Deutsch Perfekt - 13.2019

(Ann) #1
Fotos: René Burri/Magnumn Photos/Agentur Focus; Alan Harris/unsplash

Andererseits ist 2019 auch ein wichtiges


Wahljahr. In Brandenburg und Sachsen


haben die Bürger am 1. September ge-


wählt. In beiden Bundesländern hat rund


jeder Vierte die rechtspopulistische Alter-


native für Deutschland (AfD) gewählt –


eine Partei, in der manche Mitglieder


offen rassistisch sind und Kontakte zu


Rechtsextremen haben. Am 27. Oktober


wird in Thüringen gewählt. Glaubt man


den Prognosen, kann die AfD auch dort


große Gewinne erwarten. Dieser Rechts-


ruck, der in einigen ostdeutschen Regio-


nen viel stärker ist als im Westen, ist für


viele ein Grund zu großer Sorge.


Deshalb blicken zurzeit viele Men-

schen – davon viele aus dem Westen – auf


den Osten. Medien schicken Reporter,


Wissenschaftler fragen Menschen nach


ihren Gefühlen und ihrer politischen


Meinung. Sie alle wollen wissen, was die


Deutschen 30 Jahre nach der We n d e mit-


einander verbindet – und vor allem: wa-


rum die Menschen im Westen und Osten


noch immer so vieles trennt.


Es ist zu einfach, von „dem Osten“ zu

sprechen. Es gibt dort boomende Städte


wie Dresden und Leipzig, in denen die


Arbeitslosigkeit niedrig ist und die Le-


bensqualität hoch. Gegenden mit sehr


wenigen Einwohnern, zum Beispiel das


Erzgebirge im Südosten Sachsens, kann


man wirklich abgehängt nennen. Und


trotzdem: Die große Ungleichheit zeigt


sich entlang der Grenze von damals.


Die größten Unterschiede werden in

den Zahlen zur ökonomischen Situation


deutlich. Die Menschen im Osten ver-


dienen im Durchschnitt weniger. Ihre


Renten sind niedriger, sie sind öfter ar-


beitslos und besitzen sehr viel weniger als


die Westdeutschen. Viele deutsche und


internationale Firmen haben Fabriken im


Osten. Aber kein DAX-Konzern hat dort
seine Zentrale. Im DAX ist auch kein ost-
deutsches Unternehmen zu finden.
Timo Meynhardt ist Professor für
Wirtschaftspsychologie an der privaten
Handelshochschule Leipzig. Er schätzt
die Wirtschaftskraft des Ostens auf 70
bis 80 Prozent im Vergleich zum Westen.
Der 47-Jährige sagt aber auch: „Ich finde
die Unterschiede gar nicht so schlimm,
insbesondere in einer Zeit, wo das Hö-
her, Schneller, Weiter stärker hinterfragt
wird.“ Der Rückstand auf den Westen
kann seiner Meinung nach auch auf lan-
ge Sicht nicht eingeholt werden. Deshalb
sollten sich die Ostdeutschen lieber auf
ihre eigenen Stärken konzen trieren.
Meynhardt spricht von „Eigenheiten“
der Ostdeutschen – und er weiß, wovon
er spricht. Er ist in Rudolstadt (Thürin-
gen) geboren. Als die Mauer fiel, war er 17.
Nach dem Abitur wurden auch für ihn die
neuen Freiheiten zu einer großen Chan-
ce. Meynhardt hat in Jena, Oxford und
Peking Psychologie studiert und nach
dem Diplom bei einer Unternehmensbe-
ratung angefangen.
„Na, du hast es ja geschafft“, sagten sie
ihm zu Hause in Thüringen – als Kom-
pliment war das nicht wirklich gemeint.
We r K a r r i e r e m a c h t , w i r d i m O s t e n eher
skeptisch betrachtet, findet Meynhardt –
auch noch 30 Jahre nach der Wende. Vie-
len Ostdeutschen fehlt seiner Meinung
nach der Impuls, „auch mal eiskalt nach
der Macht zu greifen, wenn es nötig ist“.
Ostdeutsche, meint er, sind eher prag-
matisch und zurückhaltend. „Das ist ja
eigentlich ganz sympathisch.“
Längerfristig, hofft Meynhardt, könn-
ten diese Charakteristika von Vorteil sein.
Denn seiner Meinung nach ist Koopera-
tion die Herausforderung der Zeit, nicht

Durchschnittliches Monatsgehalt
vor Steuern und Versicherungen

West: 3330 Euro
Ost: 2690 Euro

So viele Menschen besitzen ein
Haus oder eine Wohnung

West: 44,9 Prozent
Ost: 31,4 Prozent

16 O ST- U N D W E ST D E U T S C H E Deutsch perfekt 13 / 2019


vor Steuern
, so, dass die Steuern
vom Gehalt noch nicht
weggenommen sind

das Wahljahr, -e
, Jahr, in dem ein neues
Parlament gewählt wird

das B¢ndesland, ¿er
, Teil von einer föderalisti-
schen Republik

¶ffen
, hier: direkt; ehrlich

der R¡chtsruck
, hier: Phänomen, dass
mehr Menschen die Ideen
der Rechten gut finden

bl“cken auf
, schauen auf

die W¡nde
, hier: politischer Neuan-
fang 1989

verb“nden
, hier: zusammenbringen

das ]rzgebirge
, Bergregion in Deutsch-
land und Tschechien

der DAX-Konz¡rn, -e
, Gruppe von Firmen mit
gemeinsamer Leitung: Sie
ist im Deutschen Aktienin-
dex (DAX) zu finden.

(der Deutsche [ktien-
index
, Register der wichtigsten
deutschen Aktiengesell-
schaften)

(die [ktiengesellschaft,
-en
, Firma, von der man
einen Teil besitzen und so
Profit machen kann)

die Zentrale, -n
, Teil einer Organisation
oder Firma, die die Planung
leitet und die Arbeit organi-
siert und kontrolliert

das Unternehmen, -
, Firma

die H„ndelshochschule, -n
, ≈ spezielle Universität
für eine Ausbildung in Öko-
nomie, Kauf und Verkauf

schætzen auf
, hier: vermuten, das ... ist

die W“rtschaftskraft
, ökonomische Möglich-
keiten

insbes¶ndere
, ≈ speziell; vor allem

hinterfragen
, hier: ≈ nach der Richtig-
keit von ... fragen

der R•ckstand
, hier: struktureller und
finanzieller Nachteil im
Vergleich zu anderen

auf l„nge S“cht
, für lange Zeit/Dauer;
hier: in den nächsten Jahren

einholen
, hier: kleiner machen

s¶llte
, es wäre gut, wenn ...

die Stærke, -n
, hier: Sache, die jemand
besonders gut kann

die Eigenheit, -en
, hier: Charakteristikum

f„llen
, hier: ≈ enden

die Unternehmensbera-
tung, -en
, Firma, die andere Firmen
berät

Du h„st ¡s ja gesch„fft.
, hier: ≈ Du hast ja Erfolg.

eher
, ≈ mehr

betr„chten
, ≈ sehen

eiskalt
, hier: ohne Tabu

nach der M„cht greifen
, alles dafür tun, um eine
hohe Position zu erreichen

zur•ckhaltend
, hier: vorsichtig; still;
diskret

længerfristig
, für längere Zeit

die Herausforderung, -en
, hier: schwierige Aufga-
be, die man auf jeden Fall
machen möchte/muss
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