-
schlossene teilweise Soli-Abbau die Konjunktur
stützen wird. Reicht das nicht?
Der Soli-Abbau ab 2021 ist wichtig. Leider entfaltet er
nicht die ganze Wucht, weil ausgerechnet die Leis-
tungsträger ausgenommen sind. Ich habe daher Ver-
ständnis für Verfassungsklagen. Die Juristen in der
bayerischen Staatskanzlei halten solche Klagen für
sehr aussichtsreich.

Mehr Investitionen, gleichzeitig Steuersenkun-
gen – verabschiedet sich die Union damit vom
schuldenfreien Haushalt?
Nein. Die schwarze Null ist zentral wichtig und eben
keine ideologische Frage. Das gilt gerade auch mit
Blick auf Europa. Wenn wir den schuldenfreien
Haushalt infrage stellen, dann gibt es bei unseren
Partnern in der Euro-Zone kein Halten mehr. Wenn
das Vorzeigeland der Stabilität schlingert, wird sich
kein anderes mehr daran halten. Mit Schulden erhält
man ein kurzes konjunkturelles Strohfeuer, aber die
langfristigen Folgen für die Stabilität der Währungs-
union wären fatal.

In Berlin und Brandenburg herrscht Euphorie
nach der Ankündigung von Elon Musk, eine
Tesla-Fabrik zu bauen. Entsteht dort der Auto-
standort der Zukunft?
Die Euphorie kann ich nur bedingt nachvollziehen.
Herr Musk will nicht Deutschland helfen, sondern
Tesla. Von daher sehe ich die Ankündigung weniger
als freundliche Geste, sondern mehr als Weckruf. Es
braucht eine gemeinsame Kraftanstrengung, um un-
sere Automobilbranche einen großen Schritt nach
vorne zu bringen. Wir müssen aus dem Diesel-Däm-
merschlaf aufwachen und unsere wichtigste Indus-
trie stärken.

Und wie soll das konkret gelingen?
Wir müssen kräftig investieren in neue Technologien
und in die Mitarbeiter. Bayern legt in der Batteriefor-
schung, dem Ausbau von Wasserstoff und dem Ein-
satz von Biokraftstoffen selbst vor. Und wir investie-
ren auch in die Weiterbildung der Mitarbeiter. Wer
bisher Verbrennungsmotoren baut, soll in die Lage
versetzt werden, in Zukunft auch Elektro- oder Was-
serstoffantriebe zu bauen.

Ist nach der Kritik an der Autoindustrie wegen
der Abgasmanipulationen jetzt wieder die Zeit
für einen Schulterschluss?
Die Autoindustrie bleibt das Herzstück unserer Wirt-
schaft. Wir müssen endlich ideologische Debatten
gegen das Auto beenden. Einige finden ja mittlerwei-
le einen SUV schlimmer als ein AKW. Auf dem Partei-
tag der Grünen wurde wieder sehr deutlich, dass
Herr Habeck ein guter Philosoph sein mag, aber
eben kein Ökonom. Wer harte ökonomische Ent-
scheidungen durch philosophisch wohlfeile Sätze er-
setzen will, der wird am Ende den Verlust von Ar-
beitsplätzen verantworten müssen.

In der kommenden Woche besu-
chen Sie den CDU-Parteitag. Die
Unruhe in der Schwesterpar-
tei ist groß. Mit welcher Er-
wartung fahren Sie nach
Leipzig?
Die CDU braucht keine Rat-
schläge von mir. Aber ich hof-
fe, eine CDU anzutreffen, die
Teamgeist zeigt. Natürlich
werden wir als Union irgend-
wann die Kanzlerkandidatur
diskutieren müssen. Aber das Ti-
ming ist wichtig. Die Entscheidung
steht jetzt nicht an. Jetzt müssen wir als
Team auftreten. Die Wähler wünschen sich
eine stabile und geschlossene Union und keine
Streittruppe.

Es geht aber nicht nur um personelle Fragen,
sondern auch um die inhaltliche Ausrichtung in
der Zeit nach Angela Merkel.
Es endet eine große Ära im Jahr 2021, aber derzeit ist
sie noch nicht vorbei. Natürlich müssen wir Politik
aber auch über diese Zeit hinausdenken. Die Kunst
ist nur, das Vergangene mit dem Neuen zu versöh-
nen. Es gab viele großartige Leistungen in der Ära
Merkel, und es hat auch Fehler gegeben, wie überall.
Aber vier Bundestagswahlen zu gewinnen, das muss
man erst mal schaffen. Man muss nichts glorifizie-
ren, aber kann trotzdem Respekt zeigen. Keiner
will Rückspiele der Vergangenheit, sondern Kon-
zepte für die Zukunft.

Friedrich Merz findet die Arbeit der Bundesre-
gierung „grottenschlecht“.
Das war suboptimal. Das weiß er auch und hat es
schon selbst relativiert. Denn Kritik vom politi-
schen Gegner ist die eine Sache. Aber die eigenen
Leute richten mit Kritik leider den größeren Scha-
den an. Insofern sollte jeder bedenken, dass er bei
aller Leidenschaft und bei allem Engagement auch
Verantwortung hat. Es gibt nur ein Team, das ge-
winnt oder verliert. Aber dazu zählt für mich na-
türlich auch Friedrich Merz.

Herr Söder, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Jan Hildebrand.

Die Wähler


wünschen sich eine


stabile und geschlossene


Union und keine


Streittruppe.


Wirtschaft & Politik


MONTAG, 18. NOVEMBER 2019, NR. 222
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