Deutsch Perfekt - 13.2019

(Ann) #1
Quelle: Dies ist eine einfachere Version eines Texts aus der

Süddeutschen Zeitung

.

36 KULTUR Deutsch perfekt 13 / 2019


Bei Facebook und Youtube hat „Afu“


inzwischen mehr als eine halbe Million


Follower. Auf chinesischen Video-Seiten


sind es noch mal fast 15 Mal so viele, ins-


gesamt mehr als sieben Millionen. Zwar


gibt es in China auch Internetstars mit


80 Millionen Followern. Im Vergleich


mit den meisten Bloggern im Land ist die


Zahl aber extrem hoch.


Unter seinen Videos, im Durchschnitt

produziert er zwei pro Woche, können


die Zuschauer Fragen stellen. Ein chi-


nesischer Biologielehrer will wissen, ob


deutsche Kinder vom Biologieunterricht


begeistert sind. Ein anderer fragt, was


man für einen Aufenthalt in Deutschland


auf jeden Fall einpacken muss. Derksen


antwortet auf alle Fragen und


schickt als Dankeschön Gum-


mibärchen.


Je nachdem, wie oft sei-

ne Videos geklickt werden,


bekommt er Anteile an den


We r b e e i n n a h m e n. Die Live-


streaming-Industrie in China ist ein


Milliardengeschäft. Wie viel er genau


verdient, will er nicht sagen. Nur so viel:


„Ich weiß ungefähr, was die Leute hier als


Geschäftsführer oder CEO bekommen.


Solange ich ein bisschen mehr verdiene,


reicht mir das.“


In manchen Videos macht Derksen

sogar selbst Werbung für Produkte. Ein


Problem sieht er darin nicht. „Die Deut-


schen sind da sehr empfindlich, die Chi-


nesen finden das hingegen ganz toll.“ Ein-


mal reiste er nach Bielefeld, um dort ein


Haarshampoo zu testen. Nach dem Video


schickten ihm seine Fans die Nummern


ihrer Bestellungen, die sie danach getätigt


hatten. Die sollte er an die Firma schicken,


um zu zeigen, wie gut es ist, mit ihm zu-


sammenzuarbeiten. Manche bitten ihn


auch: „Afu, ruf doch mal bei Nivea an und


frage, ob du da hingehen kannst.“


Aber so viele Freiheiten er auch beim

Thema Werbung hat, auf anderen Ge-


bieten braucht es etwas Selbstzensur.


Das chinesische Internet ist eines der


am stärksten zensierten Netze der Welt.


Fehlende Parteiloyalität, fehlende ideolo-


gische Treue, Vulgäres, Homosexualität


oder großer Kitsch – die Verbotsliste der


Regierung ist lang. Bis jetzt, findet Derk-
sen, war das für ihn kein Problem, „aber
man muss natürlich überlegen, was man
machen kann.“ Er findet aber auch, dass
das auf Youtube gar nicht anders ist. Auch
dort würden Influencer, die extreme In-
halte posten, gesperrt.
Aber im chinesischen Netz reicht ein
falscher Satz, um einen Proteststurm
auszulösen. Vor allem, wenn sich natio-
nalistische Gruppen attackiert fühlen,
eskalieren Debatten schnell, so wie zum
Beispiel bei Dolce & Gabbana. In einer
We r b u n g d e r Mo d emarke versuchte
eine Chinesin, eine Pizza mit Stäbchen
zu essen. Die Firmenchefs mussten sich
öffentlich entschuldigen. Dass sich das
politische Klima in China un-
ter Präsident Xi deutlich ver-
schärft hat, will Derksen im
Café in Shanghai lieber nicht
kommentieren. „Um schlechte
Laune zu verbreiten, dafür seid
ihr Journalisten da.“
Vo n politischen Themen hält er sich in
seinen Videos deshalb genauso fern wie
von aktuellen gesellschaftlichen Debat-
ten. Lieber nimmt er seine Zuschauer
mit auf eine Reise durch den Eurotun-
nel nach Großbritannien. Sie folgen ihm
und seiner Frau, wie sie in Brüssel an der
falschen Station aussteigen und dann im
Zug ihre Quiche essen. Später geht Derk-
sen auf die Toilette, um zu sehen, ob sie
sauberer ist als in China. Das ist sie.
In einem seiner populärsten Videos
verbringt Derksen einen Tag mit dem
Hund eines Freundes. Seine Message:
„Wenn ihr einen Hund haben wollt, dann
schafft euch doch mal einen für einen Tag
an und schaut, ob ihr Lust und Zeit dafür
habt.“
Mit ganz so einfachen Botschaften will
er einen dann aber doch nicht gehen las-
sen. Mit Sorge sieht er den wachsenden
Rassismus in Deutschland. Dass man sich
fremd ist und nicht genug voneinander
weiß, das sieht er als Grund für Stereo-
type und Rassismus: „Eigentlich will ich
nur zeigen, dass eine chinesische Mittel-
standsfamilie und eine Familie wie meine
in Deutschland gar nicht so verschieden
sind.“

Im Internet
hat „Afu“
schon mehr als
sieben Millionen
Follower.

das G¢mmibärchen, -
, Süßes aus weicher, elas-
tischer Substanz, meistens
in Tierform

je nachdem
, abhängig von

der [nteil, -e
, hier: Geldmenge, die
von Klickzahlen abhängt

die W¡rbeeinnahme, -n
, Geld, das man mit
Werbung bekommt

das Milliardengeschäft, -e
, hier: Sache, mit der man
extrem viel Profit macht

der Geschæftsführer, -
, Manager, der eine Firma
leitet

sol„nge
, hier: bis

reichen
, hier: genug sein

sogar
, ≈ auch

empf“ndlich
, hier: kritisch; vorsichtig

hingegen
, im Unterschied dazu

tätigen
, ≈ machen

s¶llte ... sch“cken
, hier: sie empfehlen, ... zu
schicken

so viele auch
, m egal, wie viele

das Gebiet, -e
, hier: Thema

¡s braucht
, es ist nötig

die Treue
, hier: Loyalität

posten engl.
, im Internet publizieren

sp¡rren
, hier: deaktivieren

einen Prot¡ststurm
auslösen
, machen, dass es extrem
viele Proteste gibt

eskalieren
, schlimm werden

die M„rke, -n
, Produkt mit bekanntem
Namen

das Stäbchen, -
, langes, dünnes Gerät
zum Essen

s“ch verschærfen
, hier: radikaler werden

verbreiten
, hier: ≈ machen

s“ch f¡rnhalten v¶n
, hier: nicht sprechen
über

s“ch „nschaffen
, hier: sich holen

d¶ch mal
, Das ist mein Vorschlag.

die Botschaft, -en
, hier: Information;
Message

der M“ttelstand
, mittlere soziale Klasse
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