Deutsch perfekt 13 / 2019 KULTUR 35
gab ihm spontan einen neuen Namen:
Afu, der Glückliche.
An einem Vormittag sitzt er in einem
Café im Zentrum von Shanghai. Der Kas-
siererin lächelt er so freundlich zu wie je-
dem, den er trifft. Wer ihn anspricht, be-
kommt eine fröhliche Antwort. Ach, du
hast mal in Deutschland studiert? Und
wie gefällt dir Erfurt? Wenn dem Mann
mit den blonden, kurzen Haaren und den
blauen Augen die Blicke im Raum folgen,
spürt er sie entweder nicht oder sie sind
ihm egal.
Überhaupt erscheint es, als würde er
sich selbst am meisten über seinen Er-
folg wundern. Darüber, dass er schon mit
seinem zweiten Video vor drei Jahren
bekannt wurde. Darin imitiert
er mit Perücke und Shanghai-
er Dialekt seine chinesische
Schwiegermutter, die dauernd
Probleme sieht. „Du gehst jetzt
seit einem Monat mit meiner
Tochter aus. Wann heiratest du
sie endlich?“
Seitdem hat er mehr als 250 Videos ge-
dreht. In fließendem Chinesisch erzählt
er in jeweils ungefähr zehnminütigen
Folgen von seinem Leben in Shanghai,
von der chinesischen Küche, vom Zu-
sammenleben mit seiner chinesischen
Frau oder den Schwiegereltern. Dauerthe-
ma ist auch sein ziemlich dicker Körper,
über den er gerne Späße macht. Der
„süße, dickliche Afu Thomas“, so nennt
er sich selbst in seinen Videos. Wer ihm
zuschaut, lernt eine große Zahl von chine-
sischen Wörtern für Übergewicht.
Natürlich ist er auch immer ein wenig
„der lustige Ausländer“, der die eine oder
andere Vokabel durcheinanderbringt, sagt
Derksen. Trotzdem versucht er, in seinen
Videos er selbst zu sein: ein Spaßmacher,
der die Feinheiten zwischen den Kultu-
ren sieht, sich über die Unterschiede lus-
tig macht und über die Missverständnis-
se, die dadurch entstehen.
Bei seiner letzten Chinareise beglei-
tete der lustige Ausländer aus der nord-
rhein-westfälischen Kleinstadt Gum-
mersbach Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier in dessen Delegation. Das
sechste Kind von Russlanddeutschen, die
Mitte der 80er-Jahre nach Deutschland
gekommen waren, saß plötzlich einen
Tisch neben dem Bundespräsidenten und
dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping.
„Da musst’ ich mich schon kneifen.“
Während der Schulzeit ist Derksen
das erste Mal in China. Nach dem Abi-
tur macht er wie zwei seiner Geschwis-
ter eine Banklehre und entscheidet sich
später noch einmal für den Studiengang
Wirtschaft und Politik Ostasiens in Bo-
chum. Bei einem zweimonatigen Sprach-
aufenthalt in Shanghai lernt er vor sieben
Jahren seine zukünftige Frau kennen –
und wenig später auch deren Eltern.
Es ist der Beginn einer nicht ganz ein-
fachen Beziehung. Besonders mit dem
Schwieger vater – Derksen
nennt ihn Tigervater – tut er
sich am Anfang schwer. Beim
ersten Treffen lehnt er eine Zi-
garette ab, in China ein schwe-
rer Fauxpas. Zum Frühstück
bekommt er statt Schwarzbrot
nun Entendarm gekocht. Und
nach kurzer Zeit im Haus der Schwieger-
eltern muss er wieder ausziehen, nach-
dem er sich aus dem Gästezimmer ins
Schlafzimmer der Freundin geschlichen
hat. Erst mit dem Heiratsantrag gelingt es
ihm, das Herz seines Schwiegervaters zu
erobern. Über die komplexe Beziehung
hat er inzwischen auch ein Buch geschrie-
ben (Und täglich grüßt der Tiger vater).
2014 folgt seine Frau ihm nach
Deutschland. Nach eineinhalb Jahren in
Bochum und Marienheide (beide Nord-
rhein-Westfalen) kehrt das Paar nach Chi-
na zurück. Schon während des Sprachauf-
enthaltes war Derksen in chinesischen
Talkshows aufgetreten, um als Auslän-
der über das Leben im Land zu erzählen.
Wäre da nicht noch mehr möglich? Das
fragt sich Zhu Liping, seine Frau. Derksen
nennt sie „eine echte Geschäftsfrau und
der Kopf hinter dem Ganzen“.
Sie drehen also ein paar Probevideos.
Denn sie wollen testen, ob sie damit
Zuschauer begeistern können. Und sie
können. Wie es war, als ihm zum ersten
Mal ein Freizeitpark Geld zahlte, damit
er dort an einer Veranstaltung teilnahm?
„So krass.“
die Kassiererin, -nen
, hier: Caféangestellte,
bei der man die Rechnung
bezahlt
zulächeln
, ins Gesicht sehen und
freundlich lachen
f¶lgen
, hier: ≈ nachkommen
spüren
, hier: merken
überhaupt
, hier: insgesamt
erscheinen
, hier: aussehen
die Per•cke, -n
, falsches Haar
die Schwiegermutter, ¿
, hier: Mutter der Ehefrau
seitdem
, hier: seit diesem Video
jeweils
, hier: jedes Video
die K•che, -n
, hier: alle typischen
Gerichte aus einem Land
oder einer Region
das Dauerthema,
-themen
, hier: Thema, das ihn
immer wieder interessiert
d“cklich
, etwas dick
das Übergewicht
, zu viel Gewicht
durchein„nderbringen
, hier: falsch benutzen
die Feinheiten Pl.
, hier: ≈ Details
s“ch l¢stig m„chen über
, hier: Späße machen
über
das M“ssverständnis, -se
, falsche Interpretation
einer Aussage, Geste oder
Aktion
entstehen
, hier: ≈ passieren
begleiten
, hier: mitfahren mit
schon
, hier: wirklich
s“ch kneifen
, ≈ sich selbst ein bisschen
wehtun, um zu merken,
dass man nicht träumt
der Studiengang, ¿e
, Ausbildung, die man an
der Universität in einem
speziellen Sektor macht
die zukünftige Frau
, Frau, die man später
heiratet
s“ch schwertun m“t
, m Probleme haben
mit
der Fauxpas, - franz.
, hier: Sache, die nicht
nach den Regeln der Traditi-
on gemacht wird
der ]ntendarm, ¿e
, langes Organ im Bauch
eines Wasservogels
s“ch schleichen “n
, leise und im Geheimen
gehen zu
der Heiratsantrag, ¿e
, Bitte: Willst du mich
heiraten?
das H¡rz erobern
, hier: Sympathie
bekommen
zur•ckkehren
, zurückgehen
auftreten
, hier: zu sehen sein
die Geschæftsfrau, -en
, hier: Frau mit dem
Talent und Willen, Geld zu
machen
der K¶pf h“nter
, hier: Person mit den
Plänen und Ideen für
die Probe, -n
, Test
begeistern
, hier: machen, dass die
Zuschauer die Videos toll
finden
kr„ss
, hier: m sehr über-
raschend
Nach kurzer
Zeit im Haus
der Eltern
seiner Freundin
muss er wieder
ausziehen.